TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ Ausgabe vom Montag, 11. Dezember 2023, von Anita Heubacher: „Es lebe der Parlamentarismus“
Parlamentarismus lebt vom Austausch und nicht vom festgefahrenen Rollenverständnis Regierung und Opposition. Mehr Bewegung wäre schön. Am lebendigsten sind die Parlamente, solange das Scheinwerferlicht leuchtet.
Das Klima zwischen Regierung und Opposition in Tirol ist unterkühlt. Man fühlt sich nicht wertgeschätzt. Das beruht vermutlich auf Gegenseitigkeit und ist in der Legislaturperiode vielleicht neu, weil man sich Besseres erhofft hatte, sonst aber schon lange gelebte Praxis.
So wie im Parlament in Wien sind auch im Landesparlament die Reihen am dichtesten besetzt, solange Medien vertreten sind. In der Aktuellen Stunde und in der Fragestunde erlebt der Parlamentarismus seine Sternstunde, zumindest was die nachrichtliche Aufmerksamkeit angeht. Man übt sich seitens der Abgeordneten und seitens der Regierungsmitglieder in der demokratischen Auseinandersetzung. Das Ergebnis bleibt dasselbe. Dafür sorgen Klubzwang und Mehrheitsverhältnisse. Die Regierungsparteien legen ihr Vorhaben vor, der Landtag diskutiert es und das war’s.
Mehr Bewegung steckt eigentlich in den Ausschüssen. Dort treffen Regierungsvertreter mit Parlamentariern zusammen, dort ist am ehesten Raum für Abänderung, für ein Überdenken. ÖVP und SPÖ waren vor gut einem Jahr angetreten und hatten beide einen neuen Stil versprochen. Die Opposition sollte besser und stärker miteinbezogen, Anträge nicht von vornherein abgelehnt werden. Ein Lippenbekenntnis. Denn nun wirft die Regierung der Opposition vor, die Vorhaben der Regierung allesamt abzulehnen. Umgekehrt wirft die Opposition der Regierung vor, mit ihren Anträgen dasselbe zu machen.
Im Parlamentarismus gibt es verschiedene Werkzeuge. Manche sind sehr effizient und machen Parlamentarismus lebendig. Andere lähmen ihn. Nach einem Jahr stellt sich heraus, dass die ÖVP-SPÖ-Regierung dasselbe macht wie zuvor die ÖVP-Grün-Regierung. Anträge der Opposition werden abgelehnt oder abgeändert. Überspitzt, ein Beistrich ausgetauscht, umformuliert, wieder aufs Tapet gebracht und schon ist der Antrag dieses Mal angenommen, weil er von einer der Regierungsparteien kommt.
Im Jammertal der abnehmenden Wichtigkeit der Landesparlamente finden sich auch Parlamentarier mit eingeschränktem Selbstbewusstsein. Vor allem in größeren Fraktionen sucht man oft umsonst ein Mitteilungsbedürfnis oder weiß erst nach intensivem Nachdenken, wer denn nun BereichssprecherIn ist.
Der Parlamentarismus ist ein hohes Gut, das international auf dem Prüfstand ist und sogar angegriffen wird. Gegenseitige Wertschätzung von Regierung und Opposition wäre ein Mittel, um das Ansehen und die Wertigkeit unserer Parlamente zu heben.
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