Veröffentlichung eines Abschiedsbriefes verstößt gegen Medienethik | Brandaktuell - Nachrichten aus allen Bereichen

Veröffentlichung eines Abschiedsbriefes verstößt gegen Medienethik

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Nach Ansicht des Senats 2 des Presserats verstößt der Artikel „Sohn tötet Vater (80): Abschiedsbrief auf Facebook“, erschienen auf „krone.at“, gegen Punkt 12 des Ehrenkodex für die österreichische Presse (Suizidberichterstattung).

Im Vorspann zum Artikel heißt es, dass eine Bluttat eine kleine steirische Gemeinde erschüttere. Ein Mann solle seinen Vater durch Messerstiche getötet haben, ehe er sich selbst das Leben genommen habe.

Im letzten Teil des Artikels wird festgestellt, dass ein auf Facebook aufgetauchter Abschiedsbrief mehr Licht ins Dunkel bringe. Zitate aus dem Abschiedsbrief des Sohnes sollen das angespannte Verhältnis zwischen Sohn und Vater belegen. Zudem werden auch Schuldzuweisungen des Sohnes gegen den Vater und Abschiedsworte an eine Hinterbliebene veröffentlicht.

Dem Beitrag ist ein Screenshot des erwähnten Abschiedsbriefs auf Facebook beigefügt, wobei Teile davon verpixelt wurden. Unterhalb des Artikels wird zudem auf Hilfsangebote für Personen in einer psychischen Ausnahmesituation oder von Suizidgedanken Betroffene hingewiesen.

Ein Leser wandte sich an den Presserat und kritisierte, dass der Abschiedsbrief über eine Stunde lang zur Gänze abgebildet gewesen sei, ehe dieser zumindest teilweise verpixelt worden sei. Hierfür übermittelte er dem Presserat einen entsprechenden Beleg.

Die Medieninhaberin von „krone.at“ hat von der Möglichkeit, am Verfahren teilzunehmen, keinen Gebrauch gemacht.

Zunächst hält der Senat fest, dass Berichte über Tötungsfälle innerhalb der Familie grundsätzlich für die Öffentlichkeit relevant sind. Aus dem öffentlichen Interesse an einem konkreten Vorfall ergibt sich jedoch nicht, dass der Persönlichkeitsschutz der Opfer und deren Angehörigen oder auch des mutmaßlichen Täters missachtet werden darf (vgl. Punkt 5.4 des Ehrenkodex).

Im konkreten Fall beging der mutmaßliche Täter nach der Tötung seines Vaters Suizid. Der Senat weist darauf hin, dass die Berichterstattung über Suizide im Allgemeinen große Zurückhaltung gebietet, insbesondere auch wegen der Gefahr der Nachahmung. Verantwortungsvoller Journalismus wägt ab, ob ein überwiegendes öffentliches Interesse besteht und verzichtet auf überschießende Berichterstattung (Punkt 12 des Ehrenkodex).

Der Senat erkennt in der Bekanntgabe der Informationen zum Tathergang bzw. den möglichen Motiven ein öffentliches Interesse, weshalb die bloße Meldung über die Tötung des Vaters und den anschließenden Suizid seines Sohnes nicht zu beanstanden ist. Unabhängig davon bewertet der Senat jedoch die Veröffentlichung von Zitaten des auf Facebook veröffentlichten Abschiedsbriefs des Tatverdächtigen als überschießend.

Die Senate des Presserats haben bereits öfter festgestellt, dass die Veröffentlichung von Abschiedsworten und Zitaten, in denen Betroffene ihre Suizidgedanken äußern, dazu führen kann, dass sich andere gefährdete Personen mit den Suizidopfern identifizieren und derartige Äußerungen den Entschluss zum eigenen Suizid begünstigen können. Der Senat begrüßt es zwar, dass zumindest im Nachhinein mehrere Passagen des Abschiedsbriefs vom Medium verpixelt wurden; dennoch bewertet der Senat diese Maßnahme als unzureichend.

In der vorliegenden Version des Facebook-Screenshots sind nach wie vor mehrere Passagen unverpixelt, in denen sich der mutmaßliche Täter gegenüber einer Hinterbliebenen erklärt; einige Zitate werden im Text anschließend noch einmal gebracht. Nach Ansicht der Senate ist auch die Wiedergabe dieser eingeschränkten Zitate des Suizidopfers geeignet, bei Personen mit Suizidgedanken eine gewisse Identifikation zu bewirken. Im Sinne der Suizidprävention hätte somit auch die Veröffentlichung der persönlichen Abschiedsworte jedenfalls unterbleiben müssen.

Nach Meinung des Senats ist eine überschießende Suizidberichterstattung wie im vorliegenden Fall außerdem dazu geeignet, die Trauerarbeit der Hinterbliebenen zu erschweren. Im Übrigen ist es auch nicht von Belang, dass der Tatverdächtige seinen Abschiedsbrief zunächst selbst in den sozialen Medien veröffentlicht hat: Eine Redaktion muss eigenständig darüber entscheiden, ob die veröffentlichten Zitate mit dem Ehrenkodex vereinbar sind.

Der Senat hebt es als positiv hervor, dass unterhalb des Artikels Hilfsorganisationen für suizidgefährdete Personen angeführt wurden bzw. zu Notrufnummern für den Fall einer psychischen Ausnahmesituation verlinkt wurde; dies allein reicht nach Ansicht des Senats jedoch nicht aus, von einem Verstoß gegen den Ehrenkodex abzusehen.

Abschließend merkt der Senat auch noch kritisch an, dass der (teilweise verpixelte) Abschiedsbrief nach wie vor unverändert in den Beitrag eingebettet ist; er empfiehlt im Sinne der vorliegenden Entscheidung seine komplette Entfernung (vgl. Punkt 2.4 des Ehrenkodex).

SELBSTÄNDIGES VERFAHREN AUFGRUND EINER MITTEILUNG EINES LESERS

Der Presserat ist ein Verein, der sich für verantwortungsvollen Journalismus einsetzt und dem die wichtigsten Journalisten- und Verlegerverbände Österreichs angehören. Die Mitglieder der Senate des Presserats sind weisungsfrei und unabhängig.

Im vorliegenden Fall führte der Senat 2 des Presserats aufgrund einer Mitteilung eines Lesers ein Verfahren durch (selbständiges Verfahren aufgrund einer Mitteilung). In diesem Verfahren äußert der Senat seine Meinung, ob eine Veröffentlichung den Grundsätzen der Medienethik entspricht.
Die Medieninhaberin von „krone.at“ hat von der Möglichkeit, an dem Verfahren teilzunehmen, keinen Gebrauch gemacht.

Die Medieninhaberin der „Kronen Zeitung“ hat die Schiedsgerichtsbarkeit des Presserats bisher nicht anerkannt.

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