Universität Wien arbeitet ihre Ehrungspraxis auf
Die Universität Wien hat in einem gesamtuniversitären Projekt 1.577 bisher verliehene Ehrungen untersucht. Ziel dieser Auseinandersetzung ist es, die kritischen Aspekte aufzuarbeiten, zu benennen und sichtbar zu machen. Umgesetzt wurde dies, indem die betreffenden Biografien auf der Website 650plus/Geschichte der Universität Wien entsprechend ergänzt und gekennzeichnet wurden. Am Dienstag, 24. Oktober, wurde das Projekt vorgestellt.
Unter Beteiligung aller 20 Fakultäten und Zentren hat die Universität Wien in enger Abstimmung mit der Medizinischen Universität Wien ihre bisherige Ehrungspraxis im Rahmen eines gesamtuniversitären Projekts einer kritischen Aufarbeitung unterzogen. Nach den Grundsätzen "Transparenz – Kommentierung – Sichtbarmachung" untersuchte ein Team aus Archivar*innen und Zeithistoriker*innen des Universitätsarchivs und des Forums "Zeitgeschichte der Universität Wien" im Auftrag des Senats und des Rektorats insgesamt 1.577 Ehrungen, die die Universität Wien seit ihrem 500-Jahr-Jubiläum im Jahr 1865 verliehen hat. "Wir haben uns dazu entschieden, keine symbolischen posthumen Aberkennungen auszusprechen – der Gedanke dahinter ist, Geschichte nicht auszulöschen. Stattdessen wollen wir diese problematischen Ehrungen im Zuge einer kritischen Auseinandersetzung sichtbar machen und kontextualisieren", so Rektor Sebastian Schütze. Diesen Ansatz hat die Universität Wien auch in der Vergangenheit verfolgt, u.a. beim Siegfriedskopf oder den Rektorenfasten in der Aula.
Im neuesten Projekt zur Geschichtsaufarbeitung erarbeiteten die Wissenschafter*innen unter der Leitung von Zeithistoriker Oliver Rathkolb unter Einbeziehung neu zugänglicher Archivalien und Forschungsergebnissen eine Grundlage für eine differenzierte Positionierung der heutigen Universität zu ihren bisherigen Ehrungen. Es handelt sich etwa um Ehrendoktorate oder Ehrenbürgerschaften. "Für eine Institution von der Größe und Bedeutung der Universität Wien ist es ungemein wichtig, sich mit ihrer eigenen Geschichte auseinanderzusetzen und dabei einen kritischen Blick auf bedeutende Ereignisse – wie Ehrungen von Universitätsmitgliedern – voranzutreiben", so Oliver Rathkolb.
28 Personen bzw. 33 Ehrungen wurden als "problematisch" eingestuft – damit werden Ehrungen von Personen bezeichnet, die in der Öffentlichkeit durch antisemitische, rassistische, faschistische Äußerungen bzw. Handlungen hervorgetreten sind beziehungsweise Vorurteile in Richtung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit geäußert haben. Darunter sind namhafte Wissenschafter*innen der Universität Wien wie Nobelpreisträger Konrad Lorenz, der den "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich mit Euphorie begrüßte, Parteimitglied als auch Mitglied des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP war und seine Forschungen in den Dienste des nationalsozialistischen Denkens stellte.
39 Personen bzw. 56 Ehrungen fallen in die Kategorie "diskussionswürdige Ehrungen". Dies betrifft Ehrungen von Personen, die eher formal Ideologien oder Funktionär*innen unterstützt haben, die durch antisemitische, rassistische, faschistische Äußerungen bzw. Handlungen hervorgetreten sind beziehungsweise Vorurteile in Richtung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit propagiert haben – zum Beispiel einfache NSDAP-Mitglieder ohne weitere Funktionen und öffentliches Engagement.
Alle betroffenen Personen und Ehrungen sind ab sofort entsprechend kontextualisiert. Auf der Website 650 plus / Geschichte der Universität Wien sind betroffene Geehrte als "problematisch" oder "diskussionswürdig" gekennzeichnet. "Die Gründe für diese Bewertungen sowie zahlreiche Details und ausführlichere Biografien sind nun zentral auf einer Website angeführt", so Herbert Posch, Leiter des Forums "Zeitgeschichte Wien". "Neben bereits bestehenden Projekten zur Aufarbeitung der Geschichte der Universität Wien sind nun auch Ehrungen der Universität Wien ins richtige Licht gerückt", so Posch. Bei den bereits früher umgesetzten Projekten wären etwa die Rektorenfasten zu nennen, bei denen die Rolle von Rektoren der Universität Wien während des Zweiten Weltkriegs künstlerisch-zeithistorisch aufgearbeitet wurde, oder die kritische Auseinandersetzung rund um den Siegfriedskopf im Arkadenhof. "Das Archiv der Universität Wien, das in Kooperation mit dem Forum Zeitgeschichte die Website redaktionell betreut, bietet mit seinem reichen Archivmaterial eine zentrale Basis für die Forschungen zur Universitätsgeschichte", ergänzt Katharina Kniefacz, Mitarbeiterin des Archivs der Universität Wien.
Das Projekt zur Sichtbarmachung problematischer und diskussionswürdiger Ehrungen war ein großangelegtes Projekt an der Universität Wien, in der alle seit 1865 verliehenen Ehrungen untersucht wurden. "Für den Erfolg des Projekts war die Unterstützung der gesamten Universität ausschlaggebend. Das bedeutet, alle Zentren und Fakultäten, wie zum Beispiel die Fakultät für Rechtswissenschaften, wurden in den Prozess eingebunden", so Franz Stefan Meissel, Vizedekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät. "Geschichtsaufarbeitung findet an der Universität auch auf Ebene der Fakultäten statt, so hat die Rechtwissenschaftliche Fakultät wiederholt in Ringvorlesungen und Ausstellungen die Rolle von Rechtswissenschaftern während des NS-Unrechtsregimes sowohl auf Täter- als auch auf Opferseite thematisiert."
Das Projekt bietet eine umfassende Grundlagenarbeit zur kritischen Aufarbeitung zu Ehrungen an der Universität Wien. "Bei einer Universität dieser Größe muss ein Aufarbeitungsprozess notwendigerweise ein 'work in progress' sein. Wir bleiben kritisch, neue Erkenntnisse werden laufend auf der 650 plus Website sichtbar gemacht", so Rektor Schütze abschließend.
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