"Kalte Progression": Nationalrat beschließt Entlastungen im Ausmaß von rund 650 Mio. € | Brandaktuell - Nachrichten aus allen Bereichen

„Kalte Progression“: Nationalrat beschließt Entlastungen im Ausmaß von rund 650 Mio. €

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Im Herbst 2022 hat das Parlament die Abschaffung der sogenannten „kalten Progression“ beschlossen. Seither werden die einzelnen Steuertarifstufen jedes Jahr automatisch zu zwei Dritteln an die Inflation angepasst. Auch das dritte Drittel ist zwingend für Entlastungsmaßnahmen zu verwenden. Welche genau das im kommenden Jahr sind, hat der Nationalrat in seiner heutigen Sitzung mit dem Progressionsabgeltungsgesetz 2025 festgelegt. Neben ÖVP und Grünen stimmte auch die FPÖ für den von den Koalitionsparteien eingebrachten Gesetzentwurf. Das Paket umfasst ein Entlastungsvolumen von rund 650 Mio. Ꞓ, insgesamt werden die Steuerzahler:innen von der Abschaffung der kalten Progression im kommenden Jahr mit knapp 2 Mrd. Ꞓ profitieren.

In Reaktion auf die Hochwasserkatastrophe haben die Abgeordneten in das Paket außerdem kurzfristig eine Aufstockung des sogenannten „Wohnschirms“ um 40 Mio. Ꞓ eingebaut. Die Mittel werden in den Jahren 2024 bis 2026 zur Verfügung stehen, um in besonderen Härtefällen jenen Menschen zu helfen, die ihr Haus oder ihre Wohnung unwetterbedingt nicht nutzen können, und daher – vorübergehend oder dauerhaft – eine Ersatzunterkunft brauchen. Und zwar unabhängig davon, ob es sich beim unbewohnbaren Objekt um ein Eigenheim, eine Eigentums- oder eine Mietwohnung handelt. Voraussetzung für eine finanzielle Unterstützung ist allerdings, dass nicht ohnehin die Versicherung, die Gemeinde oder der Katastrophenfonds einspringen. Die genauen Richtlinien sollen Umweltministerin Leonore Gewessler zufolge in den nächsten Tagen vom Sozialministerium festgelegt werden. Dieser Teil des Gesetzespakets wurde in Zweiter Lesung einstimmig angenommen.

Keine Mehrheit erhielt ein von SPÖ-Abgeordnetem Christoph Matznetter eingebrachter Abänderungsantrag, der unter anderem darauf abzielte, die ersten beiden Steuertarifstufen zur Gänze an die Inflation anzupassen, um Bezieher:innen niedriger Einkommen stärker zu entlasten. Auch ein neuerlicher Vorstoß der SPÖ für ein „Sofortpaket für leistbares Wohnen“ wurde mehrheitlich abgelehnt.

Wie schon zuvor nutzten mehrere Abgeordnete auch diesen Tagesordnungspunkt dafür, um ihre Abschiedsrede zu halten: Unter anderem werden der derzeit längstdienende Abgeordnete und ehemalige Zweite Nationalratspräsident Karlheinz Kopf sowie NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker nicht mehr bei ben bevorstehenden Nationalratswahlen kandidieren.

Kinderzuschlag für einkommensschwache Familien wird verlängert

Größter budgetärer Brocken des Progressionsabgeltungsgesetzes 2025 ist die dauerhafte Fortführung des Kinderzuschlags für einkommensschwache Familien. Erwerbstätige Alleinerzieher:innen und Alleinverdiener:innen, die heuer weniger als 25.725 Ꞓ verdienen, werden demnach über das Jahr 2024 hinaus einen monatlichen Zuschuss von 60 Ꞓ für jedes Kind unter 18 bekommen. Außerdem werden sämtliche Steuertarifstufen mit Ausnahme der Höchststufe um 3,83 % statt um 3,33 % angehoben sowie alle klassischen Absetzbeträge und damit zusammenhängende Beträge wie Alleinverdienerabsetzbetrag, Pensionistenabsetzbetrag und Sozialversicherungs-Rückerstattung zur Gänze an die Jahresinflation von 5 % angepasst. Damit wird die jährliche Steuerfreigrenze gemäß Einkommensteuergesetz 2025 bei 13.308 Ꞓ liegen. Weiters gehören eine Erhöhung des amtlichen Kilometergelds auf 50 Cent, die Anhebung der für die Umsatzsteuerbefreiung maßgeblichen Kleinunternehmergrenze auf 55.000 Ꞓ sowie höhere Tages- und Nächtigungsgelder gemäß Reisegebührenvorschrift zum EntlastungsPaket.

SPÖ fordert stärkere Entlastung niedriger Einkommen und beharrt auf Wohnpaket

Unzufrieden mit dem Gesetzespaket zeigte sich die SPÖ. Durch die gleichmäßige Anhebung aller Steuertarifstufen würden Bezieher:innen hoher Einkommen überproportional profitieren, meinte etwa Christoph Matznetter. Er konnte sich mit einem Abänderungsantrag jedoch nicht durchsetzen. Neben einer vollständigen Inflationsanpassung der beiden ersten Steuertarifstufen zur stärkeren Entlastung von Bezieher:innen niedriger Einkommen forderte die SPÖ unter anderem eine unbefristete Verlängerung des Spitzensteuersatzes von 55 % für Einkommen über 1 Mio. Ꞓ. Zudem drängte sie darauf, die pauschalierten Steuerfreibeträge für Menschen mit Behinderungen zu erhöhen und künftig automatisch an die Inflation anzupassen. Betroffene seien derzeit gezwungen, Belege zu sammeln, um ihre zusätzlichen Aufwendungen steuerlich geltend machen zu können, kritisierte Matznetter.

In Form eines Entschließungsantrags drängte die SPÖ darüber hinaus erneut auf „ein Sofortpaket für leistbares Wohnen“. Zu den von Abgeordneter Ruth Becher vorgebrachten Forderungen gehörten neben dem Einfrieren sämtlicher Mieten bis Ende 2026 samt nachfolgendem Anstiegsdeckel von jährlich 2 % auch die Einführung von Strafbestimmungen für „Mietwucher“, ein Verbot befristeter Wohnungsmietverträge für institutionelle Vermieter und ein Zinspreisdeckel von maximal 3 % für alle bestehenden „Häuslbauerkredite“ bis zu einem Darlehensvolumen von 300.000 Ꞓ. Außerdem soll eine Übergewinnsteuer für Banken eingeführt werden, um das Paket zu finanzieren. Wenn die Mieten steigen, würden 10 % der Menschen reicher und 90 % der Menschen ärmer, begründete Becher den Antrag und wies zudem darauf hin, dass die von ÖVP und Grünen beschlossene Mietpreisbremse frei vereinbarte Mieten nicht umfasse.

FPÖ und NEOS für automatische volle Progressionsabgeltung

Namens der NEOS sprachen sich sowohl Gerald Loacker als auch Josef Schellhorn für eine automatische Anpassung aller Steuertarifstufen an die volle Inflation aus. Die geltende Zweidrittelregelung ist ihrer Meinung nach unzureichend. Zudem brauche man eine „dramatische Entlastung“ des Faktors Arbeit, machte Schellhorn geltend. Wenn eine geringfügig beschäftigte Person um 50 % mehr arbeite, bekomme sie nur um 23 % mehr Lohn, kritisierte er. Auch müsse sichergestellt werden, dass Trinkgeld unangetastet bleibe und nicht besteuert werde.

Auch FPÖ-Abgeordneter Hubert Fuchs trat für einen automatischen vollen Progressionsausgleich ein und kritisierte einzelne Punkte des Gesetzespakets. So wertete er die Erhöhung des amtlichen Kilometergelds auf 50 Cent zwar positiv, angebracht wären seiner Meinung nach aber 65 Cent gewesen, nachdem das Kilometergeld seit Juli 2008 nicht angehoben worden sei. Zudem hinterfragte er, dass künftig für Kfz und Fahrräder der gleiche Betrag gilt. EU-rechtlich wäre überdies eine Anhebung der Kleinunternehmergrenze auf 85.000 Ꞓ möglich gewesen. Ebenso vermisst Fuchs eine Erhöhung des Pendlerpauschales. Insgesamt werde das letzte Progressionsdrittel aber „fair und vernünftig verteilt“, begründete er die letztliche Zustimmung seiner Fraktion zum Gesetzentwurf.

Grüne: Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wird belohnt

Seitens der Grünen hob Verkehrssprecher Hermann Weratschnig einen spezifischen Aspekt des Gesetzespakets hervor: die gezielte Entlastung von Arbeitnehmer:innen, die bei dienstlichen Reisen öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Sie würden von der Erhöhung des Beförderungszuschusses gemäß Reisegebührenvorschrift profitieren, unterstrich er. Wer zum Beispiel Zeitkarten wie ein Klimaticket benutze, dem bleibe künftig etwas über. Auch das künftig gleich hohe Kilometergeld für Kfz und Fahrräder fördere klimafreundliche Mobilität. Ausdrücklich begrüßte Weratschnig außerdem die Anhebung der Kleinunternehmergrenze auf 55.000 Ꞓ.

„Aus grüner Sicht eine erfreuliche Bilanz“ ist laut Sozialsprecher Markus Koza außerdem, dass die unteren Einkommen von der Abschaffung der kalten Progression bisher mehr profitiert hätten als die oberen, wie eine Analyse des parlamentarischen Budgetdienstes gezeigt habe. Auch das Progressionsabgeltungsgesetz 2025 enthalte mit dem Kinderzuschlag eine besondere soziale Komponente, sagte er. Ursprünglich befristet eingeführt, um einkommensschwache Familien in Zeiten hoher Inflation gezielt zu unterstützen, werde der Zuschlag nach einer Übergangsregelung für das erste Halbjahr 2025 ins Dauerrecht übergeführt.

ÖVP: Abschaffung der kalten Progression war Meilenstein

Die Abschaffung der kalten Progression sei ein Meilenstein in der Steuerpolitik gewesen, betonten die beiden ÖVP-Abgeordneten Karlheinz Kopf und Franz Hörl. Nach Meinung von Kopf war es aber „durchaus klug“, dass sich die Politik mit dem letzten Drittel einen Gestaltungsspielraum erhalten habe. Dieses werde 2025 unter anderem für eine gezielte Entlastung kleiner Unternehmen und einkommensschwacher Familien genutzt.

Auch Finanzminister Magnus Brunner hält „das Konzept mit den zwei Dritteln und dem einen Drittel“ für ein gutes. Dieses mache Sinn, weil man mit dem letzten Drittel Schwerpunkte setzen könne, ohne dass diese budgetrelevant seien, gab er zu bedenken. International werde vielfach versucht, das Modell zu kopieren. Inhaltlich hob Brunner unter anderem die Erhöhung der Steuertarifstufen um fast 4 %, Verbesserungen für alle, die beruflich reisen müssten, und mehr Flexibilität bei Dienstwohnungen hervor. In Richtung der NEOS hielt der Minister fest, 2 Mrd. Ꞓ seien keine kleine Summe, den Steuerzahler:innen würden 100 % der schleichenden Steuererhöhung zurückgegeben.

Gewessler: Von Kinderzuschlag profitieren 250.000 Kinder

In Vertretung von Sozialminister Johannes Rauch meldete sich Umweltministerin Leonore Gewessler zu Wort. Das dritte Drittel sei auch im Jahr 2025 ein „soziales Drittel“, wies sie auf die Verankerung des Kinderzuschlags für einkommensschwache Familien in das Dauerrecht hin. Ihr zufolge werden davon 250.000 Kinder profitieren. 1.440 Ꞓ zusätzlich pro Jahr bei zwei Kindern, das sei für Familien mit geringem Einkommen sehr viel Geld.

Gewessler zeigte sich zudem darüber erfreut, dass der Wohnschirm auch für Unwetteropfer „aufgespannt wird“. Damit werde sichergestellt, dass niemand durch die Hochwasserkatastrophe wohnungslos werde, erklärte sie. Die genauen Richtlinien für Unterstützungsleistungen würden in den nächsten Tagen vom Sozialministerium festgelegt. In Summe habe man bereits 264 Mio. Ꞓ für den Wohnschirm bereitgestellt, betonte Gewessler.

Längstdienender Abgeordneter verlässt Parlament

Die Debatte über das Progressionsabgeltungsgesetz wurde von mehreren Abgeordneten auch dazu genutzt, um sich aus dem Hohen Haus zu verabschieden. So zog etwa der ehemalige Zweite Nationalratspräsident und frühere ÖVP-Klubobmann Karlheinz Kopf, der vor 30 Jahren erstmals in den Nationalrat eingezogen war und aktuell damit der längstdienende Abgeordnete ist, Bilanz. Er freue sich sehr auf mehr Familienzeit in seiner Heimat Vorarlberg, verspüre aber auch ein ordentliches Stück Wehmut, sagte er. Er sei ein leidenschaftlicher Parlamentarier gewesen. In den vergangenen 30 Jahren seien in unterschiedlichen Koalitionen wichtige Weichen gestellt und große Reformen beschlossen worden, betonte Kopf, auch habe die Politik eine Reihe schwieriger krisenhafter Situationen bewältigt.

An der „wichtigsten und nachhaltigsten Entscheidung“ habe er aber schon in der auf seine Angelobung nachfolgenden Sitzung mitgewirkt, hielt Kopf fest: dem Beschluss des EU-Beitrittsvertrags. Der EU-Beitritt habe Österreich „eine lange Phase des Friedens und der Prosperität gebracht“. Als große Herausforderung für Europa sieht Kopf, das Lebens- und Wirtschaftsmodell, das Europa auszeichne, zu erhalten. Zudem zeigte er sich über eine gewisse „Sehnsucht nach autokratischen Führungsfiguren“ besorgt. Diese Sehnsucht sei demokratiegefährdend. In der politischen Debatte mahnte er Wertschätzung und Respekt ein.

Gewürdigt wurde Kopfs Arbeit als Parlamentarier von Zweiter Nationalratspräsidentin Doris Bures, die während seiner Abschiedsrede den Vorsitz im Plenum führte. Kopf habe sich immer um Lösungen und Kompromisse bemüht, betonte sie und wies darauf hin, dass sie mit dem ehemaligen Zweiten Nationalratspräsidenten und ÖVP-Klubobmann viel Zeit in der Präsidiale verbracht habe. Auch bei den anderen Abgeordneten, die ihre Abschiedsrede hielten, bedankte sie sich für deren Leistungen.

Loacker: Nationalratspräsident bzw. Nationalratspräsidentin braucht Erfahrung

Dazu zählte auch NEOS-Abgeordneter Gerald Loacker, der zum Teil launig auf elf Jahre im Nationalrat zurückblickte. Man habe auf die NEOS „nicht gewartet“, Rot und Schwarz hätten sich am Anfang über jede Falle gefreut, in die die NEOS getappt seien, meinte er. Von den sieben Sozialminister:innen und acht Gesundheitsminister:innen, die er erlebt habe, sei Rudolf Hundstorfer der souveränste gewesen, auch die verstorbene Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser hob er lobend hervor. Als Abgeordneter habe man sich „an die verrücktesten Dinge gewöhnt“, führte Loacker aus, so habe er in Corona-Zeiten eine Zeit lang niemanden so oft gesehen wie manche Abgeordneten-Kolleg:innen, mit denen man sich alle zehn Tage – zum Teil auch an Wochenenden – im Hauptausschuss getroffen habe. Dass er möglicherweise das eine oder andere Mal übers Ziel hinausgeschossen sei, dafür entschuldigte sich Loacker, eine kleine Partei müsse manchmal aber an Grenzen gehen, um gehört zu werden.

Für die Wahl des nächsten Nationalratspräsidenten bzw. der nächsten Nationalratspräsidentin gab Loacker den Abgeordneten, die nach den Wahlen wieder im Nationalrat sitzen werden, einen Wunsch mit: Es solle jemand sein, der schon mehrere Jahre parlamentarische Erfahrung aufweisen könne und die Usancen des Hauses kenne, würdige und schätze. Ihre letzte Rede im Hohen Haus hielt auch Maria Theresia Niss (ÖVP): Sie habe viel Energie darauf verwendet, um sich für einen starken Standort und für eine starke Forschung einzusetzen, betonte sie.

Noch nicht ganz verabschieden wollte sich ÖVP-Tourismussprecher Franz Hörl. Er hofft, mit Hilfe von Vorzugsstimmen, ein viertes Mal den Sprung ins Hohe Haus zu schaffen, wie er sagte. Sollte ihm das nicht gelingen, sei es ihm eine Ehre gewesen, sich im Nationalrat für Unternehmen und für den Tourismus engagiert zu haben. Er habe immer für die Politik gelebt und nicht von der Politik, bekräftigte er. (Fortsetzung Nationalrat) gs

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.


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