TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ vom 23. September 2023 von Peter Nindler „Mauscheln, widmen, wegsehen“
Die BürgermeisterInnen sollten endlich die Gnade haben, die Bodenpolitik an die Bezirksbehörden weiterzureichen. Auf einen Schlag wären sie Interessenkonflikte los und kämen gar nicht mehr in die Verlegenheit zu mauscheln.
Ob windige Grundstückstransaktionen, Baulandwidmungen oder Bodenfraß: Die Konfliktzonen haben ihre Wurzeln immer in den Gemeinden, schließlich wollen die Kommunalpolitiker die Widmungshoheit bzw. die Zuständigkeiten für Grund und Boden nicht aufgeben. Trotz vielfacher Interessenkonflikte, Eigennutz von Gemeindemandataren und Mauscheleien.
Oft sind nicht zuletzt diejenigen Profiteure eines vielfach undurchsichtigen Systems, die an den Schalthebeln der Macht sitzen. Weil sie über einen Wissensvorsprung verfügen und den für sich zu nützen wissen. Wer den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern allerdings (politisch) nicht zu Gesicht steht, dem werden bei Widmungs- oder Bauansuchen dann Prügel vor die Füße geworfen.
Die dubiosen Grundstücksdeals von Gemeindebundpräsident Alfred Riedl (VP) im niederösterreichischen Grafenwörth sowie die Widmungsgewinne von vier SPÖ-Politikern in einem Wiener Kleingartenverein sind nur die Spitze des Eisbergs. Sie zeigen nicht nur die Schwächen der heimischen Bodenpolitik auf, sondern auch die Schamlosigkeit von manchen so genannten Volksvertretern. Die meist abgehoben agieren, aber in den entscheidenden Momenten sprichwörtlich am Boden bleiben.
In Tirol wiederum sollen Gewerbeflächen auf bestem Ackerland durchgedrückt werden, für die Kommunalsteuer werden auf der grünen Wiese Supermärkte forciert und bei den illegalen Freizeitwohnsitzen wird zu wenig hingeschaut. Gleichzeitig gibt es in den 277 Gemeinden und Städten nur 26 Hektar ausgewiesene Vorbehaltsflächen für den sozialen Wohnbau. Demgegenüber steht ein Baulandüberhang von 3500 Hektar. Durch Gefälligkeits- oder Vorratswidmungen wurden Grundstücke in der Vergangenheit über Nacht um ein Vielfaches mehr wert. Jetzt sind diese Bauland-
immobilien Spekulationskapital.
Eigentlich hätte sich in den Gemeinden schon längst die Sozialpflichtigkeit von Grund und Boden breitmachen sollen, doch das Gegenteil ist der Fall. Von Jahr zu Jahr schnalzen die Grundstückspreise weiter nach oben. Für die verfehlte Bodenpolitik ist übergeordnet die Landesregierung verantwortlich. Die Gemeinden müssten jedoch endlich das Einsehen haben, dass sie die Kompetenzen dafür an die Bezirksbehörden abgeben sollten. Zum einen verstellt vielerorts der Kirchturm im Dorf den Blick aufs große Ganze. Andererseits wären die Bürgermeister von vielen Interessenkonflikten befreit und kämen gar nicht mehr in die Verlegenheit, im Hinterzimmer zu mauscheln.
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