Die bittere Realität vieler Alleinerzieher*innen: Weihnachten ohne Baum und Geschenke in einer kalten Wohnung | Brandaktuell - Nachrichten aus allen Bereichen

Die bittere Realität vieler Alleinerzieher*innen: Weihnachten ohne Baum und Geschenke in einer kalten Wohnung

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Während die Regierung zufrieden mit sich selbst ist, indem sie annimmt, mit dem 60-Euro Teuerungsausgleich genug für Alleinerzieher*innen getan zu haben, sieht die Realität anders aus: Schon 2022 lebte die Hälfte aller Alleinerzieher*innen mit ihren Kindern in Armut oder Ausgrenzung, damit liegt Österreich EU-weit an der Spitze. Doch die Situation dürfte sich 2023 noch deutlich verschlimmern: die hohe Inflation, gerade bei den günstigsten Lebensmitteln und Mietpreiserhöhungen treiben Alleinerzieher*innen an den Rand der Existenzgefährdung. 60 Euro pro Monat sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein, sie decken die Preissteigerungen bei weitem nicht ab. 

Sabine verzweifelt: Sie arbeitet als Sekretärin, Unterhalt für ihre beiden Töchter oder Unterhaltsvorschuss bekommt sie keinen, denn der Vater ihrer Kinder ist chronisch krank und lebt selbst in Armut. Sabine zählt zu den „Working Poor“: sie ist arm trotz Erwerbsarbeit. Sie kann wegen fehlender Ganztages-Kinderbetreuungsplätze nur 20 Stunden pro Woche arbeiten. Dem heurigen Weihnachtsfest sieht sie besonders sorgenvoll entgegen: Weihnachtsbaum gab es schon letztes Jahr keinen, doch heuer gehen sich auch keine kleinen Geschenke mehr aus. Denn durch die gestiegenen Preise kann Sabine nicht einmal mehr ihre Wohnung warmhalten. Den Schimmel im Bad, mit dem sie immer wieder zu kämpfen hat, freut’s! Die junge Mama klagt: „Ich weiß nicht mehr, worauf ich noch verzichten soll, ich habe schon lange alles eingespart!“ 

Sabine ist nicht allein: Laut Statistik Austria ist es für jede 6. Alleinerzieher*in nicht leistbar, jeden 2. Tag eine warme Hauptmahlzeit zu kochen. Was sich in der Befragung noch zeigt: Nicht nur Lebensmittel, auch Wohnen, Heizen und Stromkosten werden für Alleinerzieher*innen zunehmend zum Problem. Sogar mit dem Schimmel ist Sabine nicht allein: 15% der Ein-Eltern-Haushalte müssen so prekär wohnen, dass Schimmel und Feuchtigkeit zum Problem werden. Die Obfrau des Vereins Feministische Alleinerzieherinnen, Andrea Czak dazu: „Uns erreichen immer mehr Anfragen von verzweifelten Müttern, die nicht mehr wissen, wie sie die Kosten des täglichen Bedarfs stemmen sollen. Alleinerzieher*innen leben außerdem in der ständigen Bedrohung, die Obsorge zu verlieren, wenn sie aus Armut ihre Kinder nicht mehr versorgen können oder die Wohnung verlieren.“ 

Seit 46 Jahren ist klar, dass der Unterhaltsvorschuss nicht reicht 

Bereits 1977, einige Monate nach der Einführung des Unterhaltsvorschuss wurde klar, dass nur ein Teil der Kinder davon profitiert, weil die Voraussetzungen sehr eng gesteckt sind. So muss vor allem die Aussicht bestehen, dass der Staat den Vorschuss vom Geldunterhaltspflichtigen, in der Regel dem Vater, wieder zurückerlangen kann. Ist das nicht gegeben, weil der Vater zum Beispiel nicht mehr arbeitsfähig ist, gibt es keinen Vorschuss. Die Unterhaltsbefragung 2021 der Statistik Austria brachte zutage, dass 36% der Kinder in Österreich weder Unterhalt noch Ersatzleistungen wie Halbwaisenpension oder Unterhaltsvorschuss bekommen. Diese Mütter sind mit ihren Kindern finanziell vollkommen auf sich gestellt. 

Zeitverwendungsstudie zeigt: Väter lassen sich von Müttern bedienen 

Die neuste Zeitverwendungsstudie der Statistik Austria zeigt deutlich, dass Alleinerzieher*innen nicht deshalb in Armut oder Ausgrenzung leben, weil sie zu wenig arbeiten würden: Frauen, egal ob mit oder ohne Kinder, arbeiten insgesamt mehr als Männer, wenn man die Summe der unbezahlten und bezahlten Arbeit betrachtet. Väter leisten sogar weniger Hausarbeit als kinderlose Männer: nämlich nur 1:55 Stunden pro Tag, während Mütter mit 3:42 Stunden zwei Drittel der anfallenden Hausarbeit leisten. Rechnerisch tragen Väter also nichts zur Mehrarbeit durch die Kinder bei, sondern schieben sogar einen Teil ihrer eigenen Hausarbeit an ihre Partnerin ab. Männer in Paarbeziehungen ohne Kinder verrichten täglich 2:07 Stunden Hausarbeit, alleinlebende Männer nur 2:04 Stunden.

Alleinerzieherinnen sind zur Gänze für die unbezahlte Mehrarbeit durch die Kinder verantwortlich, auch sie verrichten täglich 3:42 unbezahlte Hausarbeit. Von der höheren Erwerbsarbeit, die Väter in der Regel leisten, profitieren sie allerdings nicht: Nur die Hälfte der Kinder bekommt Unterhalt vom Vater, und auch das nur in der Höhe eines Drittels der Kinderkosten. Alleinerzieher*innen sind also nicht nur in der Care Arbeit, sondern auch finanziell für die Kinder hauptverantwortlich. 

Außerdem leisten Mütter mehr Arbeit unbezahlt als bezahlte Arbeit, während Väter hauptsächlich bezahlte Arbeit leisten und somit nicht nur in einer finanziellen Machtposition sind, sondern auch im Alter besser abgesichert sind. Pikant: seit 1992 hat sich die Zeit, die Männer für unbezahlte Arbeit aufwenden sogar um 4 Minuten verkürzt! 

Silvia Federici, die italienische Autorin, Aktivistin und Professorin für politische Philosophie und Frauen-Studien fordert seit Jahrzehnten die Bezahlung der Care Arbeit, die für das Aufziehen der Kinder, der Pflege von Alten und Hilfsbedürftigen und für die Haushalts- und Fürsorgetätigkeiten im erweiterten Familienumfeld anfällt. Federici dazu: „Die Reproduktionsarbeit ist die Grundlage aller anderen Arten von Arbeit. Und sie ist immer noch unbezahlt. Denn als Arbeit ist sie gar nicht sichtbar: Sie wird nicht als Arbeit wahrgenommen. Das hat viele Frauen verarmen lassen und von Männern abhängig gemacht.“ 

Alleinerzieher*innen werden willentlich und wissentlich in die Armut und Ausgrenzung gedrängt 

Dass Alleinerzieher*innen und ihre Kinder in Armut leben, weil sie kaum oder keinen Unterhalt oder Ersatzleistungen bekommen, ist seit langem klar. Ebenso kennt man schon lange die Folgen der Kinderarmut: schlechte Gesundheit, schlechtere Bildung und schlechtere Chancen am Arbeitsmarkt. Laut Berechnungen der OECD machen diese Kosten etwa 4% der Wirtschaftsleistung aus. Obwohl sich alle Parteien im Wahlkampf 2017 für eine Unterhaltsgarantie aussprachen, ist seither nichts geschehen. Im Dezember 2022 meinte Ministerin Susanne Raab sogar, sie halte den Unterhaltsvorschuss für ausreichend, es bedürfe keiner weiteren Maßnahmen. Dass Alleinerzieher*innen in die Armut gezwungen werden, sei ein Kalkül, so Andrea Czak: „Die ÖVP verhindert seit Jahrzehnten Leistungen für die Kinder von Alleinerzieherinnen, weil sie Mütter davon abgeschreckt wollen, sich aus der Beziehung zu lösen, selbst wenn sie Gewalt erfahren haben. Dabei geht es um ein bürgerliches Weltbild von Rechtskonservativen, die sich durch die Idee unabhängiger Frauen bedroht fühlen. Dass Kinder dadurch in Armut leben müssen, sie billigend in Kauf, genauso wie die Folgekosten der Kinderarmut und dadurch den Entgang von höheren Einkommenssteuern und Sozialabgaben. Die Mütter, wie man bei Bundeskanzler Nehammer gesehen hat, werden sogar noch verhöhnt, wenn sie ihren Kindern keine warme Mahlzeit bieten können. Auch wenn die ÖVP sich immer wieder auf die Fahnen schreibt, christliche Werte zu vertreten: Mit Nächstenliebe hat diese Ausgrenzung nichts zu tun!“ 

Der Verein FEM.A fordert deshalb:

  • Die sofortige Umsetzung der Unterhaltsgarantie für Kinder von Alleinerzieher*innen zur Bekämpfung der Kinderarmut: Unterhalt in Höhe der tatsächlichen Kinderkosten.
  • Die Anrechnung der zusätzlichen Care Arbeit durch Kinder und Pflegebedürftige auf die Pension mit einer Bemessungsgrundlage des durchschnittlichen Einkommens der ganzjährig Vollzeit beschäftigten Männer bis zur Volljährigkeit des jüngsten Kindes, auch rückwirkend.
  • Die Bezahlung der Care Arbeit, die für Kinder und Pflegebedürftige geleistet wird in Höhe des durchschnittlichen Stundenlohns ganzjährig Vollzeit beschäftigter Männer.

Zur Organisation:

Der Verein Feministische Alleinerzieherinnen – FEM.A ist in Österreich einzigartig mit seinem Beratungs- und Serviceangebot rund um die Themen Unterhalt, Obsorge und Kontaktrecht. Es reicht von kostenlosen Webinaren mit Rechtsanwältinnen und Psychologinnen, Entlastungsgesprächen am kostenlosen FEM.A Telefon, bis zu Informationen auf der Website, in einem regelmäßigen Newsletter, sowie auf diversen Social-Media-Kanälen, Vernetzung, Erfahrungsaustausch und Lobbying.

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