BR-Präsident Ebner: Müssen gemeinsam daran arbeiten, das Versprechen der Demokratie einzulösen
Demokratien stehen weltweit unter Druck wie schon seit Langem nicht. Mit den aktuellen Herausforderungen für die Demokratie und mit möglichen Lösungsansätzen für ihre aktuellen Krisen befasste sich heute eine Enquete des Bundesrats unter dem Titel „Demokratie braucht Zukunft – Brücken bauen, Demokratie stärken“. Auf Einladung von Bundesratspräsident Franz Ebner diskutierten Expert:innen aus Wissenschaft, Politik und Medien.
In seiner Eröffnungsrede betonte der Bundesratspräsident, dass die Demokratie zu stärken, bedeute, Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen. In einer Zeit voller Herausforderungen sei es wichtiger denn je, darüber nachzudenken, wie die Demokratie bewahrt, weiterentwickelt und zukunftssicher gemacht werden könne. Der Bundesrat wolle sich daher als „Zukunftskammer“ des Parlaments dieser Fragen annehmen.
In seiner Keynote zur Enquete stellte der Zukunftsforscher Daniel Dettling die Frage, wie angesichts eines „autoritären Megatrends“, der weltweit zu beobachten sei, die Zukunft der Demokratie gesichert werden könne. Seiner Ansicht nach liegt die Antwort in einer „populistischen Demokratie“, die Bürgerinnen und Bürger anregt, mit neuen Formen der demokratischen Teilnahme die Zukunft mitzugestalten.
Bundesratspräsident ruft zur Stärkung der Demokratie auf
„Demokratie ist kein Selbstläufer – sie ist ein stetiges Ringen, ein Projekt, das jeden Tag aufs Neue gepflegt und geschützt werden muss“, stellte Ebner in seiner Eröffnungsrede fest. Sie lebe davon, Brücken zueinander zu bauen. Das erfordere, ein echtes Interesse an den Perspektiven anderer zu haben, Kompromisse einzugehen und dem Gemeinwohl Vorrang zu geben. Nur durch einen offenen Dialog und eine echte Zusammenarbeit könne die Demokratie wachsen und ihre Stärke entfalten und in Zeiten tiefgreifender Umwälzungen Stabilität bieten. Zu beobachten sei jedoch, dass die Geschwindigkeit der modernen Kommunikation und die Flut an Informationen durch neue Medien zur Belastung für die Demokratie würden. Weiters gebe es einen Verlust an Vertrauen in Politik und Institutionen. Hier sei es die Aufgabe der Politik, Orientierungspunkte für die Bürgerinnen und Bürger zu setzen und so die Demokratie zu stärken und weiterzuentwickeln.
Angriffe auf die Demokratie gebe es durch autokratische Einflüsse, Fake News, Radikalisierungstendenzen und die Dynamik der sozialen Medien. Der Bundesratspräsident verwies dazu auf die Mitte Oktober von der Landtagspräsidentenkonferenz beschlossene Erklärung zum „Schutz der Demokratie vor den Risiken sozialer Medien“. Sie weise auf die Problematik hin, dass die Verbreitung von Fake News und Hassbotschaften das Vertrauen in die Demokratie und ihre Institutionen untergrabe. Er unterstütze daher die oft geäußerte Forderung nach einer Klarnamenpflicht im digitalen Raum. Auch online sollte jeder Verantwortung für seine Worte übernehmen. Die Landtagspräsidentenkonferenz habe sich zudem dafür ausgesprochen, soziale Medien stärker im Schulunterricht im Rahmen der politischen Bildung zu behandeln und die Medienkompetenz zu fördern wird.
Demokratiebildung sei eine zentrale Aufgabe der Parlamente. Ziel müsse es sein, die Demokratiebildung zu stärken und allen Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit zu geben, sich aktiv mit Demokratie auseinanderzusetzen, ob im Parlament, in einem Landtag oder in der Schule. Bildung sei allgemein ein zentraler Baustein für die Zukunft der Demokratie. Schulen und Bildungseinrichtungen sollten daher die junge Generation auch auf ihre Rolle als aktive Bürgerinnen und Bürger vorbereiten, forderte Ebner. Demokratiebildung, Medienkompetenz und ein fundiertes Wissen über demokratische Prozesse müssten daher zu einer Selbstverständlichkeit werden.
Die Enquete solle auch Wege aufzeigen, wie das Vertrauen in die demokratischen Strukturen zurückgewonnen und gestärkt werden könne. Demokratie sei keine Selbstverständlichkeit, sondern eine gemeinsame Verantwortung, hielt Ebner fest. Sie lebe vom Miteinander und von der Bereitschaft, für gemeinsame Werte einzutreten. Das erfordere aber gegenseitigen Respekt und damit verbunden eine gute Debattenkultur. Ebner schloss seine Rede mit dem Appell, gemeinsam daran zu arbeiten, die Demokratie zu stärken, für die kommenden Generationen zu sichern und zu zeigen, dass Demokratie das beste Modell für eine gerechte und menschliche Gesellschaft sei.
„Demokratie braucht Zukunft, weil sie mehr ist als eine Regierungsform“, sagte Ebner. „Sie ist ein Versprechen, das wir uns selbst und der Welt geben, ein Versprechen, dass wir in einer Gesellschaft leben wollen, die auf Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität beruht. Lassen Sie uns dieses Versprechen einlösen, indem wir Brücken bauen und die Demokratie stärken“.
Dettling: Demokratie ist unter Druck, aber vieles spricht für sie
Nach der Eröffnung durch den Bundesratspräsidenten hielt der Berliner Zukunftsforscher Daniel Dettling eine Keynote zum Thema „Die Zukunft der Demokratie“. Er wies einleitend darauf hin, dass viele Menschen im Blick auf eine komplexe und unübersichtliche Gegenwart ein Gefühl des Kontrollverlusts hätten. Vor allem der Mittelstand habe oft das Gefühl, nicht mehr gehört zu werden. Die Antwort darauf sei oft der „Exit“, der Versuch des Ausstiegs aus einer bestehenden Ordnung, der mit dem Versprechen verbunden sei, dass so die Kontrolle wiedergewonnen werden könne. Der „Brexit“ sei ein Beispiel für das Versprechen, eine Situation „wieder in den Griff bekommen“ zu können.
Die Demokratie stehe heute vor ihrer größten Bewährungsprobe seit den 1990er-Jahren, als es schien, dass die liberale Demokratie alternativlos und weltweit auf dem Siegeszug sei. Heute stelle sich das Modell der Demokratie jedoch nicht mehr als alternativlos dar. Selbst im Kernland der Demokratie, den USA, zeige die Wahl von Donald Trump, dass sich der „autoritäre Megatrend“ fest etabliert habe. Angesichts dieser Entwicklungen stelle sich die Frage, ob Populismus und Autoritarismus in Zukunft zunehmen oder ob sich die Demokratie als Regierungs- und Lebensform im neuen globalen Wettbewerb der Systeme und Werte durchsetzen werde.
Demokratien sind Motor für Wachstum und Wohlstand
Verbreitet bestehe die Ansicht, dass Autokratien effektiver mit Krisen umgehen könnten. Die Fakten würden jedoch eine andere Sprache sprechen, führte Dettling aus. Für demokratische Staaten spreche laut dem Forscher, dass Demokratien der Motor für Wachstum und Wohlstand seien. In Demokratien seien während der Corona-Pandemie deutlich weniger Menschen gestorben. Demokratien würden auch mehr zum weltweiten Frieden beitragen als autoritäre Systeme. Laut einer Studie des australischen Thinktanks Institute for Economics and Peace sei in Ländern, in denen Frieden herrsche, das Pro-Kopf-Wirtschaftswachstum zwischen 1945 und 2005 dreimal höher ausgefallen als in jenen, in denen dies nicht der Fall war. In den vergangenen zehn Jahren habe sich der Unterschied auf den Faktor sieben erhöht.
Derzeit lebten nur mehr etwas weniger als die Hälfte der Weltbevölkerung in Demokratien. Dettling sieht jedoch auch ermutigende Anzeichen, da in vielen Regionen der Welt emanzipative Werte wie Gleichberechtigung der Geschlechter, persönliche Entscheidungsfreiheit, Meinungsfreiheit und politische Mitwirkungsrechte wieder zunehmend stärkere Beachtung finden.
Alternativlosigkeit schafft die Zukunft ab
Ein großes Problem vieler demokratischer Systeme sei allerdings, dass sie ihre Versprechen nicht mehr einlösen könnten und viele Menschen, insbesondere Angehörige der Mittelschicht, sich nicht mehr beachtet fühlten. „Demokratien sterben, wenn die Menschen glauben, dass Wahlen nicht mehr wichtig sind“, zitierte Dettlinger den Historiker Timothy Snyder. Alternativlose Demokratie würden gleichermaßen wie populistische Autokratien den Menschen das Gefühl geben, dass sie nicht ändern könnten, und damit die Zukunft abschaffen.
Demokratie könne nicht von außen gebracht werden, sie müsse von innen gewollt und erreicht werden, sie sei eine Lebensform, die auch immer wieder erneuert werden müsse. Die Europäische Union zeige, dass Demokratie auch supranational funktionieren könne. Sie biete dafür nach Ansicht des Zukunftsforschers die Voraussetzungen, für die Zukunft und gegen die „Zukunftslosigkeit der Autokraten“ anzukämpfen. Europa werde künftig größer werden, wenn es um globale Fragen gehe, und „kleiner“ bei der Lösung von lokalen Fragen, die nach dem Prinzip der Subsidiarität gelöst werden könnten. Die Zukunft der Demokratie sieht Dettling daher auf lokaler Ebene, bei Städten und Gemeinden.
Wichtig sei auch die Stärkung des Zusammenhalts und das Erleben von Demokratie. Die Förderung von Mobilität und Austausch der jungen Europäerinnen und Europäer sei hier ein wichtiger Faktor. Die Schulen müssten Orte sein, an denen Demokratie und bürgerschaftliches Engagement erlebt und erlernt würden.
Populistische Demokratie als Alternative zu populistischer Autokratie
Ein großes Problem der Demokratien sei ihr „Präsentismus“, ihr kurzfristiger Handlungshorizont, der sich an Wahlzyklen orientiere. Das „Megathema Klimaschutz“ sei ein Beispiel für die Notwendigkeit einer Politik, die langfristige Perspektiven im Sinne der kommenden Generationen entwickle. Hier könne die Antwort nicht in der „Ökodiktatur“ liegen, sondern in einer „Klimademokratie“ der Städte und Gemeinden und engagiertes Handeln auf allen Ebenen.
Dettling sah die Möglichkeit für eine neues politisches Zeitalter: „Populistische Demokratien“, in denen die Menschen „zur Übernahme von Verantwortung verleitet“ würden, die „Mitmachdemokratie“ mit innovativen Verfahren der Beteiligung müsse die Antwort auf populistische Autokratien sein. Dettling verwies dabei auf die guten Erfahrungen mit Bürgerforen. Demokratie lebe vom Glauben an eine bessere Zukunft und dem Glauben der Bürger:innen, dass ihr Engagement etwas bewirke. „Die Zukunft kann nur von uns allen gerettet werden“, sagte Dettling. „Machen wir uns die Mühe, sie zu retten!“. (Fortsetzung Enquete) sox
HINWEIS: Fotos von der Enquete des Bundesrats sowie eine Nachschau auf vergangene Veranstaltungen finden Sie im Webportal des Parlaments. Die Enquete des Bundesrats wurde live in der Mediathek des Parlaments übertragen und ist dort als Video-on-Demand abrufbar.
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