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#MehralseinKreuzerl: Wie sich das österreichische Wahlsystem entwickelte

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Anfangs durften nur Männer wählen, die einen gewissen Stand hatten oder genug Steuern zahlten. 1907 waren es dann alle Männer über 24 Jahren. Bis Frauen wählen konnten, brauchte es weitere elf Jahre und das Ende der Monarchie. Es war eine lange Entwicklung bis zum Wahlrecht, wie wir es heute kennen. Auch in der Zweiten Republik gab es mehrere größere Änderungen des Wahlsystems. Politikwissenschafterin Katrin Praprotnik gibt im Rahmen von #MehralseinKreuzerl einen Überblick.

Entscheidung fiel 1945 für Verhältniswahlrecht

Nach dem nationalsozialistischen Regime stand die Zweite Republik vor einer Frage: Soll man ein konkurrierendes Mehrheitswahlrecht oder ein konsensorientiertes Verhältniswahlrecht einführen? Man entschied sich aufgrund der konfliktreichen Geschichte für zweiteres. In den meisten Bundesländern gab es zudem über lange Zeit ein Proporzsystem: Parteien, die genug Stimmen erhielten, hatten einen automatischen Anspruch auf eine Regierungsbeteiligung.

„Die Geschichte des Wahlsystems ist eine Entwicklung zu mehr Proportionalität und Anbindung an die Wählerinnen und Wähler“, erklärt Politikwissenschafterin Katrin Praprotnik von der Universität Graz im Gespräch mit der Parlamentsdirektion. Sie ist Mitherausgeberin des Buchs „Das politische System Österreichs“ und kennt die Entwicklung des österreichischen Wahlsystems.

Reform 1970: 183 Mandate und Begünstigung von Kleinparteien

Österreichs Wahlsystem machte drei große Veränderungen durch, die erste 1970. Es sei kein Zufall, dass sie just in jene Zeit fiel, als es die einzige Minderheitsregierung Österreichs unter Bruno Kreisky gab, sagt Praprotnik. Denn: Kreiskys SPÖ-Alleinregierung wurde damals von der FPÖ „mit dem Ziel einer Wahlrechtsreform“ gestützt. Das Ziel erreichte sie auch.

Mit der Reform von 1970 gab es nun 183 statt 165 Mandate, während die Wahlkreise von 25 auf neun reduziert wurden. Außerdem kam ein anderes mathematisches Verfahren zur Berechnung zum Einsatz, nämlich das Hare’sche System, das bis heute im ersten und zweiten Ermittlungsverfahren angewandt wird. Die Änderung hat zu einer Mandatsberechnung geführt, die kleinere Parteien begünstigt. Davor gab es ein Ungleichgewicht: Kleine Parteien wurden bei der Mandatsvergabe zugunsten der beiden großen Parteien benachteiligt. Die FPÖ wollte das ändern. Laut Praprotniks Forschung hat sie das auch geschafft: Die Mandate wurden verhältnismäßiger vergeben, der Nachteil für Kleinparteien war nach 1970 ausgemerzt.

Für Praprotnik ist die Geschichte ein Paradebeispiel dafür, wie ein theoretisch wirkendes Thema – das mathematische Verfahren zur Mandatsberechnung – in Wahrheit hochpolitisch ist. „Denn die Entscheidung für ein Wahlrecht bestimmt mit, wie ein Parteiensystem aussieht, wie der Nationalrat aussieht und wie eine Regierung aussieht“, sagt sie. Durch die Reform von 1970 gab es künftig eine Koalitionsalternative zu Rot-Schwarz.

Die Folge war laut Praprotnik eine Normalisierung der Parteienlandschaft in den 1980er- und 1990er-Jahren. Das Verhältniswahlrecht ist eigentlich durch eine Mehrparteienlandschaft gekennzeichnet – Österreich stach vor der Reform durch sein Zwei- bzw. Dreiparteiensystem hervor. Mit der Zeit wuchs die Parteienlandschaft aber auf eine üblichere Größe an. Derzeit sind fünf Parteien im Nationalrat vertreten.

Reform 1992: Dritte Ebene beim Wahlgang

Die zweite größere Änderung im Wahlsystem kam 1992, als man eine dritte Ebene beim Wahlgang einführte. Künftig konnte man seine Stimme nicht nur auf Bundes- und Landesebene vergeben, sondern auch auf regionaler Ebene. Die Idee: Wenn es auf regionaler Ebene schon Grundmandate zu vergeben gibt, müssen sich Politiker:innen vermehrt in ihrer Heimatregion profilieren.

Dafür wurden 43 neue Regionalwahlkreise in ganz Österreich eingeführt. Mitte der 2000er-Jahre schrumpften sie auf 39 – eine Konsequenz der Gemeindezusammenlegungen in der Steiermark.

Außerdem wurde das System der Vorzugsstimmen ausgebaut: Wähler:innen sollten Kandidat:innen direkt unterstützen und sie auf den Regional-, Landes- und Bundeslisten nach vorne reihen können. Kandidat:innen mit genügend Stimmen können – in der Theorie – so ein Mandat ergattern, das sie sonst nicht bekommen hätten. Die Praxis habe aber gezeigt, dass einerseits die Hürden zu hoch sind und es andererseits die Spitzenkandidat:innen der Parteien sind, die die meisten Vorzugsstimmen bekommen, erklärt die Politikwissenschafterin.

Reform 2007: Briefwahl und junge Wähler:innen

Die letzte Aktualisierung des Wahlrechts gab es 2007: Es kam zur Senkung des aktiven Wahlalters von 18 auf 16 Jahre und eine Verlängerung der Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre. Die frühere Einbindung von Bürger:innen in den demokratischen Prozess habe vor allem den Vorteil gehabt, dass die 16-Jährigen mit ihrer neuen Verantwortung nicht allein gelassen werden mussten. „Wenn man so jungen Menschen das Wahlrecht gibt, befinden sie sich in der Regel noch im Schulsystem und können dort auch begleitet und unterstützt werden“, so Praprotnik.

Die letzte wesentliche Änderung, die 2007 eingeführt wurde, war eine Ausweitung der Briefwahl. Die war davor nur als Notmaßnahme für Menschen gedacht, die es gesundheitlich nicht ins Wahllokal geschafft hätten. Mit der Reform können nun alle Wahlberechtigten ihre Stimme abgeben. (Schluss) pak/kar

HINWEIS: Mehr Informationen zum Wahljahr 2024 finden Sie unter www.parlament.gv.at/mehralseinkreuzerl.


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