Diakoniewerk: Pilotprojekt zeigt Potenziale für das Pflege- und Betreuungssystem von morgen auf.
Im aktuellen Pflegesystem bestimmt das Angebot die Pflege (und das ist in zwei starren Säulen gedacht: mobil und stationär.) – das heißt, Betroffene müssen sich an das Angebot anpassen und nicht umgekehrt. Pflegesituationen sind jedoch sehr individuell. Darüber hinaus wird die Dimension der Prävention und Angehörigenentlastung zu wenig berücksichtigt. Der Wohnort entscheidet meist über die Verfügbarkeit der Angebote, oft gibt es auch in akuten Fällen wochenlange Wartezeiten und fast alle Angebote setzen erst dann an, wenn schon ein akuter Pflegebedarf eingetreten ist. Oft bleibt daher nur ein Umzug ins Pflegeheim als endgültige Lösung – wohlwissend, dass viele Menschen unter anderen Rahmenbedingungen auch zu Hause hätten begleitet werden können, was vor allem den Wünschen der Betroffenen entsprechen würde.
Projektevaluierung „Community Nursing“: Heimeinzug kann verzögert werden
Das Diakoniewerk hat über Jahre hinweg zusammen mit zahlreichen Expert:innen aus der Wissenschaft, der Wirtschaftsforschung und dem Sozialbereich das Modell „SING – Seniorenarbeit innovativ gestalten“ entwickelt. Das Diakoniewerk möchte damit das starre Pflegesystem (mobil und stationär) völlig neu gestalten – mit folgendem Ziel: Personen erhalten einen sogenannten Autonomiebetrag und können damit individuelle Betreuungsleistungen erwerben. Der Fokus im Modell liegt auf dem Willen und den Ressourcen der Menschen kombiniert mit einer effizienteren Finanzierungslogik für den Pflegebereich, womit Kostenanstiege langfristig gedämpft werden würden. Eine wesentliche Säule dieses Modells ist die Einführung von sogenannten „Pflegelots:innen, die Menschen mit Pflegebedarf und deren Angehörigen zur Seite stehen und mit ihnen gemeinsam ein effizientes und verlässliches Betreuungssetting entwickeln, in dem Angehörige, Nachbar:innen, Vereine und professionelle Dienste zusammenarbeiten.
Ein Konzept, das bereits Elemente von „SING“ aufgreift, ist das von der EU geförderte Pilotprojekt „Community Nursing“. Seit Anfang 2022 ist das Diakoniewerk österreichweiter Umsetzungspartner und der größte Anbieter dieser innovativen Dienstleistungen in sieben Pilotregionen in Österreich. Community Nurses sind diplomierte Gesundheits- und Krankenpfleger:innen. Sie führen präventive Hausbesuche und Beratungsgespräche durch, um Menschen im Alter dabei zu unterstützen, möglichst lange selbstbestimmt in ihrem gewohnten Umfeld zu leben.
Claudia Janski, MSc, DGKP, ist Community Nurse im Innviertel. Ihr Team arbeitet in vier Gemeinden rund um Mauerkirchen und hat seit dem Projektstart 2022 über 150 Familien und Einzelpersonen begleitet. Nur bei 5 % dieser hochaltrigen, oft bereits pflegebedürftigen Personen war ein Einzug in ein Alten- und Pflegeheim nötig. Bei allen anderen konnte die Versorgung zuhause dauerhaft sichergestellt und ein Heimeinzug verhindert bzw. verzögert werden. Dies entspricht dem Willen der Personen, es dämpft aber auch die Kosten für die öffentliche Hand massiv und entlastet das Personal in den stationären Einrichtungen.
Prävention ist für sie ein entscheidender Faktor in der Arbeit der Community Nurses. „Wir Community Nurses arbeiten präventiv, proaktiv und begleitend und haben dadurch eine große Wirkung. Viele Personen können durch unsere Unterstützung langfristig und qualitätsvoll zu Hause weiterbetreut werden. Hierbei ist auch eine gute Begleitung von pflegenden Angehörigen ein sehr entscheidender Faktor. Für mich als langjährige Krankenpflegerin ist das die Pflege der Zukunft und eine große Chance, viele Kolleginnen in der Branche zu halten!“, so Janski.
Gemeinden profitieren vom Angebot der Community Nurses
Insgesamt werden österreichweit ca. 80 % aller Menschen mit Pflegebedarf gar nicht durch professionelle Dienste, sondern innerhalb ihrer Familie versorgt. Viele Gemeinden sind ländlich strukturiert, hier ist die Pflege innerhalb der Familie noch immer das gängigste Modell – auch weil es in vielen kleinen Gemeinden gar keine eigenen Pflegeangebote wie Altenheime oder Tagesbetreuungen gibt. Für Angehörige bedeutet dies oft eine Mehrfachbelastung neben ihrer Berufstätigkeit bzw. eine Vernachlässigung ihrer Sozialkontakte.
In der Gemeinde Königswiesen werden seit Projektstart im Jahr 2022 ca. 60 Familien durch eine Community Nurse des Diakoniewerks begleitet. Die Gemeindebürger:innen haben die Beratung und Unterstützung durch die Community Nurse rasch gut angenommen. Mittlerweile ist die Community Nurse ein Eckpfeiler der sozialen Infrastruktur in Königswiesen: Sie arbeitet eng mit Ärzt:innen, Beratungsstellen, Vereinen und den Gemeindebediensteten zusammen. Durch die regionale Ansiedelung der Community Nurse in der Gemeinde kennt sie die Familien, die örtlichen Angebote und die Strukturen der Region gut. Sie kommuniziert offene Bedarfe und Versorgungslücken an die Gemeinde, damit neue Angebote entwickelt werden können.
„Gemeinden und ihre Bürger:innen profitieren stark von Community Nursing. Als Bürgermeister kann ich mir sicher sein, dass es mit der mit der Community Nurse für alle Fragen rund um Alter, Gesundheit und Pflege eine kompetente Ansprechpartnerin gibt, die sofort und unbürokratisch unterstützt. Daher wünsche ich mir, dass dieses erfolgreiche Angebot jedenfalls beibehalten wird. Die Finanzierung ist durch Gelder des Bundes dauerhaft gesichert. Jetzt müssen die Sozialhilfeverbände entscheiden, ob sie diese Finanzierung nutzen wollen. Als Bürgermeister setze ich mich im Sinne meiner Gemeindebürger:innen stark dafür ein“, so DI (FH) Roland Gaffl, Bürgermeister von Königswiesen.
Wissenschaftliche Evaluierung der Community Nursing-Projekte durch FH Campus Wien
Die FH Campus Wien hat in einer Studie unter der Leitung von Cornelia Feichtinger BSc, BSc, MSc eine wissenschaftliche Evaluierung der Community-Nursing-Projekte des Diakoniewerks durchgeführt. Es wurden sowohl die Community Nurses selbst, aber auch Bürgermeister:innen, pflegenden Angehörige und Vernetzungspartner:innen befragt. In Interviews, Vor-Ort-Beobachtungen und Fokusgruppen wurden zahlreiche positive Wirkungen des Projekts Community Nursing bestätigt – die wichtigsten Ergebnisse im Überblick:
Eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg von Community Nursing sind die Vertrauensbasis und die dauerhafte Begleitung der Klient:innen. Die Studie zeigt, dass es zentral ist, dass Hausbesuche aufsuchend, ohne Zeitdruck und kostenlos durchgeführt werden. Der lokale Bezug und die Kenntnisse der lokalen und regionalen Angebote ermöglichen Maßnahmen, die genau auf die Menschen in der Gemeinde zugeschnitten sind. Das trägt wesentlich zur Effektivität bei.
Das neue Berufsbild „Community Nursing“ hebt die Attraktivität des Pflegeberufs und motiviert diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegepersonen, in dieser Branche zu bleiben.
Diese präventive Arbeit und die aktive Fallverfolgung ist eine klare Unterscheidung zu bestehenden Angeboten wie Hauskrankenpflege oder Sozialberatungsstellen.
„Durch ihre vielfältigen präventiven Maßnahmen und ihre engagierte Arbeit im Sozialraum tragen die Community Nurses dazu bei, die Gesundheit und das Wohlbefinden der Bevölkerung zu verbessern. Sie sind eine wichtige Stütze für die Klient:innen selbst und deren Angehörige.“, so Cornelia Feichtinger, BSc, BSc, MSc (Leiterin des Zentrums für Angewandte Pflegeforschung).
Zusammenfassung und Ausblick
Die Pflege braucht eine Systemänderung: Den Willen und die Ressourcen der Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, die Attraktivierung der Branche, flexible Hilfe-Arrangements und Prävention müssen wesentliche Grundpfeiler eines zukünftigen Systems sein.
Mit dem Pflege- und Finanzierungsmodell „SING – Seniorenarbeit innovativ gestalten“ hat das Diakoniewerk in den letzten Jahren innovative Impulse bei Systempartner:innen gesetzt. Ein erster Schritt in die Gestaltung eines neuen Sorge-Netzwerkes kann das Angebot der Community Nurses sein, das im Diakoniewerk seit mehr als zwei Jahren erfolgreich umgesetzt wird.
Eine interne Auswertung der Dokumentationsdaten hat ergeben, dass lt. fachlicher Beurteilung bei 35% der Klient:innen der Einzug in ein Alten- und Pflegeheim verzögert werden konnte! Nur ca. 5% der bisher von den Community Nurses des Diakoniewerks begleiteten Senior:innen mussten seit Projektbeginn in ein Pflegeheim einziehen. Hochgerechnet bedeutet das, dass durch die 30 Community Nurses des Diakoniewerks in zwei Jahren ca. 250 Heimeinzüge verzögert werden konnten.
Gemeinden bestätigen, dass Community Nurses besonders dann gut unterstützen können, wenn die Pflege und Betreuung von Menschen im Alter vorwiegend innerhalb der Familien organisiert und geleistet wird.
Das derzeitige Projekt endet mit Ende 2024. Gelder für die Weiterführung werden seitens des Bundes über die Finanzausgleichsverhandlungen zur Verfügung gestellt, aber die Entscheidung, dass und wie Community Nursing in Oberösterreich konkret weitergeführt werden soll, wurde noch nicht getroffen. Das Diakoniewerk setzt sich stark dafür ein, dass die Gelder für die Fortführung dieses erfolgreichen Projektes verwendet werden, denn eine dauerhafte Finanzierung von Community Nursing ist wirksamer und nachhaltiger, als an einzelnen Schräubchen im bereits bestehenden System zu drehen.
„Mehr gesunde Jahre in den eigenen vier Wänden bedeuten mehr Lebensqualität für die Menschen und weniger Ausgaben für die öffentliche Hand, dies insbesondere in Zeiten des demografischen Wandels, der kleiner werdenden Budgettöpfe und des Fachkräftemangels. Uns im Diakoniewerk ist wichtig: Im Mittelpunkt steht – dem Konzept der Sozialraumorientierung folgend – der Wille der Senior:innen. Neben der fachlichen Hilfestellung in Pflegeangelegenheiten tragen die Community Nurses mit ihren Angeboten zur sozialen Teilhabe und einem Miteinander im Sozialraum bei“, so Dr.in Daniela Palk, Vorständin im Diakoniewerk.
OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS. www.ots.at
(C) Copyright APA-OTS Originaltext-Service GmbH und der jeweilige Aussender. Diakoniewerk