„kulturMontag“: 60. Biennale in Venedig, „Das große Heft“ am Odeon, Bipolar Feminin auf Erfolgskurs | Brandaktuell - Nachrichten aus allen Bereichen

„kulturMontag“: 60. Biennale in Venedig, „Das große Heft“ am Odeon, Bipolar Feminin auf Erfolgskurs

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Wien (OTS) – Der von Clarissa Stadler präsentierte „kulturMontag“ am 22. April 2024 um 22.30 Uhr in ORF 2 gibt u. a. einen Ausblick auf die bevorstehende Jubiläumsausgabe der Kunst-Biennale in Venedig, die von den aktuellen politischen Entwicklungen überschattet ist. Die Sendung befasst sich außerdem mit der Dramatisierung von Ágota Kristófs Antikriegsroman „Das große Heft“, den Jacqueline Kornmüller auf die Bühne des Wiener Odeons bring. Die Regisseurin ist dazu live zu Gast im Studio. Weiters bringt die Sendung ein Porträt der erfolgreichen oberösterreichischen Band Bipolar Feminin, die demnächst mit dem FM4 Amadeus Award ausgezeichnet wird. Anschließend steht die neue Dokumentation „Karl Kraus – Die Macht des Wortes“ (23.15 Uhr) zum 150. Geburtstag des scharfzüngigen Kritikers, Medienmachers sowie Schriftstellers auf dem Programm. Bei der Erstellung des Films wurden KI-Systeme eingesetzt, um Karl Kraus mittels Tonaufnahmen seiner Originalstimme bzw. durch Fotos, aus denen kurze Filmsequenzen generiert werden, zum Leben zu erwecken und seine eigenen Zitate sprechen zu lassen.

Fremde überall – 60. Biennale di Venezia

Ende April öffnet zum 60. Mal die Biennale von Venedig ihre Pforten. „Fremde überall“ nennt der brasilianische Chefkurator Adriano Pedrosa seine Ausgabe der ältesten internationalen Kunstausstellung und stellt erstmals den globalen Süden in den Mittelpunkt. Denn es ist sonst der globale Norden, der in den Giardini den Ton angibt, so wie in der gesamten Kunstwelt. Genau dem möchte Pedrosa mit seiner Biennale entgegenwirken und legt sein Hauptaugenmerk auf Künstler:innen, die selbst Ausländer, Immigranten, Expatriates, Emigranten, Exilanten oder Flüchtlinge sind – insbesondere auf solche, die sich zwischen dem globalen Süden und dem globalen Norden bewegt haben. Schon vor der Eröffnung sorgen Thema wie Teilnehmer für Kontroversen. Ihre Konflikte bringen die Nationen mit. Als besonders brennend wahrgenommen wird der zunehmend eskalierende Krieg im Nahen Osten, der auch die Kunstwelt spaltet. Gegen eine Teilnahme des jüdischen Staates an der Kunstbiennale macht sich die „Art Not Genocide“-Allianz seit Mitte Februar stark und fordert den Ausschluss Israels, Demonstrationen inklusive. Das israelische Biennale-Team um Künstlerin Ruth Patir hat seinen Pavillon zugesperrt und will diesen erst wieder öffnen, wenn ein Waffenstillstand im Gaza-Krieg vereinbart und die Freilassung der von der islamistischen Hamas festgehaltenen jüdischen Geiseln erreicht sei. Die geforderte Politik verurteilt die Proteste aufs Schärfste und betont die Biennale als Raum von Freiheit und Dialog und nicht als einen Ort der Zensur und Intoleranz.

Russland nimmt seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine nicht teil an der internationalen Kunstschau. Neu ist jedoch, dass Putins Reich seinen Pavillon in diesem Jahr kostenlos an Bolivien abtritt. Eines der wenigen südamerikanischen Länder, das zu den ärmsten und strukturschwächsten des Kontinents zählt, war bisher noch nie in Venedig vertreten. Doch die Kunstwelt vermutet weniger die große Geste dahinter, sondern einen geopolitischen Kampf um Ressourcen. Denn Russland versucht, wie auch andere Weltmächte, Zugang zu Boliviens umfangreichen Lithiumreserven zu bekommen – ein wichtiger Rohstoff für Schlüsseltechnologien.

Fast 90 Länder-Pavillons widmen sich dem Generalthema der Biennale. Österreich wird durch Anna Jermolaewa vertreten, die 1989 als politische Oppositionelle aus der UdSSR nach Österreich fliehen musste und hier seitdem als Künstlerin tätig ist. Sie befasst sich in ihrer Arbeit mit Tschaikowskys Ballett „Schwanensee“ – in Russland ein Mittel, eine Chiffre, um stillen Widerstand zu üben und sich ohne Worte gegen das dort herrschende Regime aufzulehnen. Verlangt die Zeit nach Zeichen des politischen Widerstands und des Zusammenhalts, sei es als getanzte Dissidenz auf der Ballettbühne? Was bedeutet das titelgebende „Fremde“ für eine Gesellschaft? Wird damit jeglicher Nationalismus entkräftet?

Mutiger Überlebenskampf – Ágota Kristófs „Das große Heft“ am Odeon

Es ist eine ergreifende und ungeschönte Geschichte, die die ungarische Schriftstellerin Ágota Kristóf in ihrem Roman „Das große Heft“ protokolliert. Darin zeichnet sie das Schicksal zweier heranwachsender Zwillingsbrüder nach, die während des Krieges von ihrer Mutter aufs Land zur Großmutter gebracht werden und rasch lernen müssen, was es zum Überleben braucht. Der Krieg, die Flucht und ihre Folgen waren auch das Lebensthema der Autorin: die Entwurzelung, die Einsamkeit sowie Grausamkeit prägte Ágota Kristóf, die nach dem antisowjetischen Ungarn-Aufstand von 1956 als damals 21-Jährige mit ihrem ebenfalls oppositionellen Ehemann und der damals vier Monate alten Tochter in die Schweiz flüchten musste. Kristóf hatte die 50 schon überschritten, als ihr erster Roman erschien; es sollte gleich ihr bestechendster, wahrhaftigster und brutalster sein, denn er brachte all das zur größten Geltung, was sie als Erzählerin auszeichnet. Die deutsche Regisseurin Jacqueline Kornmüller, die sich hierzulande mit ihren interdisziplinären und interkulturellen Projekten wie der Ganymed-Serie einen Namen machte, wusste schon 1986 beim Erscheinen des Buches, dass sie diesen außergewöhnlichen Text irgendwann auf die Bühne bringen würde. Sie hat den Stoff für die Bühne des Odeon Theaters adaptiert und die kubanischen Zwillingsschwestern Miriam und Mercedes Varga, die schon seit den 1990er Jahren Teil des Serapionstheaters sind, für die Hauptrollen entdeckt. Eine ideale Besetzung für Kornmüller, weist ihre Biografie doch deutliche Parallelen zu der berührenden Geschichte auf. Über das Antikriegsstück, über Flucht und Entwurzelung spricht Clarissa Stadler mit der Regisseurin live im Studio.

Naturgewalt aus Ebensee – Die Band Bipolar Feminin auf Erfolgskurs

Harmlos sehen sie aus die vier, freundlich, zuvorkommend, witzig und bescheiden sind sie. Ihre Musik ist allerdings das Gegenteil:
aufwühlend, unversöhnlich, ihre Texte radikal authentisch. Bipolar Feminin nennen sich die vier Oberösterreicher aus dem Salzkammergut. Die 27-jährige Frontfrau Leni Ulrich, Sängerin, Gitarristin und Texterin der Band, ist ein stimmlicher Orkan. Mit Schmäh und Wut lässt sie verbal ordentlich Dampf ab bzw. den Frust aus über den Kapitalismus, der den Menschen zum Konsumwesen herabwürdigt, oder rechnet mit dem immer noch herrschenden Patriarchat ab. Selbstbewusst steuern Bipolar Feminin durch das weite Spektrum von Eingängigkeit und Herausforderung. Schon der Bandname mag irritieren. Dabei ging es der Gruppe aus Ebensee um zwei Pole, die sich aneinander aufreiben, aber dennoch eins sind, wie Ulrich das künstlerische Schaffen zusammenfasst. Es ist das Reibungsfeld, das die Musiker interessiert, nicht nur die reine Ablehnung. In ihrem ausgefransten Indie-Rock bis Grungepunk, der manchmal an Oasis oder Nirvana erinnert, dominieren die Stromgitarren. Vor mittlerweile fünf Jahren hat sich das Quartett in Wien gegründet, denn der als trügerischen empfundenen Idylle des Salzkammerguts will Bipolar Feminin rasch entkommen. 2022 erschien mit „Piccolo Family“ ihre erste EP, nun liegt das Debütalbum „Ein fragiles System“ vor und feiert Erfolge. Dafür wird die Band demnächst mit dem FM4 Amadeus Award ausgezeichnet.

Neues TV-Porträt „Karl Kraus – Die Macht des Wortes“ (23.15 Uhr)

Karl Kraus war ein Allround-Publizist: Journalist, Lyriker, Dramatiker, Satiriker, Visionär, Zeitungsherausgeber, Kritiker und Medienpionier. Und er war ein Mensch voller Widersprüche und Haltungen, mit denen er heute gewaltig anecken würde. Der Film „Karl Kraus – Die Macht des Wortes“ von Franz Gruber und Susanne Pleisnitzer tastet sich ganz nahe an diese unbequeme Figur heran, und zwar über Menschen – Künstler:innen und Forschende –, die sich einen Zugang zu seiner Person und zu seinem Werk erarbeitet haben.
Gelesen wird Karl Kraus heutzutage so gut wie gar nicht mehr. Zu gedrechselt sein Satzbau, zu zeitbezogen die Inhalte. Dennoch befasste er sich mit gesellschaftlichen Fragen, die heute noch Berechtigung haben. Es existiert trotz alledem eine eingeschworene Community, die viel Liebe, Zeit und Geld in die Erforschung seines Lebens investiert – darunter durchaus auch junge Leute.
Es sind die Widersprüche, die bei der Beschäftigung mit Kraus auffallen und Rätsel aufgeben. Da ist seine Wandlung vom Kaisertreuen zu einem der ersten Kriegsgegner während des Ersten Weltkriegs, oder jene vom Unterstützer der Sozialdemokratie zum wortreichen Befürworter des austrofaschistischen Diktators Engelbert Dollfuß. Ein weiterer Widerspruch ist sein verbissener Kampf gegen die Korruption im Zeitungswesen, während er mit der im Eigenverlag herausgegebenen „Fackel“ genau das betreibt, was man heute „Empörungsbewirtschaftung“ nennt – eine der Geschäftsgrundlagen des Boulevardjournalismus.

Da sind die von seiner langjährigen Geliebten Sidonie Nádherná von Borutín zeitweise als erdrückend empfundenen Liebesbezeugungen, während man in seinem Werk nicht lange nach frauenfeindlichen Äußerungen suchen muss. Da sind antisemitische Äußerungen, obwohl Kraus selbst jüdische Wurzeln hat. Und da ist der Technikskeptiker, der beim Untergang der Titanic und anderen Gelegenheiten die blinde Fortschritts-Gläubigkeit seiner Zeitgenossen geißelt – selbst aber bald zu einem der ersten Vielflieger Österreichs wird.
Zu Wort kommen u. a. Katharina Prager, ausgewiesene Kraus-Expertin und Kraus-Nachlassverwalterin, Isabel Langkabel, begeisterte Kraus-Forscherin, der Zitateforscher und Blogger Gerald Krieghofer, Kabarettist Hosea Ratschiller oder Burgschauspieler Cornelius Obonya. 88 Jahre nach dem Tod des umstrittenen Publizisten beantwortet dieser Film die Frage, ob sich hinter der weit- und scharfsichtigen, laut polternden, intellektuell oft überfordernden und scheinbar egomanischen Figur noch jemand anderer verbirgt, den es zu entdecken lohnt.

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