Novelle des MTD-Gesetzes beschlossen – viel Potenzial für die Physiotherapie in der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung
Am 04.07.2024 wurde die lange erwartete Novelle des MTD-Gesetzes durch den Nationalrat beschlossen. Diese beinhaltet unter anderem die legistischen Regelungen für die Berufsausübung von über 18.000 Physiotherapeut*innen. Physio Austria begrüßt die Umsetzung der Novelle des über 30 Jahre alten Gesetzes nach langen Verhandlungen zwischen den Stakeholdern und kurzer Begutachtungsfrist, welche durchaus in der Kritik stand. Die Kernforderungen von Physio Austria fanden breite öffentliche Zustimmung und wurden zumindest in Teilen erfüllt: der niederschwellige Zugang zu notwendigen therapeutischen Leistungen ist durch den direkten Zugang zur Therapie ohne ärztliche Anordnung zumindest im Rahmen der Sekundärprävention gegeben. Mit der grundlegenden Verankerung der Spezialisierung wurde zumindest die Grundlage für eine Vertiefung des Kompetenzbereichs und spezialisierten Einsatzes für die Entlastung des Gesundheitssystems und somit Fortschritt in der Versorgung tausender Patient*innen gelegt. Ebenso wurde in vielen Punkten der bereits gelebten Praxis, auch in Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen, Rechtssicherheit durch gesetzliche Verankerung geschaffen.
Somit ist die erste Bilanz aus Sicht des Berufsverbands der Physiotherapeut*innen, dass die Gesetzesnovelle eine Grundlage mit viel Potenzial für die Zukunft darstellt und noch einiger Nachjustierung bedarf.
Patient*innen durch Möglichkeit der Generalanordnung entlastet – Rechtssicherheit und Abbau der Bürokratie
Das Gesetz beinhaltet, dass der/die Ärzt*in lediglich allgemein „Physiotherapie“ anordnen kann. Dabei ist erstmals per Gesetz definiert, dass die Methodenwahl im Rahmen einer sogenannten, durch Ärzt*innen ausgestellten „Generalanordnung“ ausschließlich in der Hand der akademisch ausgebildeten und eigenverantwortlich tätigen Physiotherapeut*innen liegt. „Ein noch einfacherer Zugang zur Physiotherapie würde lediglich nurmehr durch den kompletten Entfall der ärztlichen Anordnung möglich sein. Dieser Zugang trägt auch zur Entlastung von Patient*innen bei,“ betont Constance Schlegl, Präsidentin von Physio Austria.
Niederschwelliger Zugang – Behandlungen in der Sekundärprävention nun anordnungsfrei möglich
Äußerst positiv und zur Entlastung des Gesundheitssystems beitragend ist die geplante Möglichkeit eines direkten Zugangs für Patient*innen zu physiotherapeutischen Behandlungen im Rahmen der Sekundärprävention zu sehen. Unter Sekundärprävention versteht man das frühzeitige Verhindern des Fortschreitens von Erkrankungen sowie deren Stabilisierung. Zu klären ist allerdings noch der Anspruch auf Kostenerstattung durch die Sozialversicherung, wenn die Behandlung ohne ärztliche Verordnung erfolgt. Physiotherapeut*innen sind dazu ausgebildet, zu erkennen, wann sie im Rahmen der eigenverantwortlichen Tätigkeit eine/n Arzt*in hinzuziehen müssen und sind per Gesetz auch dazu angehalten, dies zu tun.
Spezialisierte Patient*innenversorgung – Grundlage wurde geschaffen, Nachjustierung und Konkretisierung ist erforderlich
Das strapazierte, österreichische Gesundheitssystem braucht dringend jeden qualitätsvollen, möglichen Beitrag zur Entlastung und Sicherung der Versorgung der Patient*innen. Spezialisierungen können dazu beitragen, zielgerichteter zu versorgen, Kosten zu senken, Wartezeiten zu verkürzen und Anreize für den Verbleib in einem Gesundheitsberuf zu bieten. „Spezialisierte Kompetenzen der Physiotherapeut*innen sollen künftig zur ziegelrichteten Versorgung genutzt werden. Eine große Chance würde die Koppelung eines Direktzugangs zur Physiotherapie an die Spezialisierung bieten. Die ist bereits in vielen Ländern Europas etabliert, wurde aber im vorliegenden Entwurf leider nicht umgesetzt. Hier besteht noch Konkretisierungsbedarf, der mit der nächsten Regierung hoffentlich zur Umsetzung gelangt, um Patient*innen vollumfänglich direkten Zugang zur Therapie bei hochspezialisierten Kolleg*innen zu ermöglichen. Ebenso muss ein Bezeichnungsschutz für die erfolgten Spezialist*innen im jeweiligen Fachgebiet gegeben sein, um Transparenz für die Patient*innen zu gewährleisten. Wir stehen zur weiteren Ausarbeitung mit fachlichem Input gerne zur Verfügung“, so Präsidentin Schlegl.
Öffentlich finanzierte Masterstudiengänge zur Attraktivierung des Berufes – Sicherstellung der hochspezialisierten Versorgung
Die logische Konsequenz der endlich per Gesetz verankerten Spezialisierungen wären öffentlich finanzierte Masterstudiengänge für Physiotherapeut*innen – wie sie auch bereits für andere Gesundheitsberufe bestehen. Dieser Zugang würde Berufsangehörigen die Möglichkeit eröffnen, in ihrem Feld im Sinne der verbesserten Versorgung anerkannt spezialisiert tätig zu sein und das Gesundheitssystem so zu stützen. Constance Schlegl dazu: „Hier ist ebenso die nächste Regierung gefordert, denn die Novelle definiert keine öffentliche Finanzierung. Physiotherapeut*innen müssten die hohen Kosten weiterhin selbst tragen.“
Berufsbild orientiert sich an modernen Kompetenzen – künftiges Leistungsspektrum findet Raum
Neu gestaltet wurde der Aufbau des Berufsbildes der Physiotherapie, welches sich an modernen Kompetenzen orientiert und ebenso internationalen Entwicklungen Rechnung trägt. Die Anforderungen an die Physiotherapie im Jahr 2024 sind schon lange den ursprünglichen Anforderungen der Geburtsstunde des MTD-Gesetzes im Jahr 1992 entwachsen. Mit der aktuellen Darstellung der Kompetenzen im Berufsbild ist ein wichtiger Schritt zur Abbildung des aktuellen Handlungsspektrums und die Grundlage für das zukünftige Leistungsspektrum von Physiotherapeut*innen zum Wohle der Bevölkerung gelungen.
Gebot der Stunde – das Gesundheitssystem in seiner Gesamtheit betrachten und in breitem Diskurs behandeln
Das österreichische Gesundheitswesen bedarf in seiner Gesamtheit einer umfassenden Behandlung, um zukunftsfit zu sein. Physio Austria ist es ein Anliegen, dass die Regelungen der gesetzlichen Gesundheitsberufe in ihrer Gesamtheit betrachtet und laufend weiterentwickelt werden. Die steigenden Anforderungen der Versorgung werden notwendige Taskshifts und Kompetenzerweiterungen nicht nur im Bereich der Physiotherapie erforderlich machen. Physio Austria tritt dafür ein, dass dies in einem breiten demokratiepolitischen Diskurs aller beteiligten Stakeholder inklusive Patient*innenvertretungen geschieht.
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