TIROLER TAGESZEITUNG "Leitartikel" Ausgabe vom Samstag, 9. Dezember 2023, von Manfred Mitterwachauer: "Reich an Lippenbekenntnissen" | Brandaktuell - Nachrichten aus allen Bereichen

TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ Ausgabe vom Samstag, 9. Dezember 2023, von Manfred Mitterwachauer: „Reich an Lippenbekenntnissen“

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Die schwarz-rote Landesregierung will die Armut in Tirol bekämpfen. Wie so viele Vorgänger-Koalitionen kommt aber auch sie bislang nicht über den Status einer – steigenden – Zuschusspolitik hinaus. Nachhaltig sind all die Einzelmaßnahmen nicht.

Das Leben ist über weite Strecken eine Aneinanderreihung von Wiederholungen. Wie das Weihnachtsfest. Das kommt jedes Jahr. Aber eben nicht zu allen. Feste feiern – das ist längst nicht mehr für alle leistbar. Anstatt sich über Geschenke und Skiurlaube Gedanken zu machen, haben rund 108.000 Personen und damit jeder Siebte (!) in Tirol zu kämpfen, auch nur halbwegs finanziell über die Runden zu kommen. Sie gelten laut aktuellem Armutsbericht als armutsgefährdet. Wiederholt müht sich die Politik, hier Abhilfe zu versprechen – für mehr als bloße Symptombekämpfung reicht es freilich kaum aus. Strukturell verbleibt indes vieles beim Alten.
   Neue Wege will Landeshauptmann Anton Mattle (VP) beschreiten. Und derart mittelfristig dafür Sorge tragen, dass die Armutsfalle weniger oft zuschnappt. Mattle hatte das vor fast genau einem Jahr angekündigt. Da war der Armutsbericht Tirol 2019–2021 druckfrisch. Zwölf Monate und einen Bericht später wissen wir, dass die Armut weiter angestiegen ist. Zwar weniger als angesichts der Teuerungs- und Energiekrise befürchtet, dennoch: Der Trend lässt sich nicht schönrechnen.
   Der neue Weg von VP/SP für die Armutsbekämpfung liegt für viele Tirolerinnen und Tiroler noch im Dunkeln. Nach wie vor hantelt sich die Regierung – wie auch ihre Vorgänger-Koalitionen – von einem Hilfspaket zur nächsten Einzelförderung weiter zur anschließenden Evaluierung. Dann beginnt das „Spiel“ wieder von vorne. 
   Natürlich hilft es Menschen, wenn das Land Aktionen wie etwa im Herbst das „soziale Schulticket“ ins Leben ruft. Natürlich wärmt der Heizkostenzuschuss Wohnungen. Auch die fast 40 Millionen, die man gegen die Teuerungskrise lockergemacht hat, wirken. Und ja, die Tiroler Mindestsicherung gilt im Bundesländer-Vergleich immer noch als vorbildlich. 2024 will bzw. muss das Land bereits über eine Milliarde fürs „Soziale“ ausgeben.
   Die Armut in Tirol wächst trotzdem an. Während sich die Regierungsspitze noch vor wenigen Monaten ob der De-facto-Vollbeschäftigung gegenseitig auf die Schulter klopfte, wähnten sich wohl die knapp 26.000 „Working Poor“ in Tirol im falschen Film. Für rund 17.000 reicht nicht einmal mehr ein Vollzeitjob, um der Armut adieu zu sagen. Zum Vergleich: Das sind mehr, als die Marktgemeinde Telfs Einwohner hat.
   Im Klimaschutz ist Nachhaltigkeit das Gebot der Stunde. Auch ein Ausstieg aus der Armut wäre – gesamtvolkswirtschaftlich gesehen – nachhaltig. Ein Ansatz wäre das bedingungslose Grundeinkommen. Da wie dort ist man aber primär eines: reich an Lippenbekenntnissen.

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