Kommentare in „Die ganze Woche“ enthalten falsche Darstellungen
Nach Auffassung des Senats 3 des Presserats verstoßen die Kolumnen „Auf dem Weg in die Regierungsdiktatur“, „WHO-Pandemievertrag: Weltdiktatur statt Weltgesundheit“ sowie „So wird George Orwells ‚Wahrheitsministerium‘ der Willkür zur Wirklichkeit“, alle erschienen in „Die ganze Woche“, gegen Punkt 2.1 des Ehrenkodex für die österreichische Presse (gewissenhafte und korrekte Wiedergabe von Nachrichten).
Im Beitrag „Auf dem Weg in die Regierungsdiktatur“ heißt es, dass die Bundesregierung ähnliches vor habe wie Bundeskanzler Dollfuss während der Zeit des Ständestaates. Das geplante „Krisensicherheitsgesetz“ sei ein massiver Anschlag auf die Demokratie; es sehe vor, dass die Regierung im Krisenfall Zwangsmaßnahmen, etwa Grundrechtseinschränkungen wie „Lockdowns“, per Verordnung durchsetzen könne. Das Parlament oder der Verfassungsgerichtshof habe keine Möglichkeit, korrigierend einzugreifen. Die Autorin schreibt von einem Attentat auf Demokratie und Grundrechte und einer „Regierungsdiktatur“ im 21. Jahrhundert.
Nach Meinung des Senats wollte die Autorin des Artikels bei den Leserinnen und Lesern offenbar den falschen Eindruck erwecken, dass die Bundesregierung bei Krisen künftig im Alleingang handeln könne, ohne Mitwirkung bzw. Überprüfungsmöglichkeiten durch das Parlament und die unabhängigen Gerichte. Dieser Eindruck wird durch mehrere drastische bzw. zugespitzte Formulierungen im Beitrag verstärkt. Tatsächlich muss die Bundesregierung bei der Feststellung einer Krise dem Gesetzesentwurf zufolge das Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrats herzustellen. Auch die Prüftätigkeit der Verwaltungsgerichte und des Verfassungsgerichtshofs wird durch den Entwurf nicht beeinträchtigt.
Im Beitrag „WHO-Pandemievertrag: Weltdiktatur statt Weltgesundheit“ behauptet die Autorin, dass mit dem neuen „Pandemievertrag“ sämtliche Kompetenzen der Mitgliedsstaaten beseitigt und Grund- und Menschenrechte keine Rolle mehr spielen würden. Die Äußerung der Autorin, dass der Generaldirektor der WHO völlig alleine bzw. ohne Mitwirkung anderer entscheiden könne, bewertet der Senat als Falschinformation. Zudem stuft es der Senat als inkorrekt ein, dass die Grundrechte mit diesem Vertrag ausgehebelt würden.
Schließlich merkt der Senat an, dass der „WHO-Pandemievertrag“ seit geraumer Zeit in einschlägigen Kreisen für die Verbreitung von Verschwörungserzählungen genutzt wird; Pandemien würden als bloßer Vorwand zur Erlangung einer „Weltdiktatur“ dienen. Die Autorin reflektiert diesen Umstand offenbar nicht, sondern merkt stattdessen selbst an, dass eine weitere „Verschwörungstheorie“ bald Realität werden könnte; dieser Eindruck wird durch mehrere tendenziöse Formulierungen im Beitrag untermauert (u.a. „Weltdiktatur“, „Putsch von oben“, „autoritäre Weltregierung“). Die Senate des Presserats haben bereits zuvor festgehalten, dass die (unreflektierte) Wiedergabe einer Verschwörungstheorie den Vorgaben des Ehrenkodex diametral widerspricht.
Im dritten Beitrag „So wird George Orwells ‚Wahrheitsministerium‘ der Willkür zur Wirklichkeit“ vermittelt die Autorin den Leserinnen und Lesern den falschen Eindruck, dass man in Deutschland bereits dafür verurteilt werden könne, dass man dem Westen eine Mitschuld am russischen Angriffskrieg auf die Ukraine gebe. Nach Meinung des Senats erscheint dies abwegig: Zahlreiche prominente Personen vertreten in Deutschland öffentlich die Auffassung, dass eine wesentliche Ursache für den aktuellen Angriffskrieg die Ausweitung der NATO nach Osten sei. Strafrechtlich relevant sind diese Meinungsäußerungen selbstverständlich nicht. Die wiederholte Anspielung im Beitrag auf George Orwells Wahrheitsministerium ist nach Auffassung des Senats daher verfehlt.
Alle drei Beiträge verstoßen somit gegen Punkt 2.1 des Ehrenkodex, wonach es die oberste Verpflichtung von Journalistinnen und Journalisten ist, Nachrichten gewissenhaft und korrekt wiederzugeben. Der Senat betont, dass wesentliche Informationen auch in Kolumnen und Kommentaren nicht falsch dargestellt werden dürfen.
SELBSTÄNDIGES VERFAHREN AUFGRUND EINER MITTEILUNG EINES LESERS
Der Presserat ist ein Verein, der sich für verantwortungsvollen Journalismus einsetzt und dem die wichtigsten Journalisten- und Verlegerverbände Österreichs angehören. Die Mitglieder der Senate des Presserats sind weisungsfrei und unabhängig.
Im vorliegenden Fall führte der Senat 3 des Presserats aufgrund einer Mitteilung eines Lesers ein Verfahren durch (selbständiges Verfahren aufgrund einer Mitteilung). In diesem Verfahren äußert der Senat seine Meinung, ob eine Veröffentlichung den Grundsätzen der Medienethik entspricht. Die Medieninhaberin der Wochenzeitschrift „Die ganze Woche“ hat von der Möglichkeit, am Verfahren teilzunehmen, keinen Gebrauch gemacht.
Die Medieninhaberin der Wochenzeitschrift „Die ganze Woche“ hat die Schiedsgerichtsbarkeit des Presserats bisher nicht anerkannt.
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