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Quo vadis Patientensteuerung? – „Das System ist am Limit“

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Wie kann eine effiziente Patientenlenkung künftig dazu beitragen, die Ressourcen im Gesundheitssystem optimal zu nutzen, wie werden die Krankenhäuser entlastet, wie kann die Gesundheitskompetenz der Österreicher:innen gesteigert werden? In der Runde debattierten Gesundheitslandesrätin Cornelia Hagele, Martin Schaffenrath (Mitglied Verwaltungsrat ÖGK), Universitätsprofessor Harald Stummer (Leiter Institut für Management und Ökonomie im Gesundheitswesen, UMIT) sowie Stefan Kastner, Präsident der Ärztekammer für Tirol.

Das österreichische Gesundheitssystem zählt nach wie vor zu den besten der Welt. Jedoch gibt es zunehmend Problemstellungen. Viele Leistungen, die bei niedergelassenen Ärzt:innen kostengünstiger möglich wären, werden derzeit in Spitälern erbracht. Ambulanzen sind vielfach überfüllt. Kostensteigerungen und Personalmangel gefährden die hohe Versorgungsqualität. Viele Kassenstellen sind aktuell – auch aufgrund mangelnder Attraktivität (Stichwort Honorarverhandlungen) – unbesetzt, lange Wartezeiten für die Patient:innen sind die Folge. Es ist daher umso wichtiger, die Lenkung der Patient:innenströme strukturierter und konsequenter aufzustellen.

„Wir müssen Ressourcen optimal einsetzen, um das Maximum herauszuholen. Föderalismus und Finanzierungsströme haben sich leider so entwickelt, dass sie eine vernünftige Patientensteuerung behindern“, sagt Tirols Ärztekammerpräsident Stefan Kastner. Ein großes Problem verortet er darin, dass das einst erfolgreiche Modell des Hausarztes als Drehscheibe in der Patientenversorgung schrittweise verlassen wurde. Es müsse wiederbelebt werden. „Vor Einführung der e-card gab es drei verschiedene Krankenscheine, die den Zugang zum Krankenhaus oder zum fachärztlichen Bereich reglementierten. Seitdem es die e-card gibt, ist der Weg in die Ambulanzen und zum Facharzt nahezu ungehindert. Der Hausarzt hat viel von seiner Gatekeeper-Funktion verloren. Er hat früher entschieden, ob etwas akut ist oder noch warten kann, jetzt macht das der Patient.“ Patientensteuerung bedeute laut Kastner nicht nur vom Spital in die Niederlassung zu verschieben, es gehe darum, wo die Patienten:innen am besten aufgehoben seien. „Die Patient:innen selbst wissen das oftmals gar nicht, da wir hierzulande im Vergleich mit Resteuropa eine relativ schlechte Gesundheitskompetenz aufweisen. Sie brauchen Orientierung im System.“ Abhilfe schaffen können demnach etwa eine Steigerung der Gesundheitskompetenz oder eine telefonische Beratung im Akutfall.

„Bei einer Umfrage zum Thema Gesundheit haben 33 % der Befragten gesagt, dass sie sich im Gesundheitssystem orientierungslos fühlen. 43 % gehen außerhalb der normalen Zeiten zum ärztlichen Bereitschaftsdienst. 22 % gehen nicht zum Allgemeinmediziner, sondern in die Notfallambulanz“, erläutert Martin Schaffenrath. „Wir haben auch schwere Mängel in der Gesundheitskompetenz festgestellt. Das gehört in die Schulen als Teil des Unterrichts.“

Mix aus Bonifikationen und Sanktionen

„Es gibt einen Riesenunterschied zwischen Bedürfnis und Bedarf. Wir haben hierzulande eine Mentalität, dass alles sofort sein muss. Mit einer Stärkung der telefonischen Gesundheitsberatung 1450 könnte ein großer Teil der niedrig priorisierten Krankentransporte reduziert werden. Aber es gibt leider hier in der Bevölkerung noch vielfach Ressentiments“, sagt LRin Cornelia Hagele. „Wir müssen 1450 sicherlich noch stärker bewerben. Den Menschen muss klarer werden, was geht und was nicht. Wir müssen aufklären und die Selbstverantwortung der Bürger:innen in den Vordergrund rücken.“

„Das System ist extrem träge. Es entsteht das Gefühl, dass diejenigen, die sich nicht ans System halten, alles bekommen – und diejenigen, die sich daran halten, müssen zu lange auf Termine warten“, stellt Universitätsprofessor Harald Stummer fest. Er hebt hervor, dass die Telekonsultation über die Rufnummer 1450 in anderen Bundesländern bereits sehr gut funktioniere. „In Wien halten sich 70 Prozent der Anrufer:innen an die Empfehlungen, das führt zu massiv weniger Krankentransporten. Und in Oberösterreich kommt es zu einer Priorisierung in der Ambulanz innerhalb der Triagegruppe, wenn vorher 1450 gewählt wurde.“ Stummers Fazit: Bestehende Strukturen wie 1450 und Care Management nutzen, Anreize schaffen (Beispiele Wartezeit, Öffnungszeiten, Koordination) sowie Prävention und Gesundheitsförderung forcieren.

„Wir reden schon zu lange. Das System ist am Limit, es muss sich etwas ändern“, so Stefan Kastner. „Die Umstellung auf die digitale Beratung sowie die Stärkung der niedergelassenen Strukturen brauchen eine entsprechende Finanzierung und werden erst mittelfristig Kosten senken können. Das im Zuge der Gesundheitsreform propagierte ‚Digital vor ambulant vor stationär‘ hat eine Schwachstelle: kein Zugriff auf ELGA-Daten. Effiziente telemedizinische Beratungen benötigen eine Weiterentwicklung der ELGA mit Befunden aus dem intra- und extramuralen Bereich sowie eine Art ‚Patient Summary‘.“

Nur ein Mix aus Bonifikationen und Sanktionen könne letztlich eine erfolgreiche Patientensteuerung möglich machen und so die knapper werdenden Ressourcen im Gesundheitsbereich schonen, konstatiert Kastner. Beispiele seien Ambulanzgebühren in modernerem Gewand oder auch die Reduktion von SV-Beiträgen oder Selbstbehalten bei Verpflichtung zur telemedizinischen Beratung vor ungeplanten Krankenhausbesuchen. Und in puncto 1450 könne etwa eine Priorisierung bei der Wartezeit bei einem empfohlenen Ambulanzbesuch angedacht werden.

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