Dialogforum im Parlament: ÖAW-Expertin in Bezug auf Klarnamenpflicht im Netz skeptisch | Brandaktuell - Nachrichten aus allen Bereichen

Dialogforum im Parlament: ÖAW-Expertin in Bezug auf Klarnamenpflicht im Netz skeptisch

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Im zweiten Teils des heutigen Dialogforums im Parlament zum Thema "Soziale Medien als Gefahr für die Demokratie" ging es unter anderem um Handlungsempfehlungen für die Politik, die von einer Arbeitsgruppe der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) erarbeitet wurden. Unter anderem setzen die Expert:innen auf eine Vorbildwirkung von Politiker:innen und regen einen "Code of Conduct" mit ethischen Grundprinzipien für den eigenen Umgang mit Sozialen Medien an. Außerdem braucht es ihrer Meinung nach unabhängige Faktencheck-Institute und eine stärkere Förderung von Qualitätsmedien. Nichts hält Magdalena Pöschl, Professorin am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien, hingegen von einer Klarnamenpflicht: Das würde ihrer Meinung nach der Datenschutz-Grundverordnung der EU widersprechen. Zudem wolle wohl niemand den Plattformen, die ohnehin massenweise Daten von User:innen sammeln, auch noch die Klarnamen "zuspielen", meinte sie.

Am anschließenden Podiumsgespräch nahmen die Abgeordneten Nico Marchetti (ÖVP), Dagmar Belakowitsch (FPÖ), David Stögmüller (Grüne) und Henrike Brandstötter (NEOS) teil, wobei die Gefahren, die von den Sozialen Medien ausgehen, sehr unterschiedlich bewertet wurden.

"Digitaler Ordnungsruf" für Politiker:innen

Präsentiert wurden die Handlungsempfehlungen der ÖAW-Arbeitsgruppe von Matthias Karmasin, Direktor des Instituts für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Universität Klagenfurt (AAU). So schlägt die Arbeitsgruppe etwa vor, in Anlehnung an den Presserat oder den Werberat einen Ethikrat für politische Werbung und PR in Sozialen Medien einzurichten. Außerdem sollten Politiker:innen im Sinne einer Vorbildfunktion Verhaltensgrundsätze für ihren eigenen – aktiven und passiven – Umgang mit Sozialen Medien vereinbaren, deren Verletzung mit "digitalen Ordnungsrufen" geahndet werden könnte. Gleichzeitig sollten eine Reform der Medienförderung und der Inseratenvergabe dazu beitragen, Qualitätsmedien stärker zu unterstützen.

Auch europäische Plattformen, die im öffentlichen Eigentum stehen, als Gegengewicht zu bestehenden Social-Media-Riesen sowie die Stärkung von Medienkompetenz und demokratischer Bildung könnten nach Meinung der ÖAW-Expert:innen dazu beitragen, die Gefahr, die von Sozialen Medien für die Demokratie ausgeht, zu minimieren. Schließlich werden auch die Erstellung eines Monitoringberichts zur digitalen politischen Kommunikation in Österreich und die Stärkung unabhängiger Faktencheck-Institute angeregt.

Die Politik dürfe nicht hoffen und darauf warten, dass andere etwas tun, betonte Karmasin. Schließlich gehe es um die Zukunft der Zivilgesellschaft. In diesem Sinn brauche es Kontrollmechanismen. Zudem müssten die Menschen lernen, "Deep Fakes" zu erkennen und wie man auf Hassreden reagieren könne.

Belakowitsch sieht Soziale Medien nicht als Gefahr für die Demokratie

Von Seiten der Abgeordneten wurde die Notwendigkeit politischer Maßnahmen allerdings sehr unterschiedlich bewertet. So warnte etwa Dagmar Belakowitsch (FPÖ) davor, den Sozialen Medien "den Schwarzen Peter zuzuschieben". Sie selbst habe "überhaupt keine Angst vor Sozialen Medien", sondern begrüße vielmehr die Meinungspluralität und sehe Soziale Medien als Bereicherung und Chance für die Demokratie, betonte sie. Schließlich würden in Sozialen Medien Inhalte aufgegriffen, über die Politiker:innen oft nicht diskutieren wollten. Darin liege ihrem Gefühl nach auch die Angst vieler Menschen vor Sozialen Medien begründet. Soziale Medien würden in diesem Sinn weniger die Demokratie als vielmehr "die linke Deutungshoheit" gefährden, so Belakowitsch.

Für Belakowitsch stellt sich außerdem die Frage, "wo der Hass und wo die Lüge beginnen". Hass sei vielleicht einfach zu definieren, meinte sie, bei der Lüge sei aber die Frage, wo man die Grenzen ziehe. Zumal ihrer Ansicht nach auch in etablierten Medien nicht immer die Wahrheit und manchmal auch bewusst die Unwahrheit gesagt werde. Dass junge Menschen oft bis zu acht oder neun Stunden täglich in den Sozialen Medien verbringen, wertete Belakowitsch zwar als "Wahnsinn", hier sieht sie aber vor allem die Eltern und das soziale Umfeld der Kinder gefordert. Den Österreicher:innen grundsätzlich Medienkompetenz abzusprechen, will sie jedenfalls nicht.

Stögmüller warnt vor Manipulationen durch Soziale Medien

Deutlich alarmierter ist demgegenüber Grünen-Abgeordneter David Stögmüller. Die Menschen würden durch Soziale Medien massiv manipuliert und seien in einer Situation, aus der sie "nicht mehr herauskommen", warnte er. Als Beispiel nannte er etwa den Umgang in den Sozialen Medien mit dem Gaza-Krieg: Was hier auf TikTok an Propaganda und Antisemitismus laufe, sei kaum vorstellbar. Auch Frauenhass sei massiv verbreitet. Derzeit seien 96 % aller KI-generierten Inhalte noch Pornovideos, meinte Stögmüller, schon in den nächsten Monaten könnten es aber vorwiegend Nachrichten sein. Daher brauche es dringend Plattformern, wo Menschen Fotos und Videos checken könnten.

Als wichtigen Schritt im Kampf gegen Hass im Netz sieht Stögmüller den Digital Service Act (DSA) der EU. Es seien aber weitere Schritte nötig, mahnte er. Skeptisch äußerte sich Stögmüller dagegen zu einer Klarnamenpflicht, die Meinungsfreiheit sei für die Grünen ein ganz wesentlicher Punkt. Sinnvoller wäre es, Accounts zu verifizieren, wie das etwa das "Standard"-Forum mache.

Brandstötter: Klarnamenpflicht würde am Hass im Netz nichts ändern

Auch Henrike Brandstötter (NEOS) glaubt nicht, dass eine Klarnamenpflicht am Hass im Netz etwas ändern würde. Ihr seien auch schon mit vollem Namen Vergewaltigungen und Tod gewünscht worden, schilderte sie. Zudem sollten zum Beispiel junge schwule Männer vom Land die Möglichkeit haben, sich unerkannt im Netz mit anderen auszutauschen. Auch Menschen, die sich zu ihren Herkunftsländern äußern wollten, könnten das oft nur anonym tun, um ihre Familien nicht zu gefährden.

Als "großen Schlüssel" gegen Hass im Netz sieht Brandstötter die Vermittlung von Medienkompetenz. Zudem brauche es mehr Faktenchecker und mehr Geld für Qualitätsmedien. Auch ein Gütesiegel für Informationen könnte ihrer Meinung nach Sinn machen. Schließlich gebe es derartige Gütesiegel etwa auch für Lebensmittel oder für Online-Shopping. Aufgabe der Politik sei es jedenfalls, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sich Menschen in Sozialen Medien "gut bewegen können". Für Monitoring brauche es EU-weite Regelungen, das sei keine nationalstaatliche Aufgabe, unterstrich Brandstötter.

Marchetti hält Medienkompetenz für wichtigen Schlüssel

Als wichtigen Schlüssel sieht auch Nico Marchetti (ÖVP) die Förderung von Medienkompetenz. Junge Menschen würden die Gefahr durch jene, die Daten sammeln, oft nicht erkennen, gab er zu bedenken. Auch eine Klarnamenpflicht könnte seiner Ansicht nach ein Schritt sein, "aber sicher nicht der einzige". Gütesiegel beurteilt er hingegen eher kritisch, schließlich könne man diese auch fälschen.

Allgemein hielt Marchetti fest, es sei wichtig, sich mit dem Thema Soziale Medien als Gefahr für die Demokratie auseinanderzusetzen. Er hält es aber nicht für passend, "Weltuntergangsstimmung zu verbreiten". Schließlich würden Soziale Medien auch etwas bewirken, wobei Marchetti neben dem "Arabischen Frühling" Bewegungen wie Fridays for Future nannte. Auch die Parteien könnten mit Sozialen Medien Bevölkerungsgruppen erreichen, die sie sonst nicht so erreichen würden.

Pöschl: Klarnamenpflicht würde DSGVO widersprechen

Moderiert wurde das Podiumsgespräch vom Leiter der ORF-Wissenschaft Günther Mayr. Zuvor hatte Magdalena Pöschl, Professorin am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien, zum Thema "Herausforderungen für das Recht" referiert. Angesichts der "atemberaubenden Geschwindigkeit", mit der Soziale Medien Lügen und Hass verbreiten würden, sei es wichtig, sich mit der Gefahr von Sozialen Medien für die Demokratie auseinanderzusetzen, meinte sie.

Pöschl betonte, dass das Grundrecht auf Meinungsfreiheit zwar auch Meinungen und Werturteile schütze, die schockieren oder verletzen mögen, die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) hebe aber hervor, dass Meinungsfreiheit mit Pflichten einhergehe und daher auch eingeschränkt werden könne. Allerdings bestehe in der Staatengemeinschaft kein Konsens darüber, was im öffentlichen Raum gesagt werden dürfe, selbst in liberalen Demokratien würden die Grenzen der Meinungsfreiheit ganz unterschiedlich beurteilt, machte sie geltend. Und auch wenn Staaten über Grenzen hinweg einer Meinung wären, bleibe das Kontrollproblem.

Pöschl hob hervor, dass "Intermediäre" wie zum Beispiel Plattformen keine neutralen Boten von Informationen und Meinungen seien. Vielmehr würden sie durch Algorithmen die Verbreitung von Informationen steuern und sowohl über eine immense Marktmacht als auch über einen enormen Wissensvorsprung verfügen. Für einen Einzelstaat seien sie daher schwer zu regulieren, es brauche daher EU-weite Regulative.

"Durch sanften Druck zur Selbstregulierung" hat die EU nach Meinung von Pöschl sehr wohl bereits gewisse Erfolge erzielt. Allerdings habe das grundsätzlich geltende Herkunftslandprinzip dazu geführt, dass sich die Social-Media-Riesen in jenen Staaten niedergelassenen hätten, die die für sie günstigste Rechtsordnung haben, allen voran Irland. Daher seien die Erfolge auch bescheiden geblieben. Fortschritte erwartet sich die Expertin nun durch den vor kurzem in Kraft getretenen Digital Service Act (DSA), der Intermediäre umfassender reguliere. Unter anderem mit Sorgfalts- und Transparenzpflichten versuche die EU, den Wissensvorsprung und die Macht von Plattformen abzubauen. Zudem obliege die Aufsicht sehr großer Online-Plattformen nun der EU selbst. Wie stark das wirke, müsse sich allerdings erst zeigen, erklärte die Rechtsexpertin.

Der österreichischen Politik empfiehlt Pöschl, sich auf europäischer Ebene einzubringen, statt auf nationale Regelungen zu fokussieren, da grenzüberschreitende Probleme nur durch grenzüberschreitende Lösungen behebbar seien. Wenig hält sie überdies von einer Klarnamenpflicht. Diese würde wahrscheinlich dem DSA, ganz sicher aber der Datenschutz-Grundversordnung widersprechen, bekräftigte sie. Zudem fragt sich Pöschl, ob man den Plattformen, die ohnehin schon jede Menge Daten sammeln, "auch noch die Klarnamen zuspielen soll". (Schluss Dialogforum) gs

HINWEIS: Fotos vom Dialogforum finden Sie im Webportal des Parlaments.


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