Bezeichnung als „Nazi-Unrat“ verletzt Ehrenkodex
Nach Ansicht des Senats 2 des Presserats verstößt ein Begleittext in der Rubrik „FAKTEN. Politik, Chronik und Wirtschaft“, erschienen auf Seite 16 der Wochenzeitschrift „NEWS“, Ausgabe 4/2024, gegen die Punkte 3 (Unterscheidbarkeit) und 7 (Schutz vor Pauschalverunglimpfung und Diskriminierung) des Ehrenkodex für die österreichische Presse.
Im Beitrag wurde ein großflächiges Foto veröffentlicht, das ein Lichtermeer bzw. eine Kundgebung vor dem Berliner Reichstag zeigt. Unterhalb des Fotos fand sich folgender Begleittext: „BERLIN, DEUTSCHLAND: Gut, dass es sich endlich gegen Nazi-Unrat rührt, schlimm allerdings der Anlass. Was schon während der Corona-Zeit sein Haupt erhoben hat, wird jetzt virulent. Die Krise führt zur Radikalisierung nach rechts, und mittlerweile ist das Pack dank aufmerksamer Beobachter aufgeflogen. Es geht um nichts Geringeres als die Außerkraftsetzung der Grundrechte. Dagegen wird wie hier vor dem Berliner Reichstag in ganz Deutschland demonstriert. Vielleicht nüchtert das auch hierzulande Machtbesoffene aus.“
Ein Leser wandte sich an den Presserat und kritisierte die oben zitierten Formulierungen im Begleittext als pauschale Diffamierung, u.a. gegenüber den Demonstrantinnen und Demonstranten gegen die Corona-Schutzmaßnahmen.
Im Verfahren führte der Autor des Beitrags aus, dass in Deutschland ein weltweit verabscheutes Neonazi-Treffen aufgeflogen sei, dessen Teilnehmer er in der Tat pauschal diffamiert habe. Der Autor habe sich darin auch von seinen jüdischen Verwandten, die er aus geläufigen Umständen nicht mehr kennenlernen durfte, bestärkt gesehen. Auf die Corona-Demonstrationen habe er nur insofern Bezug genommen, als sich bei einigen Protestierenden entsprechende Tendenzen durchgesetzt hätten, wie etwa das Tragen von Judensternen. Zudem wies die Chefredakteurin darauf hin, dass auch der deutsche Bundeskanzler die „Remigrations-Pläne“ der Rechtsradikalen mit der NS-Rassenideologie verglichen habe. Leute mit einer solchen Weltanschauung dürfe man als „verkommen“ bezeichnen, über die Begriffe „Pack“ und „Nazi-Unrat“ lasse sich trefflich streiten, so die Chefredakteurin.
Der Senat berücksichtigt, dass der vorliegende Beitrag ein Thema von demokratiepolitisch großem Interesse betrifft (vgl. Punkt 10 des Ehrenkodex): Das Foto dokumentiert eine Demonstration der Massenproteste gegen Rechtsextremismus in Deutschland vom Winter 2024. Auslöser war ein Treffen von Rechtsextremisten in einer Potsdamer Villa, bei dem auch mehrere Politikerinnen und Politiker anwesend waren und u.a. sogar die Ausweisung von deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern thematisiert wurde.
Allerdings können Äußerungen, die unmittelbar in die Menschenwürde von Personen(-gruppen) eingreifen, nicht mit der Presse- und Meinungsfreiheit gerechtfertigt werden. Dieser strenge Ansatz ist damit zu rechtfertigen, dass der Schutz der Menschenwürde eines der wichtigsten medienethischen Prinzipien ist. Folglich sind sogar Schwerverbrecherinnen und Schwerverbrecher oder – wie im vorliegenden Fall – extremistische Gruppierungen vor Eingriffen in die Menschenwürde geschützt.
Nach Meinung des Senats ist der im Begleittext verwendete Begriff „Nazi-Unrat“ pauschal herabsetzend: „Unrat“ meint etwas, was aus Abfällen bzw. Weggeworfenem besteht. Der Senat bewertet den Begriff ähnlich wie die Bezeichnungen als „Müll“ oder „Abschaum“, die ebenfalls bereits als Eingriff in die Menschenwürde eingestuft wurden. Zudem hätte die (nachvollziehbare) Kritik des Autors an der extremen politischen Forderung einer „Remigration“ von ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern auch ohne den menschenverachtenden Begriff geäußert werden können. Im Sinne der bisherigen Spruchpraxis greift die Bezeichnung „Nazi-Unrat“ in die Menschenwürde ein, die auch den Kern des Schutzes vor Pauschalverunglimpfungen von Personengruppen betrifft (siehe Punkt 7.1 des Ehrenkodex).
Hinzu kommt, dass der vorliegende Beitrag den Eindruck eines (neutralen) Berichts erweckt, zumal das Foto unterhalb der Überschrift „FAKTEN“ veröffentlicht wurde. Nach Auffassung des Senats überwiegen im Begleittext jedoch jene Passagen, in denen eine klar subjektive Wertung zum Ausdruck kommt – etwa, dass die Proteste vielleicht „hierzulande Machtbesoffene“ ausnüchtern würden oder die Bezeichnung der Verfechter der „Remigration“ als „Nazi-Unrat“ und „Pack“, das dank aufmerksamer Beobachter aufgeflogen sei. Nachdem keine entsprechende Kennzeichnung als Kommentar vorgenommen wurde, verstößt der Beitrag somit auch gegen das Gebot der Unterscheidbarkeit von Bericht und Kommentar (Punkt 3.1).
Die Medieninhaberin wird aufgefordert, freiwillig über den Ethikverstoß zu berichten.
SELBSTÄNDIGES VERFAHREN AUFGRUND EINER MITTEILUNG EINES LESERS
Der Presserat ist ein Verein, der sich für verantwortungsvollen Journalismus einsetzt und dem die wichtigsten Journalisten- und Verlegerverbände Österreichs angehören. Die Mitglieder der Senate des Presserats sind weisungsfrei und unabhängig.
Im vorliegenden Fall führte der Senat 2 des Presserats aufgrund einer Mitteilung eines Lesers ein Verfahren durch (selbständiges Verfahren aufgrund einer Mitteilung). In diesem Verfahren äußert der Senat seine Meinung, ob eine Veröffentlichung den Grundsätzen der Medienethik entspricht.
Die Medieninhaberin der Wochenzeitschrift „NEWS“ hat von der Möglichkeit, an dem Verfahren teilzunehmen, Gebrauch gemacht.
Die Medieninhaberin der Wochenzeitschrift „NEWS“ hat die Schiedsgerichtsbarkeit des Presserats anerkannt.
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