Industrie: Lethargische Konjunktur hält an
Dem aktuellen Bericht der Weltbank zu den globalen wirtschaftlichen Perspektiven zufolge wird sich das weltweite Wirtschaftswachstum von 2,6 Prozent im Jahr 2023 auf 2,4 Prozent im Jahr 2024 verringern. Voraussichtlich wird sich die Wachstumsdynamik damit noch weiter von der durchschnittlichen Expansionsrate in Höhe von 3,1 Prozent während der 2010er Jahre entfernen. Ohne eine tiefgreifende Kurskorrektur sei zu erwarten, dass die 2020er Jahre als eine Dekade der vertanen Chancen in die Annalen eingehen werden. „Daher ist es umso wichtiger jetzt zu handeln – 2024 ist ein Jahr der Wahlen und damit auch der Weichenstellungen und Chancen, denn nicht nur Österreich und Europa wählen, sondern die Hälfte der Weltbevölkerung. Es darf jedenfalls kein verlorenes Jahr sein!“, betont Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung.
In Österreich ist die Wirtschaft im Jahr 2023 nach den vorliegenden Schätzungen wahrscheinlich noch etwas stärker geschrumpft als in Deutschland, wo ein Rückgang der Wirtschaftsleistung in Höhe von 0,5 Prozent zu Buche steht. Bei einem BIP-Rückgang im Ausmaß von 0,7 Prozent in Österreich handelt es sich um die stärkste normalzyklische Rezession seit 1950 – lediglich die exogenen Schocks der Insolvenz von Lehman Brothers sowie der COVID-19-Pandemie führten zu noch höheren BIP-Einbußen. Allerdings ist in Rechnung zu stellen, dass sich die österreichische Wirtschaft post-COVID mit einem realen BIP-Wachstum in Höhe von 9,4 Prozent weitaus kräftiger als die deutsche Wirtschaft mit 5,0 Prozent erholt hat.
Die Einschätzung des aktuellen Geschäftsganges durch die Unternehmen fällt nunmehr bereits seit zehn (!) Quartalen ununterbrochen schwächer aus und kommt erstmals seit dem zweiten Quartal 2020 unterhalb der Nulllinie zu liegen. Gegenläufig entwickelt sich die Einschätzung der Geschäftslage in sechs Monaten, welche sich zwar verbessert, jedoch weiterhin weit in negativem Terrain verharrt. Per saldo verbessert sich das IV-Konjunkturbarometer um rund zwei Punkte. Es liegt damit lediglich exakt fünf Punkte oberhalb des COVID-19-bedingt historisch schlechten Wertes aus dem ersten Quartal 2020.
„In einzelnen Branchen wie der Papier- und Pappeindustrie ist eine Bodenbildung beim aktuellen Geschäftsgang zu verzeichnen, da der zyklische Lagerabbau abgeschlossen ist. In der Breite der österreichischen Industrie setzt sich die rezessive Entwicklung jedoch in abgeschwächter Form fort. Bei einzelnen Unternehmen der energieintensiven Industrie sowie im Hochbau verschärft sie sich sogar noch“, bringt IV-Generalsekretär Christoph Neumayer das Hauptergebnis auf den Punkt. „Im Übrigen ist die statistisch ausgewiesene Verbesserung bei den Geschäftserwartungen zum überwiegenden Teil darauf zurückzuführen, dass der Anteil der Unternehmen, die einen noch schlechteren Geschäftsgang erwarten, um neun Prozentpunkte abgenommen hat.“
Um diesem Trend entgegenzuwirken, braucht es gezielte Anreize, um die unter Druck geratene Baubranche zu fördern und so auch die Rahmenbedingungen für junge Menschen, die in Eigentum investieren möchten, zu verbessern. „Damit schafft man Win-Win-Situationen für Unternehmen, wie Menschen, die in ihre Zukunft investieren möchten. Anreize, wie beispielweise Verbesserungen bei den Regulatorien zur Schuldendienstquote oder eine befristete Einführung von Abschreibungsmöglichkeiten, sowie ein Zinsabsetzbetrag für Immobilien-Kredite sind dabei Optionen, die es zu diskutieren gilt“, schlägt Neumayer vor.
Konjunkturell ist noch keine Wende in Sicht, ein klassischer Frühjahrsaufschwung außer Reichweite. Dafür würde es entweder eines kräftigen außenwirtschaftlichen Expansionsimpulses oder aber einer sich selbst tragenden Investitionskonjunktur im Inland bedürfen. „Für ersteren kämen aufgrund ihrer beträchtlichen Anteile an der globalen Wirtschaftsleistung am ehesten die USA oder China in Betracht, doch zeichnet sich ein solcher derzeit nicht ab. Für letztere fehlt es derzeit an sämtlichen Voraussetzungen, vielmehr weist die gesamte Palette der relevanten Vorlaufindikatoren in die gegenteilige Richtung, nämlich einer geringeren Kapazitätsauslastung, abnehmenden Auftragsbeständen und einer wenig favorablen Ertragsperspektive, sodass die Konjunkturentwicklung zumindest bis in den Sommer hinein apathische Züge tragen wird“, erläutert IV-Chefökonom Christian Helmenstein.
Die Ergebnisse der aktuellen IV-Konjunkturumfrage
Das IV-Konjunkturbarometer, welches als (gewichteter) Mittelwert aus den Beurteilungen der gegenwärtigen Geschäftslage und der Geschäftslage in sechs Monaten bestimmt wird, steigt geringfügig von -16,8 Punkte auf -14,8 Punkte.
Die Stabilisierung des IV-Konjunkturbarometers ist ausschließlich auf die Teilkomponente der Geschäftsaussichten mit einem Horizont von sechs Monaten zurückzuführen. Diese verbessern sich von -41 Punkten zum Vortermin auf nunmehr -28 Punkte. Eine positive zweite Ableitung bedeutet jedoch lediglich, dass die rezessive Dynamik etwas nachlässt und nicht etwa, dass sich die konjunkturelle Wende bereits abzeichnete, geschweige denn unmittelbar bevorstünde. Lediglich 9% der Respondenten erwarten auf Sicht des nächsten Halbjahres einen günstigen Geschäftsverlauf, während 37% mit einer ungünstigen Entwicklung rechnen.
Die Einschätzung der aktuellen Geschäftslage verzeichnet sogar einen Vorzeichenwechsel und bildet sich von +7 Punkten auf -2 Punkte zurück. Mit erheblicher zeitlicher Verzögerung folgt sie damit der Teilkomponente der Geschäftsaussichten.
Mit einem Saldo von -8 nach zuvor +3 Punkten haben sich die Gesamtauftragsbestände in der Industrie inzwischen nicht nur weit von einem aufschwungsaffinen Niveau entfernt, sondern 28% der Unternehmen sind derzeit mit unterausgelasteten Produktionskapazitäten konfrontiert. Im Tandem mit der Verringerung bei der Komponente der Auslandsaufträge (Saldo -8 nach +4) hat sich der Verlust an Auftragsreichweite damit fortgesetzt. Zumindest für letztere Seite ist kein aufwertungsbedingter Gegenwind mehr zu erwarten, da die europäische Gemeinschaftswährung – bei zwischenzeitlich erheblichen Schwankungen – gegenüber dem US-Dollar im Vorjahresvergleich per saldo unverändert notiert. Die aufgrund der nachteiligen Kostenposition schon erheblich belastete preisliche Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Exporteure auf Drittmärkten außerhalb der Europäischen Union steht damit zumindest wechselkursseitig nicht noch zusätzlich unter Druck.
Angesichts des anhaltend negativen Konjunkturbildes, vor allem der unzureichenden Auftragsbestände, rechnen die Unternehmen in saisonbereinigter Betrachtung kurzfristig mit einer nochmals erheblich sinkenden Produktionstätigkeit. Der Saldo der Produktionserwartungen erfährt eine kräftige Revision und bricht von -16 Punkten auf nunmehr -28 Punkte ein.
In Übereinstimmung mit den weiter reduzierten Produktionsplanungen kommt es nach der zum vorletzten Termin erfolgten Saldendrehung bei den Beschäftigungsaussichten zu einer abermaligen, substanziellen Eintrübung.
Der Wert geht von -23 Punkten auf nunmehr -35 Punkte zurück. Hinter dieser Saldenbetrachtung verbirgt sich ein immer stärker in Bewegung geratender Arbeitsmarkt. Einerseits trachten nur noch 8% der Respondenten binnen des laufenden Quartals nach einer Ausweitung ihres Beschäftigtenstandes, während andererseits 43% ihren Beschäftigtenstand nicht mehr zu halten vermögen. Im Ergebnis ist mit einer höheren Fluktuation von Arbeitskräften innerhalb der Industrie, aber auch über Sektorgrenzen hinweg sowie in die sozialen Sicherungssysteme und in die Herkunftsländer ausländischer Beschäftigter zu rechnen.
Auf der Ebene der Erzeugerpreise beginnt das deflatorische Szenario trotz einer zunehmenden Unterauslastung der Produktionskapazitäten auszulaufen. Die Industrieunternehmen sind gehalten, die zunehmende Kostenbelastung zumindest teilweise Teil auf die Preise zu überwälzen, sodass der Saldo von -15 Punkten auf -11 Punkte zulegt. Von der Industriegüterkomponente geht daher im Vergleich zur Dienstleistungskomponente wie schon während der vorangegangenen Quartale zwar noch ein preisniveaustabilisierender Effekt aus, aber ihr disinflatorischer Charakter beginnt sich abzuschwächen. Die Rückführung der österreichischen Inflationsrate auf ein stabilitätskonformes Niveau gestaltet sich damit zunehmend schwierig.
Die Vielzahl der konjunkturellen Störfaktoren belastet die aktuelle Ertragslage der Unternehmen. Bei einem Saldo von -1 Punkt (nach zuvor -7 Punkten) halten der Anteil der Unternehmen mit einer guten und jener mit einer schlechten Ertragslage einander nahezu die Waage. Auf Sicht von sechs Monaten erwarten 37% der Unternehmen weitere Ertragseinbußen, während jedes zehnte Unternehmen mit einer Verbesserung der Ertragslage rechnet. Dementsprechend stellt sich der Saldo der Ertragserwartungen auf -27 Punkte nach -31 Punkten.
Die IV-Konjunkturumfrage: Zur Befragungsmethode
An der jüngsten Konjunkturumfrage der Industriellenvereinigung beteiligten sich 388 Unternehmen mit rund 288.500 Beschäftigten. Bei der Konjunkturumfrage der IV kommt folgende Methode zur Anwendung: Den Unternehmen werden drei Antwortmöglichkeiten vorgelegt: positiv, neutral und negativ. Errechnet werden die (beschäftigungsgewichteten) Prozentanteile dieser Antwortkategorien, sodann wird der konjunktursensible „Saldo“ aus den Prozentanteilen positiver und negativer Antworten unter Vernachlässigung der neutralen gebildet.
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