Kein Krankenstand in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen
Menschen mit Behinderungen bekommen in den „Werkstätten“, in denen sie arbeiten, nur Taschengeld statt Lohn. Das kritisiert die Volksanwaltschaft schon lange. Nun ist ein neuer Aspekt des Problems aufgetaucht: Weil die Beschäftigung von Christian S. nicht als Arbeitsverhältnis gilt, kann er auch nicht in Krankenstand gehen. Die Zeit, die er krank war und in der Werkstatt gefehlt hat, wurde ihm von den 50 jährlich erlaubten Fehltagen pro Jahr abgezogen. Nun hat er keine Tage mehr übrig, um auf Urlaub zu gehen oder Zeit mit seiner Familie zu verbringen. Denn für jeden zusätzlichen Fehltag müsste er 60 Euro zahlen – unleistbar! „Das ist ein klarer Verstoß gegen die UN-Behindertenrechtskonvention, denn auch Menschen mit Behinderung haben ein Selbstbestimmungsrecht über ihren Aufenthaltsort sowie ein Recht auf Familienleben“, sagt Volksanwalt Bernhard Achitz.
In der ORF-Sendung „Bürgeranwalt“ am 3. Februar sieht auch ein Vertreter von Jugend am Werk, der Trägerin der Einrichtung, wo S. arbeitet, Änderungsbedarf. Und auch im Fonds Soziales Wien, der die Regelung mit den Fehltagen vorschreibt, sagte man zu, über Änderungen nachdenken zu wollen. Man müsse aber sorgsam mit öffentlichen Mitteln umgehen, sie müssten effizient eingesetzt werden.
„Lohn statt Taschengeld“: Bericht des Sozialministeriums ist da, jetzt Umsetzung angehen!
Achitz verweist auf den Sonderbericht „Keine Chance auf Arbeit – Die Realität von Menschen mit Behinderung“, in dem die Volksanwaltschaft vor mehr als vier Jahren Lohn statt Taschengeld sowie sozialversicherte Arbeitsverhältnisse für Menschen in „Werkstätten“ gefordert hat: „Die Umsetzung würde wohl auch bedeuten, dass Herr S. wie andere Arbeitnehmer*innen in Krankenstand gehen könnte, ohne dass dadurch sein Urlaubsanspruch verfällt.“ Die Bundesländer sind ebenso gefordert wie der Bund. Das Sozialministerium hat einen Bericht angekündigt, der nun mit großer Verspätung endlich vorliegt. Achitz: „Jetzt müssen alle Beteiligten rasch in die Gänge kommen, damit ‚Lohn statt Taschengeld‘ noch in dieser Gesetzgebungsperiode Wirklichkeit wird. Und die dauert planmäßig nur mehr bis September.“
Niederösterreich ignoriert Recht auf Selbstbestimmung, das durch UN-BRK garantiert wird
Auch in Niederösterreich haben Menschen mit Behinderungen Probleme mit limitierten Fehltagen. Gerhard A. etwa lebt in einer Einrichtung, aber die Wochenenden will er bei seinen Eltern verbringen. Seine Mutter holt ihn jedes Wochenende nachhause. Er darf aber auf maximal 82 Fehltage im Jahr kommen – wenn er also jedes Wochenende von Freitag bis Sonntag oder gar Montag nicht in der Einrichtung übernachtet, geht sich das nicht aus. Und für Urlaub bleiben sowieso keine Tage mehr übrig. Seine Mutter holt ihn daher samstags in der Früh mit dem Auto ab und bringt ihn am Abend zurück. Am Sonntag wiederholt sich die Tour.
„Österreich hat die UN-BRK unterzeichnet, Niederösterreich muss die freie Wahl des Aufenthaltsorts ermöglichen“, hat Volksanwalt Achitz schon vor einem Jahr in „Bürgeranwalt“ von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner gefordert, doch das Land Niederösterreich hat sich um keinen Millimeter bewegt. Das Argument, dass die Einrichtung, in der A. lebt, öffentlich finanziert sei und daher auch am Wochenende voll belegt sein müsse, lässt Achitz nicht gelten: „Für Menschen mit Behinderungen gilt das Recht auf Selbstbestimmung des Aufenthaltsorts genauso wie für alle anderen Menschen. Auch wer in einer öffentlich finanzierten Gemeindewohnung lebt, darf diese schließlich am Wochenende verlassen, um Urlaub zu machen oder Zeit mit der Familie zu verbringen.“
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