Tiroler Tageszeitung, Leitartikel vom 23. Dezember 2023. Von Wolfgang Sablatnig: "Das politische Geschäft mit Corona". | Brandaktuell - Nachrichten aus allen Bereichen

Tiroler Tageszeitung, Leitartikel vom 23. Dezember 2023. Von Wolfgang Sablatnig: „Das politische Geschäft mit Corona“.

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Bundeskanzler Karl Nehammer räumt Fehler bei der Pandemie ein. Den Kritikern der Maßnahmen kann er es damit aber nicht recht machen. Die FPÖ nutzt das Virus für einen Generalangriff. Die Regierung weiß keine Antwort.

Impfpflicht, Schulschließungen, Lockdown für Ungeimpfte, einsame Menschen im Pflegeheim: Wie erinnern uns nur ungern, was uns Corona alles auferlegt hat. „Mit dem Wissen von heute würden wir vieles anders machen“, sagte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) bei der Präsentation der großen Studie zur Aufarbeitung der Pandemie und dem Umgang damit. Soziologe Alexander Bogner wurde direkter: Mauscheln, Mauern und Moralisieren hätten die Impfpflicht in Verruf gebracht und die Menschen gespalten. 
Der Schaden ist so nachhaltig, dass Politik und Gesellschaft nach wie vor darunter leiden – und noch lange leiden werden. Die Regierung spricht von „Aufarbeitung“. Na ja. Die Rede ist von „Versöhnung“. Das klingt gut. Versöhnung bräuchte aber die Bereitschaft aller Beteiligten. 
Manche fordern eine „Entschuldigung“. Diese wiederum setzt das Eingeständnis eines Fehlverhaltens voraus. Denen, die eine Entschuldigung fordern, geht es aber gar nicht um das Mauern, Mauscheln oder Moralisieren. Dafür könnte die Regierung sogar um Verzeihung bitten. 
Es geht den Kritikern, allen voran der FPÖ und Parteichef Herbert Kickl, vielmehr um den Generalangriff auf die Koalition und die Einrichtungen des Staates. Sie unterstellen, dass die Regierung mutwillig die Freiheit der Menschen beschneiden wollte. Dazu habe sie sich mit finsteren Mächten zusammengetan, mit der Opposition, der Pharma­industrie, der Weltgesundheitsorganisation, der Europäischen Union sowieso. 
Sie gestehen nicht zu, dass die Situation so neu war, dass es keine Pläne dafür gab. Sie kritisieren die Strenge der Maßnahmen – und hätten selbst am lautesten geschrien, wenn die Pandemie entglitten wäre.
Kickl und diesen Kritikern geht es nicht um eine Entschuldigung, die zu Versöhnung führen könnte. Sie wollen, dass die Regierung Fehler einräumt – und wollen aus diesen Fehlern erst recht wieder politisches Kapital schlagen. Vorerst haben sie damit Erfolg: In den Umfragen liegt die FPÖ seit Monaten unangefochten am ersten Platz.
Und die Regierung? Sie erkennt, wie misslich ihre Lage ist, findet aber keinen Ausweg. Im Frühjahr noch hatte Nehammer die Aufarbeitung groß angekündigt. Am Ende standen ein neues Krisensicherheitsgesetz, die Vernetzung der Gesundheitsdaten und das Versprechen besserer Kommunikation. 
Aber was hält die Regierung der Polarisierung und Spaltung entgegen? Der Kanzler will die Menschen ernst nehmen, sagt er. Er will zuhören und den Diskurs führen.
Das ist gut gemeint. Den Generalangriff der Blauen wird Nehammer damit im kommenden Wahljahr aber nicht abwehren können.

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