Mangelfächer in der Medizin: "Studienförderungsprogramme" sind der falsche Ansatz | Brandaktuell - Nachrichten aus allen Bereichen

Mangelfächer in der Medizin: „Studienförderungsprogramme“ sind der falsche Ansatz

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An allen öffentlichen österreichischen medizinischen Universitäten bzw. Fakultäten werden ab dem Studienjahr 2024/25 neue Studienförderungsprogramme eingeführt. Dies sehen wir als einen Schritt in die falsche Richtung an. 

In Zukunft werden bis zu 5% der Studienplätze an den medizinischen Universitäten in Österreich ausschließlich an Personen vergeben, die sich vertraglich binden, mindestens elf Jahre nach Absolvieren ihres Studiums in einem der sogenannten Mangelfächer beim jeweiligen Vertragspartner zu arbeiten. Als Gegenleistung erhalten sie für die Dauer des Studiums monatlich eine finanzielle Unterstützung sowie nach Abschluss des Studiums einen sofortigen Basisausbildungsplatz. Aktuell kommen in Wien auf Studienabsolvent:innen aufgrund eines Mangels an Basisausbildungsplätzen Wartezeiten von bis zu 18 Monaten zu.

Prinzipiell ist dies ein Ansatz, der zumindest nicht versucht, die Anzahl der Studienplätze irrational zu vervielfachen und damit die Qualität des Studiums nicht akut gefährdet. Nichtsdestotrotz verbergen sich hinter diesem Ansatz gravierende Problematiken, auf die jedenfalls aufmerksam gemacht werden muss. 

Studienförderungsprogramme erschweren Zugang zum Medizinstudium 

Die meisten betroffenen Studienwerber:innen der Humanmedizin sind zwischen 17 und 20 Jahren alt, sie haben erst kürzlich ihre Schulbildung abgeschlossen. Auf Studienwerber:innen lastet vor dem Aufnahmetest außerdem enormer familiärer, sozialer, medialer und zeitlicher Druck. Studienförderungsprogramme machen sich diese Tatsachen zunutze, indem sie Studienwerber:innen mit der Aussicht auf ein einfacheres Bestehen des MedATs anlocken, voreilig Verträge zu unterzeichnen.  Im Rahmen des Aufnahmeverfahrens werden in Wien im Jahr 2024 die besten 692 Studienwerber:innen zum Studium zugelassen. Das entspricht den Erfahrungen der letzten Jahre nach circa den besten 10% der Bewerber:innen.

Haben die Studienwerber:innen nun im Rahmen der neuen Studienförderungsprogramme einen Vorvertrag mit einem der teilnehmenden Vertragspartnern abgeschlossen, müssen sie lediglich zu den besten 25% der Testteilnehmenden am jeweiligen Standort zählen. Damit werden die Anforderungen für das Medizinstudium für eine ausgewählte Gruppe gesenkt und steigen umgekehrt für alle anderen. 

Studienförderungsprogramme schließen internationale Studierende aus 

Aktuell können internationale Studierende aus dem Nicht-EU-Ausland maximal 5% der Studienplätze für Humanmedizin belegen. Das entspricht in Wien zur Zeit maximal 34 von 692 Studienplätzen. Die gewidmeten Studienplätze sind aktuell ebenfalls auf 5% begrenzt und werden von dem Kontingent für Nicht-EU-Studienwerber:innen abgezogen. Dadurch werden bei Ausschöpfung aller gewidmeten Studienplätze internationale Studierende vom Studium der Humanmedizin in Wien verdrängt und ausgeschlossen. „Äußerst problematisch ist hierbei, dass die betroffenen internationalen Studienwerber:innen vor dem Testtag nicht darüber Bescheid wissen können, ob sie überhaupt eine reale Chance haben, ein Studienplatzangebot zu erhalten. Nach monate-, oft sogar jahrelanger Vorbereitung könnte somit der Fall eintreten, dass Studienwerber:innen den MedAT schreiben, eine Zusage bekommen würden, aber effektiv durch die Studienförderungsprogramme, welche auf dasselbe Kontingent zugreifen, verdrängt werden“, so Anant Thind, stellvertretender Vorsitzender der ÖH Med Wien. 

Studienförderungsprogramme untergraben die Objektivität des Aufnahmeverfahrens 

Obwohl der MedAT bestimmt in manchen Punkten verbesserungswürdig ist, brachte er bisher den großen Vorteil der uneingeschränkten Objektivität mit sich. Alle Studienwerber:innen müssen unabhängig von ihrem bisherigen Lebenslauf den exakt gleichen Test absolvieren. Durch die nun abweichende Bewertung von Studienwerber:innen mit unterzeichnetem Vorvertrag wird diese Objektivität stark angegriffen. Studienwerber:innen des Studienförderungsprogrammes, die beim Test zu den besten 692 Teilnehmenden zählen und somit ein Studienplatzangebot bekommen, können von ihren Vorverträgen zurücktreten. Dadurch rutschen Teilnehmende auf die gewidmeten Studienplätze nach, welche rein objektiv nicht zu den besten 692 Testteilnehmenden zählten. Somit wird eigentlich besser abschneidenden Teilnehmenden ein Studienplatz verwehrt, sie werden von Teilnehmenden der Studienförderungsprogramme verdrängt. „Die Untergrabung der Objektivität beginnt jedoch schon vor dem Testtag, da die Auswahl der Studienwerber:innen für die Vorverträge derzeit absolut intransparent ist. Diese Veränderungen stellen eine immense Gefahr der Einflussnahme und damit der Untergrabung der Objektivität des Aufnahmeverfahrens dar“, warnt Sophie Weißgärber, stellvertretende Vorsitzende der ÖH Med Wien. 

Studienförderungsprogramme sorgen für soziale Selektion 

Die monatliche finanzielle Unterstützung, die mit den gewidmeten Studienplätzen verbunden ist, stellt einen Anreiz dar, der vor allem finanziell schwächere Studienwerber:innen anspricht. Im Falle eines Vertragsbruchs muss der gesamte bis dato erhaltene Förderungsbetrag zurückgezahlt werden. „Die substanzielle finanzielle Unterstützung ist natürlich vor allem für diejenigen attraktiv, die darauf angewiesen sind und führt damit dazu, dass diese Personen vermehrt in ein Abhängigkeitsverhältnis gedrängt werden.“ merkt Marius Polay, Studienvertreter für Humanmedizin, an. 

Der Ansatz ignoriert die ursächlichen Probleme 

Die Widmung der Studienplätze ist mit einer vertraglich eingeschränkten Wahl der Fachrichtung verbunden, um Studierende nach dem Abschluss des Studiums der Humanmedizin unabhängig von ihren Interessen in ein Mangelfach wie Allgemeinmedizin oder Kinderpsychatrie zu zwingen. Die Entstehung von Mangelfächern ist jedoch nicht durch einen Ärzt:innenmangel, Österreich hat im OECD Vergleich 2021 die dritthöchste Ärztedichte pro Kopf, oder mangelnde thematische Spannung bedingt. Mangelfächer entstehen vor allem durch schlechtere oder erschwerte Arbeitsbedingungen. Die Einschränkung auf bestimmte Fachrichtungen ist problematisch, da diese Wahl vor dem Studium fast unmöglich zu treffen ist. Die meisten meiner Studienkolleg:innen und auch ich selbst haben im Laufe des Studiums bereits öfter die Wahl der geplanten Fachrichtung geändert. Außerdem ist der nachhaltige Ansatz für die Bekämpfung von Mangelfächern die Behebung der bestehenden Probleme und Verbesserung der Arbeitsbedingungen und nicht Zwang und eine frühe Verpflichtung, so Carolin Vollbrecht, die Vorsitzende der ÖH Med Wien.

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