Schmerzmedizin für alle? Wie Betroffene unter sozialer und regionaler Ungerechtigkeit sowie Versorgungsunsicherheit leiden | Brandaktuell - Nachrichten aus allen Bereichen

Schmerzmedizin für alle? Wie Betroffene unter sozialer und regionaler Ungerechtigkeit sowie Versorgungsunsicherheit leiden

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Bereits zum 24. Mal informiert die Österreichische Schmerzgesellschaft (ÖSG) im Rahmen ihrer Pressekonferenz zum Auftakt der „Schmerzwochen“ über die Möglichkeiten und Entwicklungen der modernen Schmerzmedizin in Österreich. Wie jedes Jahr setzt die Informationsinitiative der ÖSG einen thematischen Schwerpunkt im Einklang mit der internationalen Kampagne der International Association for the Study of Pain (IASP) und der Europäischen Schmerzföderation (EFIC). 2025 ist das Thema Soziale Ungerechtigkeit bei der Schmerzversorgung“. Rund 1,8 Millionen chronische Schmerzpatient:innen leiden in Österreich weiterhin unter unzureichender Versorgung. Besonders einkommensschwache und vulnerable Gruppen sowie Menschen in ländlichen Regionen sind davon betroffen.

Soziale Ungerechtigkeit: Zugang zu Schmerztherapie abhängig von sozialen Faktoren

„Menschen in ländlichen Regionen haben oft schlechteren Zugang zu spezialisierten Schmerztherapien als in urbanen Zentren. Das verschärft die gesundheitliche Ungleichheit und mindert die Versorgungschancen erheblich.“, erklärte Richard Crevenna, Leiter der Universitätsklinik für Physikalische Medizin, Rehabilitation und Arbeitsmedizin der MedUni Wien und Vizepräsident der ÖSG. Er wies darauf hin, dass regionale Unterschiede die Ungleichheit weiter verstärken: „Menschen in ländlichen Regionen haben oft schlechteren Zugang zu spezialisierten Schmerztherapien als in urbanen Zentren. Das verschärft die gesundheitliche Ungleichheit und mindert die Versorgungschancen erheblich.“ Crevenna betonte die Bedeutung von Sensibilisierung und Bildung: „Wir brauchen dringend umfassende Aufklärungskampagnen, um das Bewusstsein für diese Problematik zu schärfen – sowohl bei Patient:innen als auch im medizinischen Bereich. Gemeinsame Ziele zu verfolgen bedeutet, gemeinsame Standards zu etablieren und dabei eine gemeinsame Sprache zu sprechen. Es sollte damit gelingen, die sozialen und regionalen Disparitäten in der Schmerzmedizin stärker in den Fokus der Gesundheitspolitik zu rücken.“[1].

Recht auf Zweitmeinung als Schlüssel zur Patientensicherheit
„Die Möglichkeit, eine zweite ärztliche Meinung einzuholen, sollte für alle Patient:innen ein selbstverständlicher und von der Kasse gedeckter Bestandteil der medizinischen Versorgung sein“, erklärte Ao. Univ.-Prof. Dr. Wilhelm Eisner, Präsident der ÖSG. Aktuell wird die Zweitmeinung nicht von der Krankenkasse übernommen und muss bei einem Wahlarzt bezahlt werden, was vor allem einkommensschwache Patient:innen benachteiligt. Dabei könnte die Einführung eines Rechtsanspruchs auf Zweitmeinung nicht nur die Patientensicherheit verbessern, sondern auch erhebliche Kosten im Gesundheitswesen einsparen: „Eine Bandscheibenoperation kostet zwischen 4.350 und 7.890 Euro, während eine umfassende Diagnose und Anleitung zur Selbsttherapie wesentlich kosteneffizienter wäre“, so Eisner. Eisner kritisierte, dass die Überversorgung durch Operationen in Österreich weitgehend tabuisiert wird: „In Deutschland ist dies gut untersucht – dort wird in manchen Regionen weit häufiger operiert, ohne medizinisch nachvollziehbare Gründe. Es ist zu erwarten, dass die Situation in Österreich ähnlich ist, aber bislang wird das Thema hierzulande totgeschwiegen.“ Die ÖSG fordert, die Zweitmeinung als verbindlichen Teil der Behandlung zu etablieren. Durch fundierte Diagnosen könnten bis zu 50% der Operationen vermieden und damit nicht nur Kosten, sondern auch unnötige Eingriffe und Belastungen für Patient:innen reduziert werden

Eigenes Schmerzzentrum für jedes Bundesland
Eisner verwies zudem darauf, dass die integrative Schmerztherapie nun seit 2024 im österreichischen Strukturplan für Gesundheit (ÖSG) verankert ist, was die Basis für ein flächendeckendes Netz von Schmerzzentren in den Bundesländern bildet. „Das Ziel muss aber sein, dass es in jedem Bundesland mindestens ein Zentrum der abgestuften, interdisziplinären, multimodalen Schmerzversorgung gibt. Die Gesundheitspolitik muss hier in den Bundesländern aktiv mitgestalten, was ja seit 18.10.2024 im ÖSG und im RSG festgeschrieben ist.“

Statuserhebung zeigt deutliche Versorgungslücken in der schmerzmedizinischen Versorgung
Die von Univ.-Prof. Dr. Andreas Sandner-Kiesling und seinem Team (Medical University of Graz) veröffentlichte Studie „Statuserhebung der österreichischen Schmerzambulanzen 2023 – Einfluss der COVID-19-Pandemie auf die schmerzmedizinische Versorgung“ zeichnet ein düsteres Bild. Die Anzahl der Krankenhäuser mit Schmerzambulanzen hat insgesamt im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie um 7,5 % abgenommen. Diese Abnahme ist vor allem auf den Personalmangel zurückzuführen. Gleichzeitig zeigt die Studie, dass es aktuell nur 7 vollzeitbetriebene Schmerzambulanzen gibt. Seit 2014 steigt die Differenz zwischen dem tatsächlichen Angebot und dem Bedarf kontinuierlich an. Das bedeutet, dass es in Österreich für eine Basisversorgung von schwerst chronifizierten Schmerzpatient:innen an mehr als dem Doppelten der bestehenden Ambulanzen fehlt. „Die Zahlen zeigen zudem, dass in den verbliebenen Schmerzambulanzen zunehmend invasive Behandlungen durchgeführt werden, während der multimodale Schmerztherapieansatz, der von der ÖSG empfohlen wird, immer seltener in der Praxis umgesetzt wird“, bedauert Prim. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar, Generalsekretär der ÖSG. Trotz dieser Herausforderungen gibt es auch positive Entwicklungen: „Mit dem von der Ärztekammer beschlossenen Zertifikat für Schmerztherapie wurde ein großer Schritt in Richtung besserer Versorgung gemacht. Dieses Zertifikat gewährleistet eine hohe Behandlungsqualität und stärkt die interdisziplinäre Zusammenarbeit“, so Likar.

Versorgungssicherheit bei Schmerzmitteln muss Priorität haben
„Der nach wie vor bestehende Mangel an Medikamenten zur Linderung starker Schmerzen zwingt uns dazu, von Leitlinien-konformen Therapien abzuweichen“, erklärte OÄ Dr.in Waltraud Stromer, Past-Präsidentin der ÖSG. Besonders Opioide sind von diesem Mangel betroffen – Medikamente, die für die Behandlung starker Schmerzen unverzichtbar sind. „Die Niedrigpreispolitik für bewährte Arzneimittel wie Morphium hat dazu geführt, dass viele Hersteller die Produktion eingestellt haben. Eine Ampulle Morphium kostet nur 95 Cent – das macht die Produktion unwirtschaftlich“, so Stromer. Sie appellierte an die Politik, die Versorgungssicherheit gesetzlich weiterhin zu priorisieren und die pharmazeutische Industrie zu verpflichten, größere Lagerbestände bereitzuhalten. Das Bundesministerium für Gesundheit habe erste Schritte unternommen, wie die Einrichtung eines Wirkstofflagers, doch die Maßnahmen reichen nicht aus. „Wir müssen dringend die Versorgung mit unverzichtbaren Schmerzmitteln sichern, um Patient:innen angemessen behandeln zu können“, schloss Stromer. Zusätzlich kritisierte Stromer die Unsicherheiten, die durch mediale Berichterstattung über Opioide entstehen: „Nach Berichten über angeblich hohe Risiken von Opioiden sind viele Patient:innen verunsichert, obwohl diese Medikamente bei kontrollierter Anwendung unverzichtbar in der Schmerzmedizin sind.“ Sie hob hervor: „Wir erleben weder in Europa noch in Österreich eine Opioidkrise, wie sie in den USA besteht. Was wir aber erleben, ist ein medialer Hype, der für schwer kranke Patient:innen mehr Risiken als Nutzen bringt.“ „Es ist unsere Aufgabe, Patient:innen besser aufzuklären und sicherzustellen, dass sie evidenzbasierte Informationen erhalten. Gleichzeitig müssen wir die Versorgung mit diesen essenziellen Medikamenten langfristig sichern“, so Stromer abschließend.

Quellen

[1] Themenbericht: Sozialer Status und chronische Erkrankungen in Wien

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