„Glanz und Elend“: Leopold Museum präsentiert erste umfassende Ausstellung in Österreich zur Neuen Sachlichkeit in Deutschland
Ab 24. Mai zeigt das Leopold Museum erstmals in Österreich eine umfangreiche Überblicksausstellung zur neusachlichen Kunst in Deutschland, jenem Land, in dem sich der Begriff vor rund 100 Jahren etablierte. Die Schau Glanz und Elend. Neue Sachlichkeit in Deutschland präsentiert das Kunstschaffen von Neuer Sachlichkeit und Magischem Realismus anhand von circa 150 Exponaten aus internationalen Museen und Privatsammlungen. Rund 100 Gemälde und etwa 40 Arbeiten auf Papier von insgesamt 47 Künstler*innen, ergänzt durch Archivmaterial und Fotografien, geben einen profunden Einblick in die neusachliche Kunstproduktion.
Die Neue Sachlichkeit
Der Begriff der Kunstrichtung geht auf die 1925 von Gustav Friedrich Hartlaub in der Städtischen Kunsthalle Mannheim organisierte Ausstellung Die Neue Sachlichkeit. Deutsche Malerei seit dem Expressionismus zurück. Die neue Kunstströmung stand in einem deutlichen Gegensatz zu der vor dem Ersten Weltkrieg dominierenden introspektiven Ausdruckskunst.
„Die traumatischen und abgründigen Erfahrungen des Weltkrieges verlangten auf dem Gebiet der Kunst nach einer völlig neuen Darstellung der Wirklichkeit. Resignation, Anklage und unbeschreibliches Elend auf der einen, Hoffnung, Sehnsüchte und aufkommende Lebenslust der sogenannten ,Goldenen Zwanzigerjahre‘ auf der anderen Seite sollten dieses Epochenphänomen auf eine neue Weise beschreiben – unsentimental, nüchtern, konkret und puristisch; kurz: auf eine sachlich realistische Art.“
Hans-Peter Wipplinger, Direktor des Leopold Museum und Kurator der Ausstellung
Linker Verismus und rechte Beschaulichkeit
Die präzise, nüchtern-deskriptive Erfassung des Alltags löste die expressive Gestik des Expressionismus ab, dessen individualistisches Modell nicht in der Lage war, die Wirklichkeiten der geistigen und politischen Krisensituationen wiederzugeben. Innerhalb der Neuen Sachlichkeit steht eine politisch ausgerichtete linke, durch einen kritischen Verismus bestimmte Richtung einer durch klassizistisch-neuromantische Tendenzen bestimmten rechten Strömung gegenüber.
„Am Anfang standen politisch progressive, linkspolitisch gesinnte Kunstschaffende, die ihre pazifistischen Ideen künstlerisch übersetzten und ein Menschenbild festhielten, das von den Spannungen der Zeit beredtes Zeugnis ablegte. Sie prangerten die Doppelmoral der Gesellschaft insbesondere in den modernen Städten an und machten diese auf teils drastische Weise sichtbar. Ihr künstlerisches Untersuchungsfeld war der öffentliche Raum, die Straßen und Plätze, die Bars und Bordelle oder die Fabriken und Hinterhöfe. Mit bissiger Polemik wurden die Verkommenheit der Bourgeoisie und die am Krieg profitierenden, ausbeuterischen Kapitalist*innen, so das Narrativ, kommentiert.
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Hans-Peter Wipplinger im Katalog zur Ausstellung
Der nüchterne Blick
Die Künstler*innen der Neuen Sachlichkeit wie Max Beckmann, Otto Dix, Carl Grossberg, George Grosz, Karl Hofer, Karl Hubbuch, Grethe Jürgens, Alexander Kanoldt, Lotte Laserstein, Jeanne Mammen, Felix Nussbaum, Gerta Overbeck, Christian Schad, Rudolf Schlichter, Georg Schrimpf und viele mehr betrachteten das Zeitgeschehen mit nüchternem Blick und bannten das Gesehene emotionslos und ungefiltert auf Leinwand und Papier. Auf der Suche nach Möglichkeiten die schrecklichen Kriegserlebnisse zu verarbeiten und die verheerenden Folgen des Krieges zu fassen, fanden sie ihre Bildthemen in den Straßen der Metropolen, den Vergnügungsetablissements der Großstadt, wie auch in den neuen Lebensentwürfen selbstbewusster, moderner Frauen oder in den durch rasanten technischen Fortschritt bedingten radikalen Veränderungen. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialist*innen im Jahr 1933 wurde diese neue künstlerische Herangehensweise jäh unterbunden. Die NS-Politik diffamierte systematisch die Kunst der Avantgarde als „entartet“ und ordnete deren Beschlagnahmung oder Zerstörung an. Politisch unliebsame Künstler*innen mussten willkürliche Durchsuchungen ihrer Wohnungen und Ateliers über sich ergehen lassen, Professor*innen wie Otto Dix oder Christian Schad wurden entlassen, Ausschlüsse aus Kunstvereinigungen und Ausstellungsverbote folgten. Die Betroffenen reagierten durch Flucht ins Ausland, gingen in die innere Emigration oder passten sich an das System an.
Der „Tanz auf dem Vulkan“ als intensives Ausstellungserlebnis
Die in 13 Themenbereiche gegliederte Ausstellung widmet sich in komprimierter Form einem essentiellen Kapitel künstlerischer Produktion im Deutschland der Zwanziger- und Dreißigerjahre des 20. Jahrhunderts. Beleuchtet werden alle Facetten der sogenannten „Goldenen Zwanziger“, Sinnbild für Glanz und Vergnügungssucht jener Zeit. Sozialkritisch, sarkastisch und erbarmungslos voyeuristisch zeigen die neusachlichen Künstler*innen die Vorzüge und Schattenseiten des Nachtlebens und schildern den brandgefährlichen „Tanz auf dem Vulkan“. Auch die Außenseiter*innen der Gesellschaft und die in ihrer Existenz gefährdeten Menschen stehen im Fokus.
Von der emanzipierten Frau bis zum altmeisterlichen Stillleben
Die Schau beleuchtet auch die Emanzipation der Frau, deren Erscheinungsbild sich radikal änderte. Zahlreiche Bildnisse zeigen selbstbewusste, autonome Frauen, die ihre neuen Freiheiten und Möglichkeiten zu nützen wissen. Die neusachlichen Künstler*innen würdigen Vertreter*innen unterschiedlichster Berufsgruppen in Form von realitätsnahen Porträts quer durch alle Gesellschaftsschichten. Die Exponent*innen der klassizistisch-neuromantischen Richtung innerhalb der Neuen Sachlichkeit propagierten den Rückzug ins Private und Idyllische sowie eine Rückkehr zur Einfachheit und schufen idealisierte Lebenswelten in altmeisterlicher Technik. Auch das Stillleben, dem in der Neuen Sachlichkeit eine herausragende Bedeutung zukommt, thematisiert die Ausstellung, wobei die Beziehungslosigkeit zwischen den in den Raum gesetzten Dingen auf existenzielle Einsamkeit und Isolation des Menschen verweisen.
Parallelwelten, märchenhafte Idyllen und der Anfang vom Ende
Der künstlerische Blick auf die Parallelwelten von Zirkus, Varieté oder Jahrmarkt wird in der Ausstellung ebenso behandelt wie die auf den ersten Blick märchenhaft-idyllischen Welten des Magischen Realismus, die bei näherer Betrachtung eine unbehaglich-apokalyptische Stimmung evozieren. Die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler im Jahr 1933 bedeutete den Anfang vom Ende einer freien Kunstentwicklung. Der Terror gegen Andersdenkende im großen Maßstab eskalierte und die Weimarer Republik fand ihr Ende. Jene neusachlichen Maler*innen, die dem sozialkritischen Verismus nahestanden, wurden aus ihren Ämtern entlassen und emigrierten ins Ausland oder in die Provinz. 1937 wurde die Ausstellung Entartete Kunst in München eröffnet. Anhand von 650 aus deutschen Museen entzogenen Exponaten, verspottete man jene Kunst und Künstler*innen, welche die Nationalsozialist*innen als „undeutsch“ betrachteten.
Einer von Vielen
Ein Großteil der im Leopold Museum gezeigten Künstler*innen befand sich auf der Liste der „Entarteten“. Der jüdische Maler Felix Nussbaum erlitt ein Schicksal, das symbolisch für die vielen Leben steht, die von den Schergen des Nationalsozialismus systematisch ausgelöscht wurden. Jüdische Kunstschaffende wurden kategorisch aus Ausstellungen ausgeschlossen und in der Folge deportiert und ermordet. Wohlwissend, was die Rückkehr nach Deutschland von einem Auslandsaufenthalt 1934 für ihn bedeuten könnte, blieb Felix Nussbaum im Exil und versuchte in Belgien zu überleben. Ab den 1940er-Jahren zeigte er den unmenschlichen Schrecken des Holocaust in apokalyptischen Bildern und protokollierte das Grauen der Zeit in eindrücklicher Weise. 1944 wurde Nussbaum gemeinsam mit seiner Frau, der Künstlerin Felka Platek, in einem Brüsseler Versteck entdeckt. Nach ihrer Verhaftung folgte die Deportation in das nationalsozialistische Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, wo beide ermordet wurden.
KATALOG ZUR AUSSTELLUNG
Begleitend zu Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog in deutscher und englischer Sprache erschienen, herausgegeben von Hans-Peter Wipplinger, mit Beiträgen von Daniela Gregori, Rainer Metzger, Aline Marion Steinwender, Hans-Peter Wipplinger und Thomas Zaunschirm sowie einem Überblick zur Kultur, Politik und Gesellschaft der Weimarer Republik 1918–1933.
Kurator: Hans-Peter Wipplinger
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Bilder der Eröffnung in der APA-Fotogalerie
Glanzvolle Eröffnung
Der Einladung zu den Eröffnungsfeierlichkeiten durch Leopold Museum Direktor Hans-Peter Wipplinger folgten – in Anwesenheit der Leopold Museum-Vorstände Josef Ostermayer und Saskia Leopold sowie des kaufmännischen Direktors Moritz Stipsicz – der deutsche Botschafter Vito Cecere und seine Frau Bettina Bundszus-Cecere, Kunsthalle Mannheim-Direktor Johan Holten, Inge Herold (Stv. Direktorin Kunsthalle Mannheim), Thomas Schauerte (Direktor Museen der Stadt Aschaffenburg), Christoph Thun-Hohenstein (Sektionschef Intern. Kulturangelegenheiten, BMEIA), Michael Lysander Fremuth (Wiss. Direktor Ludwig Boltzmann Institut Wien), Aline Marion Steinwender (Kuratorin, Leopold Museum), Investmentbanker Peter Goldscheider, Helene von Damm (ehem. US-Botschafterin) und Karl Regensburger (Intendant ImPulsTanz), Werner und Hermine Muhm, die Kunsthistoriker Fritz Koreny, Dieter Ronte und Thomas Zaunschirm, Jakob Jelinek und Jürgen Pölzl (Komitee Salon Leopold), die Sammler*innen Thomas und Andrea Röder, Carl-Ludwig Thiele, Erich und Monika Breinsberg, Helmut Klewan, Diethard Leopold, Waltraud Leopold und Werner Trenker, RA Clemens Schindler (Schindler Attorneys), Christoph Spiegelfeld (Spiegelfeld & Wohlgemuth), Melanie Schernthaner (MedUni Wien), Katharina Koren (Mars Austria), der Künstler Peter Kogler, Bernd Ernsting (LETTER Stiftung), die Unternehmerinnen Hyo-Sook Clara Song und Jieun An (World Culture Networks), Investmentmanager Viktor Weinstein, Unternehmensberater Thomas Knoblinger (Arthur D. Little), Manager Alexander Flatz (Sandorn), Pascal Molina (C-Quadrat Investment Group), Fanny Zerz (Head of Exhibitor Relations, viennacontemporary), Max Appel-Palma (VIP Relations viennacontemporary), Sophie Höfer (Galerie bei der Albertina Zetter), Stephanie Manz-Varga (LLB), Nina Wöss (Fund F), Cosima Paumgartner (Parfums Christian Dior), Sophie Weissensteiner (Sotheby’s Vienna), Managerin Weronika Pilus, Johannes Weber (KPMG), Sascha Worrich (Wienerroither & Kohlbacher), Špela Stramšek (Galeria Novak, Ljubljana), Ulrike Gießner-Bogner (OeAD-GmbH), die Journalist*innen Eva Maria Klinger, Sabine Oppolzer (ORF Ö1), Hans-Peter Schwanke (Kunstmarkt.com), u.v.m.
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