Tiroler Tageszeitung. Leitartikel, Ausgabe vom 31. Juli 2023. Von KARIN LEITNER. "Und wieder in der Opferrolle". | Brandaktuell - Nachrichten aus allen Bereichen

Tiroler Tageszeitung. Leitartikel, Ausgabe vom 31. Juli 2023. Von KARIN LEITNER. „Und wieder in der Opferrolle“.

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Der Fall Riedl trägt zu weiterem Verlust des Vertrauens in politische Repräsentanten bei. Kein Unrechtsbewusstsein, keine Einsicht. Gehandelt wird nicht – oder erst dann, wenn es nicht mehr anders geht. Und das halbherzig.

Es gibt in der hiesigen Politik eine unrühmliche Tradition: das Opfergehabe. Aktuell kommt es vom Gemeindebund-Präsidenten. 
„Die medialen Angriffe und die vielen Spekulationen habe ich mir und hat sich meine Familie nicht verdient“, sagt Alfred Riedl. Es geht um Grundstücksgeschäfte in Grafenwörth, wo Riedl seit mehr als 30 Jahren Bürgermeister ist. 
Durch den An- und Verkauf seiner Grundstücke und die Umwidmung im Gemeinderat von Grün- auf Bauland – die ÖVP hat die absolute Mehrheit – soll er eine Million Euro verdient haben. Um das Projekt „Sonnenweiher“ vulgo „Klein-Dubai“ zu realisieren, hat Riedl die Grundstücke an die Niederösterreichische Versicherung verkauft. Er ist im Aufsichtsrat des landeseigenen Unternehmens. Schon 2021 wurde über die Causa berichtet, Riedl dennoch im März 2022 für weitere fünf Jahre zum Gemeindebund-Chef gewählt. 
Weitere für ihn gute Grundstücksgeschäfte sind dieser Tage publik geworden. Nun, nach einer Krisensitzung der Gemeindebündler, hat Riedl seine Funktion „ruhend“ gestellt. Kurz vor der Zusammenkunft hatte ÖVP-Kanzler Karl Nehammer Riedl noch verteidigt: Er kenne diesen als Präsidenten, der sich „leidenschaftlich“ für die Bürgermeister und Gemeinden einsetzt.
Nicht aus Einsicht, dass seine Leidenschaft in eigener Sache zu groß war und auch politisch nicht leistbar ist, hat Riedl dann halbherzig gehandelt. Wegen des Drucks aus den eigenen Reihen, dem von farblich anderen Vertretern der Kommunen, sitzt er vorerst diesen nicht mehr vor. 
Seinen Parteikollegen scheint ebenfalls klar geworden zu sein, dass die Causa Riedl auch den anderen Ortschefs schadet. Der Großteil der mehr als 2000 von ihnen entstammt der ÖVP. Wegen Fällen wie diesen wird mitunter ja leider pauschalisiert: „Das sind alle keine Guten.“ 
In anderen Ländern, etwa Deutschland, ist gang und gäbe, dass zurückgetreten wird, wenn Verhalten nicht konform geht mit den Aufgaben und der Verantwortung. In Österreich wird gemauert und lamentiert. Als „Sündenbock“ gerieren sich jene, deren Umtriebe öffentlich werden, die nicht akzeptabel sind. Das bekannte und beliebte Argument: Solange jemand nicht strafrechtlich verurteilt ist, sei alles besten­s. Das ist es nicht. 
Erst recht für hohe Repräsentanten darf nicht ein Richterspruch der Maßstab sein. Anstand und Moral sind in solchen Funktionen unabdingbar. Dies wie das hat in der hiesigen Politik bei zu vielen keine Tradition.

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