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Stenographische Protokolle: Ein bewährtes Instrument wird zukunftsfit

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Sie sind fester – und auch sichtbarer – Bestandteil der Debatten im österreichischen Parlament: die Mitarbeiter:innen der Abteilung „Stenographische Protokolle“ an ihren Tischen in den Sitzungssälen von Nationalrat und Bundesrat. Der Großteil der Arbeit, die notwendig ist, um zu einem fertigen Protokoll zu gelangen, bleibt der Öffentlichkeit aber verborgen. Zu den Aufgaben der Abteilung gehören auch die fortgesetzte Reflexion zur Weiterentwicklung der eigenen Arbeitsweise und der Austausch mit Fachkolleg:innen.

Mit aktuellen Entwicklungen der protokollerstellenden Abteilungen im Dienst der demokratischen Öffentlichkeit setzt sich eine Konferenz der Parlamentsstenograf:innen „Verband der Parlaments- und Verhandlungsstenografen e. V.“ auseinander. Der deutsche Fachverband hält auf Einladung der Abteilung „Stenographische Protokolle“ des österreichischen Parlaments vom 3. bis 5. Oktober erstmals seine Jahrestagung in Wien ab.

Im Zentrum der Fachtagung steht die Rezeption von Parlamentsprotokollen in Wissenschaft und Gesellschaft. Außerdem werden 175 Jahre „Stenographische Protokolle“ im österreichischen Parlament sowie die heutige Arbeitsweise beleuchtet. Die Parlamentskorrespondenz hat sich im Vorfeld der Tagung an die Abteilung „Stenographische Protokolle“ gewandt, um Genaueres zu erfahren. Abteilungsleiterin Bettina Brixa und ihre Mitarbeiter:innen Mareen Pöschl und Dario Summer haben Antworten gegeben.

Parlamentskorrespondenz: Der „Verband der Parlaments- und Verhandlungsstenografen e. V.“ ist ein deutscher Fachverband für Parlamentsstenograf:innen. Gibt es eine ähnliche Organisation in Österreich?

Bettina Brixa: Nein. Das liegt wohl daran, dass in Österreich nur das Parlament selbst groß genug ist, um eine Abteilung zu haben, die Protokolle in entsprechendem Leistungsumfang zeitnah zur Verfügung stellt. Wir stehen allerdings schon seit vielen Jahren mit dem deutschen Verband in Austausch. Dieser Austausch ist für uns auch deshalb wertvoll, weil wir viele ähnliche Herausforderungen haben. Mit dem Bundestag haben wir viele Gemeinsamkeiten aufgrund der Tatsache, dass er auch ein nationales Parlament ist; mit vielen Landesparlamenten verbinden uns wiederum die Größe sowohl der Abteilung als auch der Gremien und damit verbunden die Ressourcen, die zur Verfügung stehen.

Wir stehen aber vor allem seit der von uns organisierten Fachtagung zu sprecher:innenunabhängigen Spracherkennungssystemen im Praxiseinsatz in Parlamenten auch mit den österreichischen Landtagen stärker in Austausch.

PK: Gibt es eine regelmäßige Zusammenarbeit der „Stenographischen Protokolle“ mit dem deutschen Verband? Worüber tauscht man sich aus?

Bettina Brixa: Ja, unsere Abteilung steht regelmäßig im Austausch mit dem Verband. Es gab zum Beispiel unlängst eine Arbeitsgruppe des Verbands zum Thema barrierefreie Plenarprotokolle. Die Ergebnisse und das geteilte Know-how waren auch für uns ein Anstoß, das diesbezügliche Angebot weiter zu verbessern.

Bei den jährlich stattfindenden Fachtagungen werden verschiedenste Themen, die protokollerstellende Abteilungen betreffen, erörtert: Wie kann Spracherkennung als unterstützende Technologie am besten eingesetzt werden? Was sind die Herausforderungen bei der Protokollierung von Untersuchungsausschüssen? Welche neuen sprachlichen Entwicklungen gibt es und was bedeuten diese für eine Protokollierung des gesprochenen Wortes? Wie geht man in politisch turbulenten Zeiten, in denen parlamentarisch viel Unvorhergesehenes passiert, mit knappen personellen Ressourcen um? Wie geht man mit Dialekt um? Wie geht man mit offensichtlichen Versprechern um, vor allem angesichts der parallelen Veröffentlichung von Video und Protokoll? – und viele weitere Fragen.

PK: Die Stenographischen Protokolle im österreichischen Parlament gibt es nun seit 175 Jahren. Die Arbeitsweise hat sich stark verändert. Gelten für die Erstellung von Protokollen aber noch immer dieselben Richtlinien wie vor 175 Jahren oder hat sich da etwas Wesentliches verändert? Erwartet man sich von einem Protokoll heute etwas anderes als vor 100 Jahren?

Bettina Brixa: Gleich geblieben ist der Anspruch, das Geschehen im Parlament möglichst gut für die Öffentlichkeit transparent zu machen. Die Arbeitsweise verändert sich aber ständig. Protokollabteilungen sind gewöhnlich, auch wenn aufgrund des traditionellen Namens oft ein anderer Eindruck entsteht, technisch sehr innovativ. Die Stenografie selbst war in Zeiten ihrer Erfindung eine sehr innovative Technologie, weil sie es ermöglichte, rasch und im Wortlaut aus den neu entstandenen Parlamenten zu berichten. Auch die Tatsache, dass wir mit dem Einsatz von Spracherkennung beginnen, zeigt ja, dass wir unsere unterstützenden Technologien ständig der Zeit anpassen.

Ziel war immer schon, rasch und authentisch Debatten im Wortlaut öffentlich zu machen. Dabei war stets eine redaktionelle Bearbeitung der Reden nötig, denn die freie Rede folgt anderen Gesetzen als die Ansprüche an einen schriftlichen Text. Man darf nicht vergessen, dass Reden im Kontext der Debatte und der Zeit oft auch dann verständlich sind, wenn sie Auslassungen und Ungenauigkeiten enthalten. Wir sind dafür verantwortlich, dass sie auch aus der zeitlichen oder kontextuellen Distanz noch verständlich sind. Es darf aber natürlich inhaltlich nichts verändert werden.

Verändert hat sich selbstverständlich auch die Geschwindigkeit: Teile des vorläufigen stenografischen Protokolls von Plenarsitzungen sind in derselben Nacht, der Rest im Laufe des folgenden Tages im Internet verfügbar. Genaueres lässt sich nachlesen unter:

Geschichte der Stenographischen Protokolle.

PK: Die Fachtagung widmet sich der „Rezeption von Parlamentsprotokollen in Wissenschaft und Gesellschaft“. Was ist damit genau gemeint?

Mareen Pöschl: Bei der Tagung geht es unter dem Begriff „Rezeption“ nicht nur darum, wer Protokolle liest, sondern vor allem, wie Auswertungen von Protokollen erfolgen, Stichwort Open Data und automatisationsunterstützte Auswertungen. Sehr viele politikwissenschaftliche Fragestellungen werden mithilfe solcher Analysen von Protokollen beantwortet. Und politikwissenschaftliche Studien finden dann oft via Medien ihren Weg in die breite Öffentlichkeit.

PK: Und warum interessieren sich die Stenograf:innen für diese Frage?

Mareen Pöschl: Weil die Art und Weise, wie wir Protokolle erstellen und Daten erfassen, Auswirkungen auf die Art und Weise hat, wie sie später genutzt werden können. Wir arbeiten dafür auch mit den für die Open-Data-Schnittstelle Verantwortlichen zusammen. Zudem erörtern wir das Thema auch immer wieder abteilungs- und dienstübergreifend in verschiedenen Gremien wie zum Beispiel dem Data Governance Qualitätszirkel Parlamentarische Materialien, dem wir angehören.

Bettina Brixa: Zudem ist aus einer Initiative des Leiters der Abteilung „Parlamentswissenschaftliche Grundsatzarbeit“, Christoph Konrath, ein Austausch mit Studierenden und Wissenschaftler:innen entstanden, im Rahmen dessen wir besser verstehen, wie mit der Quelle Stenographische Protokolle gearbeitet wird und was benötigt wird. Andererseits können Studierende und Wissenschaftler:innen besser verstehen, wie, in welchem Kontext und nach welchen Kriterien die Quelle entsteht und funktioniert.

PK: Ich hätte noch einige Fragen, die Leser:innen zu Stenographischen Protokollen interessierten könnten. Wird im österreichischen Parlament eigentlich immer noch stenografiert?

Bettina Brixa: Ja. Die Verwendung von Spracherkennung und die Verwendung von Stenografie schließen einander nicht aus, im Gegenteil: Beide sind für ihren Einsatzbereich gut geeignete Hilfsmittel: Während die Spracherkennung dabei helfen kann, das Tippen des ersten Transkripts zu ersetzen und so den Prozess zu beschleunigen, ist das Mitstenografieren von z.B. Zwischenrufen nach wie vor ein sehr effizienter Weg, das Geschehen im Saal abseits der Reden zu erfassen. Beides ist aber nur das Rohmaterial, aus dem dann durch Recherche, redaktionelle Bearbeitung und Ergänzung der Beobachtungen im Saal ein gutes Protokoll wird.

PK: Wie viele Stenograf:innen beschäftigt das Parlament?

Bettina Brixa: Die Abteilung hat 16 Vollzeitarbeitsplätze. Aufgaben sind neben der Erstellung von Sitzungsprotokollen zum Beispiel auch das Lektorat (von Foldern über Berichte und Fachdossiers bis hin zu Handbüchern und Publikationen) oder die Mitarbeit an der digitalen Barrierefreiheit (alle audiovisuellen Inhalte der Website müssen auch eine Textalternative haben, die von uns erstellt wird).

PK: Wie viele Menschen in etwa werden bei der Erstellung des Stenographischen Protokolls einer Sitzung tätig?

Bettina Brixa: Bei einer Plenarsitzung verstärken auch freie Dienstnehmer:innen das Team, damit die Veröffentlichung zeitnah (siehe oben: noch in derselben Nacht bzw. im Laufe des nächsten Tages) erfolgen kann. Es arbeiten durchschnittlich an einer Sitzung: 8 bis 10 Eingabekräfte, die einmal ein Rohtranskript erstellen (über Kopfhörer mithilfe der Audioaufnahme der Sitzung), 18 Stenograf:innen, die zuerst 10 Minuten im Saal alles erfassen, was nicht auf der Aufnahme zu hören bzw. zuzuordnen ist (Beifall, Zwischenrufe, Aktionismus usw.). Sie haben bis zu ihrem nächsten Einsatz im Saal etwa 2,5 Stunden Zeit, aus 10 Minuten Rede ein Protokoll zu erstellen, das vorerst einmal parlamentsintern zur Verfügung steht.

Weiters braucht es 3 Endredakteure oder Endredakteurinnen, die erstens die Revision des Protokolls vornehmen und zweitens quasi als Chef vom Dienst Ansprechpersonen und Troubleshooter für alle Belange sind (Protokollanforderungen vom Präsidium, technische Probleme, kurzfristige Turnusänderungen, sprachliche und inhaltliche Zweifelsfälle etc.).

PK: Angesichts des durch neue Technologien getriebenen Medienwandels stellt sich die Frage: Wird sich die Arbeitsweise bei der Protokollerstellung weiter verändern? Könnte – zumindest ein Teil – der heutigen Arbeitsschritte etwa irgendwann durch KI unterstützt oder ersetzt werden?

Dario Summer: Natürlich, wir wissen, die Einführung neuer Technologien wie Schreibmaschinen, Audioaufzeichnungen und Computer haben die Arbeitsprozesse verändert – und das wird auch heutzutage so sein -, das Ziel ist aber immer dasselbe geblieben: die Öffentlichkeit am demokratischen Diskurs teilhaben zu lassen. So setzen wir uns wie unsere Vorgänger:innen seit 175 Jahren – damals war die Stenografie ein sehr innovatives Instrument, um Reden schriftlich aufzunehmen – auch heute mit neuesten Technologien wie KI oder Speech-to-Text-Systemen auseinander. Gemeinsam mit der IKT entwickeln wir gerade ein neues Redaktionssystem, den Sitzungsnavigator, und planen die Entwicklung eines automatisierten Spracherkennungssystems, das uns beim Erstellen von Protokollen und Transkripten unterstützen kann.

Wir sind uns also sehr bewusst, dass neue Technologien für unsere Arbeit unglaublich wertvolle Instrumente sein können, und werden nicht müde, diese zu testen und in unsere Prozesse zu implementieren. Es hat sich dabei gezeigt, dass unser seit 175 Jahren etablierter Prozess mit all seinen Kontrollschleifen sehr zukunftsfit ist und dass sich neue Technologien sehr gut in diesen Prozess integrieren lassen und dabei helfen, der Öffentlichkeit ein noch zugänglicheres und breiteres Angebot zur Verfügung zu stellen.

Nachdem heute alle Reden auch aufgezeichnet werden – wird eigentlich infrage gestellt, ob man Stenographische Protokolle auch in Zukunft weiter brauchen wird?

Dario Summer: Natürlich wird diese Frage regelmäßig gestellt, und sie lässt sich von allen, die bereits mit Plenarprotokollen gearbeitet haben, leicht beantworten. Das Protokoll ist eine validierte sichere Quelle, die eine Plenarsitzung mit all ihren Inhalten im vollen Umfang (das reicht von Volltexten von Anträgen über Abstimmungsergebnisse von namentlichen Abstimmungen bis hin zu Geschehnissen im Saal wie Beifall, Zwischenrufe oder Aktionismus) darstellt – dabei ist sie auch noch sehr leicht durchsuchbar und durch eine klar definierte Struktur übersichtlich gestaltet. Mit zahlreichen im Hintergrund eingebetteten Metainformationen kann sie nicht nur von menschlichen Nutzer:innen, sondern auch mittels maschineller Hilfe sehr gut ausgewertet werden. Da kann eine Audio- oder Videodatei einer Sitzung nicht mithalten. (Schluss) sox

HINWEIS: Fotos von dieserFachtagung finden Sie im Webportal des Parlaments.


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