"2008-2018: Dürre Jahre", OÖNachrichten-Leitartikel von Gerald Mandlbauer | Brandaktuell - Nachrichten aus allen Bereichen

„2008-2018: Dürre Jahre“, OÖNachrichten-Leitartikel von Gerald Mandlbauer

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Linz (OTS) – Vor ziemlich genau zehn Jahren ist die US-Investmentbank Lehman Brothers spektakulär pleitegegangen und hätte beinahe die Weltfinanz zu Fall gebracht. Nur mit Mühe konnten Notenbanken und Politik die Volkswirtschaften und das Geldsystem vor dem Kollaps retten. Die Folgen dieses Absturzes im Herbst sind hinlänglich bekannt, die Kapitelüberschriften dazu lauten Euro-Krise, Griechenland, eine viele Jahre währende Rezession, Bankpleiten auch in Österreich (Hypo Alpe Adria), Null- bzw. Negativzinsen, Sparpakete.
Die Folgen wirken bis heute nach und in die Zukunft hinein. Pointiert gesagt, ging damals eine alte Ordnung zugrunde. Unsere bisherige Erwartung, seit 1945 geprägt von fortwährendem Aufschwung, ist zerstoben. Der Krisenmechanismus der Zentralbanken, notwendig, um noch dramatischere Folgen abzuwenden, hat durch die Flutung der Märkte mit billigem Geld in Europa mit voller Wucht den Mittelstand getroffen.
Die Sparer spüren es am deutlichsten. Wohlstand wurde mit niedrigen Zinsen von den Privaten zu den Staaten umgeschichtet, die auf diese Weise ihren Schuldendienst reduzieren.
Betrachtet man diese Gemengelage aus dem Abstand von zehn Jahren (was die OÖN ab Dienstag in Form einer Kurzserie tun werden), stellt sich die Frage, ob diese mageren Jahre mit stagnierenden Einkommen und lähmenden Debatten über die Zukunft des Euro zur Verunsicherung und damit zum Vertrauensverlust der Demokratie mehr beigetragen haben als die derzeit als monokausale Begründung genannte Migrationswelle. Offen ist, ob die notwendigen Lehren aus diesem Zerfall einer alten Ordnung gezogen worden sind. Auf Lehman folgte erst einmal der große Kater. Eine neue weltweite Finanzarchitektur müsse her, hatte es geheißen. Gier müsse eingedämmt, toxische Produkte müssten verboten, die Aufsicht verschärft werden.
Davon ist nicht nichts umgesetzt worden. Banken müssen heute ihre Geschäfte mit viel mehr Eigenkapital hinterlegen. Europa hat, als Herzstück seiner Bankenrichtlinie, für den Fall weiterer Großpleiten einen komplizierten Absicherungsmechanismus entwickelt. Doch um die ursprünglichen Absichten einer Fesselung der Finanzindustrie, einer Zerschlagung der größten und systemrelevanten Institute, der Besteuerung von Spekulation und Einführung eines Trennbankensystems ist es auffallend ruhig geworden. Boni wachsen weiter in den Himmel, systemrelevante Institute sind übermächtig geblieben, es herrscht Regulierungswut, aber diese trifft die Falschen.
Am schwersten wiegt allerdings die Tatsache, dass die Schuldenpolitik im Westen als Hauptauslöser der Ursprungskrise keine Umkehr bewirkt hat. Der Schuldenstand der Welt ist 2018 höher als 2008. Die Notenbanken haben so viel Pulver verschossen, dass fraglich ist, ob noch die Mittel vorhanden sind, um auf eine neuerliche Krise adäquat reagieren zu können. Und das billige Geld hat die Vermögen eines Teils der Bevölkerung sprunghaft steigen lassen. Ist nach der Blase vor der Blase? Dazu kommt, dass die US-Notenbank seit drei Jahren die Zinsen erhöht, dies bringt bei den USA verschuldete Schwellenländer in Not.
Vermögende sind besser durch diese zehn Jahre gekommen, weil sie die Mittel hatten, ihr Vermögen breiter zu streuen. Während klassische Einlagen keinen Zinsertrag mehr bieten, haben sich Aktien und Immobilieninvestments hervorragend entwickelt. Das sehen einige Untergangspropheten als Zeichen neuerlicher Überhitzung und Vorbote des nächsten Crashs.
Die in der Geldanlage besonders unbeweglichen Österreicher waren in diesem Szenario gleich zweifach die Geschnapsten. Sie blieben in der Doppelmühle der Geldanlage gefangen. Als Aktienmuffel haben sie erstens die positiven Effekte niedriger Zinsen auf die Aktienmärkte als Chance links liegen gelassen und zweitens trotzdem die Auswirkungen niedriger Zinsen auf die Spareinlagen zu tragen gehabt. Auf diese Weise rächt sich die hierzulande betriebene Diffamierung der Aktie als Spekulationspapier. Vermögensstreuung, ein Fremdwort in der durchschnittlichen österreichischen Geldanlage. Dieses Versäumnis geht in die Milliarden. Auch das sollte den Österreichern gesagt werden, wenn sie die Erosion des Mittelstandes beklagen. Nicht alles ist fremde Schuld.

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