Nationalrat: SPÖ drängt in Dringlichem Antrag auf umfassende Pflegepersonaloffensive
Die Situation in Österreichs Gesundheits- und Pflegesystem werde für Patientinnen und Patienten, Pflegebedürftige sowie für das gesamte Gesundheits- und insbesondere das Pflegepersonal deutlich schlechter, warnt die SPÖ in einem Dringliche Antrag mit dem Titel "Pflegenotstand beenden, Ausbildungsoffensive starten, Arbeitsbedingungen verbessern: Handeln Sie endlich, Herr Bundeskanzler!", der heute im Nationalrat eingebracht und debattiert wurde. Geschlossene Stationen, unbelegte Betten und Dienstpläne, die aufgrund des Personalengpasses kaum noch erstellt werden könnten, seien in Österreich längst "bittere Realität", weshalb sich die Sozialdemokrat:innen für eine "echte Personaloffensive" aussprechen.
Derzeit würden sich rund 10 % der Gesamtbevölkerung Österreichs entweder zu Hause oder in stationären Einrichtungen um einen pflegebedürftigen Menschen kümmern, wobei diese Zahlen auf Grund der demographischen Entwicklung noch weiter ansteigen würden. Bis zum Jahr 2050 sei mit einem Anstieg auf 750.000 pflegebedürftige Menschen und daher mit einem zusätzlichen Bedarf von rund 200.000 Pflegerinnen und Pflegern zu rechnen. Die Politik müsse "endlich offen aussprechen, was alle Menschen in Österreich längst spüren". Im früher "so viel gelobten österreichischen Gesundheitssystem, kracht es mittlerweile an immer mehr Ecken und Enden", meint die SPÖ. Auch der Rechnungshof habe im Bereich der Pflege das "Desaster" der Bundesregierung bestätigt, so SPÖ-Antragsteller Josef Muchitsch.
SPÖ fordert zusätzliche Ausbildungsplätze und verbesserte Arbeitsbedingungen in der Pflege
Konkret fordern die Sozialdemokrat:innen in ihrem bei der Abstimmung in der Minderheit gebliebenen Antrag ein Maßnahmenpaket für eine umfassende Pflegepersonaloffensive. Dieses soll unter anderem zumindest 3.000 zusätzliche Ausbildungsplätze, die Übernahme der Fachhochschulstudienbeiträge durch den Bund, ein Ausbildungsgehalt nach dem Vorbild der Polizeischüler:innen sowie die Bereitstellung eines Klimatickets für alle Auszubildende enthalten. Zudem brauche es eine Arbeitsplatzgarantie nach absolvierter Ausbildung sowie verbesserte Arbeitsbedingungen – insbesondere durch Personalbedarfsplanung, Dienstplansicherheit, einer schrittweisen Arbeitszeitreduktion sowie durch eine durchgängige zusätzliche Urlaubswoche. Eine weitere Forderung betrifft die Öffnung des Zugangs zur Schwerarbeitspension für das Pflegepersonal.
Gesundheits- und Krankenpflege sei ein sinnvolles und spannendes Berufsfeld, es mangele jedoch an guten Arbeitsbedingungen. In diesem Bereich sei die schwarz-grüne Bundesregierung viel schuldig geblieben. Die wenigen gesetzten Maßnahmen, wie etwa Boni, die nie im versprochenen Ausmaß am Konto gelandet seien, befristete Entgeltzuschüsse oder eine sogenannte "Entlastungswoche", die für den Großteil der Beschäftigten nicht zur Anwendung komme, seien noch dazu schlecht umgesetzt worden, kritisierte der Antragsteller.
Während laut Muchitsch, die einzige Antwort der ÖVP zum "Pflegenotstand" das Holen von Menschen aus dem Ausland ist, plädiere die FPÖ für die steuerliche Begünstigung von Überstunden des bereits überlasteten Pflegepersonals. Der Schlüssel zur Überwindung des "Pflegenotstands" sei, für ausreichend Personal zu sorgen. Anstatt Auszubildende in der Pflege mit 600 € "abzuspeisen", möchte sich der SPÖ-Mandatar das Ausbildungsgehalt der Polizeischüler:innen in der Höhe von 2.300 € zum Vorbild nehmen. Was für die öffentliche Sicherheit gelte, müsse auch für die soziale Sicherheit gelten. Zudem gehöre das Thema Pflege in Bundeshand, um das "Hin- und Her-Schieben" von Verantwortlichkeiten zu beenden.
Staatssekretärin Plakolm verweist auf die bisher von der Bundesregierung gesetzten Maßnahmen
Der Antrag der SPÖ rede die Pflege schlecht und schüre Ängste, betonte die den Bundeskanzler vertretende Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm. Es sei unbestritten, dass die Pflege die volle Aufmerksamkeit der Politik brauche. Die SPÖ-Forderung, den Mangel an Pflegekräften mit einer Arbeitszeitverkürzung zu lösen, bewirke jedoch das Gegenteil. Plakolm verwies auf die in den vergangenen Jahren gesetzten Maßnahmen der Bundesregierung in diesem Bereich. So habe man 570 Mio. € für Gehaltserhöhungen in die Hand genommen, eine zusätzliche Urlaubswoche ab dem 43. Lebensjahr, unabhängig von der Dauer der Betriebszugehörigkeit, zwei Extra-Zeitausgleichsstunden für Nachtdienste, eine Angehörigenbonus ab Pflegestufe 4, einen Rechtsanspruch auf Pflegekarenz für Eltern oder eine Pflegelehre eingeführt. Zudem habe der Bundeskanzler weitere Maßnahmen, wie etwa den Entfall der Nostrifizierung für Länder und Universitäten, die den österreichischen Standards entsprechen sowie die Rekrutierung von Wiedereinsteiger:innen und Fachkräften aus dem Ausland im Fokus.
Gesundheitsminister Rauch: Ohne Pflegekräfte von außen später keine angemessene Pflege
"Wir werden es nicht schaffen, alle notwendigen Kräfte aus dem eigenen Staat zu rekrutieren", daher seien wir darauf angewiesen diese aus Drittstaaten anzuwerben, warb Gesundheitsminister Johannes Rauch für Ehrlichkeit in der Debatte. Österreich befinde sich in Konkurrenzkampf mit anderen EU-Ländern. Ohne Pflegekräfte von außen werde es später keine angemessene Pflege geben, so der Gesundheitsminister. Es gebe nicht zu wenig Plätze in der Ausbildung, wir müssten die Menschen aktivieren vorhandene Plätze anzunehmen, betonte Rauch. Eine Arbeitsplatzgarantie brauche es nicht, da händeringend nach Pflegekräften gesucht werde. Verbesserungsbedarf erkannte Rauch bei den Berufsbedingungen und Übergangsmöglichkeiten zu anderen Beschäftigungsmöglichkeiten innerhalb des Berufsfeldes. Es gelte jene, die in der Pflege tätig sind, im Beruf zu halten.
SPÖ: Konkrete Maßnahmen statt Schönreden des aktuellen Zustands
Für SPÖ-Klubobmann Philip Kucher braucht es anstatt dem "Schönreden" von Staatssekretärin Plakolm konkrete Maßnahmen für Verbesserungen für das Pflegepersonal. Denn etwa die Hälfte der in der Pflege Tätigen würden mit dem Gedanken eines Jobwechsels spielen. Durch den Personalmangel müssten Operationen verschoben werden, pflegende Angehörige würden mit geringen Summen von der Bundesregierung "abgespeist". Auch die FPÖ ist laut Kucher "weit weg von den Lebensrealitäten der Pflegenden". Deren einzige Antwort sei mehr Überstunden des ohnehin überlasteten Personals.
Auch Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) erkannte ein finanzielles Ungleichgewicht zwischen Ausbildungen zu Pflegeberufen und Polizeischüler:innen und forderte Attraktivierungsmaßnahmen. In ihren Augen sei eine Ausbildungsoffensive erforderlich. Nicht nur die Bezahlung, auch Diensteinteilungen und Ausbildungsschienen gelte es zu verbessern, um den Pflegenotstand zu bekämpfen.
Für Christian Drobits (SPÖ) war es unverständlich, dass Pflegepersonal trotz der hohen physischen und psychischen Belastungen keinen Anspruch auf Schwerarbeitspension habe. Keine Partei außer der SPÖ wolle dies ändern. Drobits warnte auch davor, dass sich Konzerne über die "Hintertür" im Pflegebereich ansiedeln und bereichern könnten, womit die Gemeinwohlorientierung konterkariert würde.
ÖVP: Entwicklung der letzten Jahre geht in die richtige Richtung
Er halte nichts davon, von einem "Pflegenotstand" zu reden, entgegnete ÖVP-Klubobmann August Wöginger der SPÖ-Kritik. Dies sei fahrlässig und führe zu Verunsicherung. Auch Wöginger sah den Bedarf an mehr Personal, die Entwicklung der letzten Jahre gehe aber in die "richtige Richtung". Er verwies auf die seitens der Bundesregierung in den letzten Jahren gesetzten Maßnahmen, bei denen die SPÖ "nur mäßig dabei war". Stattdessen würden die Sozialdemokrat:innen das System "krank reden" und mit "falschen Zahlen" agieren. Mit der Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung würde zudem der Arbeitskräftemangel noch weiter verschärft, kritisierte der ÖVP-Klubobmann.
Der Personalmangel sei in allen Pflegebereichen gegenwärtig, unterstrich Martina Diesner-Wais (ÖVP). Um dem entgegenzuwirken, brauche es ein Bündel an Maßnahmen, verwies sie auf das Pflegestipendium, die Pflegelehre und Schulversuche, die ins Regelsystem übernommen werden. Zusätzlich brauche es Pflegekräfte aus dem Ausland.
ÖVP-Mandatar Ernst Gödl wollte "nichts schönreden", betonte jedoch, dass Maßnahmen, wie die Einführung der Pflegelehre – gegen die die SPÖ gestimmt habe – Abhilfe schaffen würden. Von der SPÖ geforderte Schritte, wie die Übernahme der Fachhochschulstudienbeiträge, lägen zudem im Ermessen der Bundesländer, und könnten unter sozialdemokratischen Landeshauptleuten bereits umgesetzt werden.
FPÖ: Antrag ist Selbstanklage der SPÖ
Da die Pflege Ländersache und die SPÖ etwa in Wien in Regierungsverantwortung sei, handle es sich bei dem Dringlichen Antrag um eine "Selbstanklage", betonte Dagmar Belakowitsch (FPÖ). Die Forderungen der SPÖ würden nichts Konkretes enthalten. Zudem hätten etwa SPÖ-Sozialminister den Zugang zu den Pflegestufen erschwert. Die FPÖ stehe generell für steuerfreie Überstunden, dies sei jedoch keine Aufforderung an das Pflegepersonal, Überstunden zu leisten, so Belakowitsch in Richtung SPÖ.
Breite Kritik an Versäumnissen im Pflegebereich kam von Christian Ragger (FPÖ). Die Probleme seien hausgemacht, beanstandete er unter anderem das Verpassen des Anhebens des Pflegeschlüssels, die Akademisierung der Pflege und den hohen Dokumentationsaufwand.
Die Pflegelehre sei von den Freiheitlichen initiiert worden, hielt Peter Wurm (FPÖ) fest und nannte eine Reihe an Maßnahmen, die aus seiner Sicht dem Personalnotstand entgegenwirken würden. So seien etwa nicht alle Pflegekräfte "ausgebrannt" und es gebe Potential unter den pensionierten Pfleger:innen, die "ein bis zwei Dienste pro Woche" übernehmen könnten. Die Anwerbung von Pflegekräften aus dem Ausland sah Wurm lediglich als Verschieben des Problems in die Zukunft an. Rosa Ecker (FPÖ) bemängelte eine aus ihrer Sicht überbordende Bürokratie im Pflegebereich und, dass es keine zentrale Anlaufstelle gebe, bei der sich Betroffenen über die verschiedenen Pflegedienstleistungen informieren könnten.
Grüne: SPÖ hat jahrelang geschlafen
Auch Bedrana Ribo (Grüne) verwies darauf, dass die SPÖ in fünf Landesregierungen und somit "am Hebel" für höhere Löhne sitze. Die Grünen-Mandatarin forderte eine seriöse Diskussion anstatt "immer nur zu wenig, zu spät zu schreien". Laut Ribo hat die aktuelle Bundesregierung so viel wie keine andere bisher, für Verbesserungen in der Pflege getan. So habe man eine Lohnerhöhung oder die von der SPÖ geforderte zusätzliche Erholungswoche bereits umgesetzt. Die SPÖ habe jahrelang "geschlafen".
Pflegenotstand und Probleme in der Pflege gebe es schon länger als diese Regierung, hielt Markus Koza (Grüne) der SPÖ entgegen und verwies auf die erreichte Pflegemilliarde. Es sei noch lange nicht alles perfekt, aber es seien zahlreiche gezielte Maßnahmen gegen Personalmangel und zur Verbesserung der Arbeits- und Einkommensbedingungen gesetzt worden, betonte Koza.
NEOS: Echte Verbesserungen statt Showpolitik
Die SPÖ-Vorschläge seien nicht neu und würden nur zu einem kleinen Teil zur Lösung des Problems beitragen, unterstrich Fiona Fiedler (NEOS). Das "Schneckentempo" in der Pflege hätte zudem unter SPÖ-Zuständigkeit begonnen. Anstatt "Showpolitik" und "Überschriften" brauche es "echte" Verbesserungen und Entlastung, damit Pflegekräfte nicht das Auffangnetz in Krankenhäusern und Pflegeheimen sein müssten. Fiedler forderte etwa einen bundesweit einheitlichen Personalschlüssel sowie Maßnahmen zur Digitalisierung und zum Bürokratieabbau.
Im Antrag enthaltene Forderungen seien teilweise bereits umgesetzt, hielt Gerald Loacker (NEOS) fest und wollte Probleme mit Verweis auf die Länderkompetenz dort lösen, wo sie anfallen. Bei den Arbeitszeiten machte Loacker die Gewerkschaft für mangelnde Verhandlungserfolge verantwortlich. Es brauche bessere Weiterentwicklungsmöglichkeiten für Pflegekräfte, war der Abgeordnete überzeugt und kritisierte das komplizierte Verfahren für die Rot-Weiß-Rot-Karte. (Fortsetzung Nationalrat) med/gla/wit
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