Ikone der Neuen Musik: Ö1 und ORF 2 zum 100. Geburtstag von György Ligeti
Wien (OTS) – Am 28. Mai jährt sich der Geburtstag György Sándor Ligetis zum 100. Mal. Ö1 widmet Ligeti, der als einer der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts und als Repräsentant der Neuen Musik gilt, ab 22. Mai eine „Radiokolleg“-Reihe, vier Ausgaben von „Zeit-Ton“, „Hörbilder Spezial“ und überträgt live die Eröffnung des 40. Internationalen Musikfestes, in ORF 2 ist am 21. Mai das Filmporträt „Kosmos Ligeti“ zu sehen.
„Der Komponist Ligeti und die Politik“ ist Thema des „Radiokolleg“ von Montag, den 22. bis Donnerstag, den 25. Mai jeweils um 9.45 Uhr in Ö1. György Ligeti gehörte zu den bedeutendsten und gleichzeitig undogmatischsten Komponisten des 20. Jahrhunderts: Der Musikschöpfer ließ sich nie in das Korsett der seriellen Musik zwängen und suchte stattdessen in der Mikrotonalität oder in der Verwendung von Klängen aus Afrika und Asien, die im europäischen Kontext neu und unverbraucht waren, nach alternativen Formen der Musikorganisation. Bei Ligeti ist der biographische Hintergrund, mehr noch als bei zahlreichen Kollegen, nicht von seinem kompositorischen Weg zu trennen: Dass der in Siebenbürgen geborene Komponist an die Musikakademie kam, ist auf die ungarischen Judengesetze der 1940er-Jahre zurückzuführen, die es ihm unmöglich machten, Mathematik und Physik studieren. Sein Vater und sein Bruder wurden in der NS-Zeit im KZ ermordet, Ligeti selbst geriet in sowjetische Gefangenschaft, aus der er flüchten konnte, um sich zum Studium in Budapest niederzulassen. Nach Jahren der inneren Emigration entzog er sich 1956 dem Kommunismus und fand im Westen schnell Anschluss an die Avantgarde. Doch auch hier erwies er sich als Solitär: Das Diktat der seriellen Musik lehnte er ab und plädierte stattdessen für einen individuellen Weg, bei dem er seiner Formenimagination vertraute.
„Neue Musik auf der Couch“ heißt es am Montag, den 22. und am Dienstag, den 23. Mai in „Zeit-Ton“ (23.03 Uhr), wenn Komponist und Violinist Thomas Wally sich mit Werken von Ligeti auseinandersetzt. Am 22. Mai analysiert Wally das Streichquartett Nr. 1 von György Ligeti. Als eines jener Werke, die Ligeti noch vor seiner Flucht 1956 in den Westen komponierte, ist es vom Einfluss Béla Bartóks geprägt; und zwar so stark, dass sein etwas jüngerer ungarischer Komponistenkollege György Kurtag diese „Metamorphoses nocturnes“ einmal als Bartóks siebtes Streichquartett bezeichnete. Am 23. Mai analysiert Wally Ligetis Streichquartett Nr. 2 (1968). Die klanglichen Welten des etwa 15 Jahre später geschriebenen zweiten Streichquartetts sind deutlich andere. Zwischen diesen beiden Werken liegen so wichtige Kompositionen wie das 1961 bei den Donaueschinger Musiktagen uraufgeführte „Atmosphères“, die ins Absurde abdriftenden „Aventures“ oder das Chorwerk „Lux Aeterna“. Kann man das erste Streichquartett über weite Strecken noch mit herkömmlichen Begriffen und Kategorien wie Melodie, Begleitung und Rhythmus beschreiben, so erinnert das Streichquartett Nr. 2 an Massenprozesse, an schwarmartige Gebilde oder an maschinelle Mechanik.
„Wege durchs Labyrinth – Annäherungen an den Komponisten György Ligeti“
„Decolonize Your Mind“ lautet der Titel von „Zeit-Ton“ (23.03 Uhr) am Donnerstag, den 25. Mai. Ein Interview, in dem Ligeti darüber sprach, wie überbeansprucht die im Westen vorherrschende wohl temperierte Stimmung doch bereits sei, inspirierte den ebenfalls in Ungarn beheimateten Musiker Balint Szabo zu einer Reise in die weite Welt der außereuropäischen Stimmungssysteme, die bis heute andauert. Ligeti erwähnte in besagtem Interview einige Ethnomusikologen, unter ihnen auch Hugo Zemp, der sich in den 1970er-Jahren intensiv mit der Musik der ‚Are’are auf der Insel Malaita beschäftigt hat. Auch Szabo zog diese Musik unmittelbar in den Bann. Gemeinsam mit einigen Gleichgesinnten gründete er 2018 die „Decolonize Your Mind Society“, die unlängst ihr zweites Album „A Second Invitation To An Uniterrupted Katabatic Lens“ veröffentlicht hat.
Unter dem Titel „Eine Komponisten-Freundschaft“ spricht Peter Eötvös am Freitag, den 26. Mai in „Zeit-Ton“ (23.03 Uhr) über Ligeti. György Ligeti und Peter Eötvös wurden beide im multiethnischen Siebenbürgen geboren – und trafen später in Budapest wieder aufeinander. Ligeti, der zwischen 1950 und 1956 an der Budapester Musikakademie unterrichtete, empfahl den gut 20 Jahre jüngeren Eötvös ebendort für ein Studium beim bedeutenden Komponisten Zoltán Kodály -Eötvös war damals erst 14 Jahre alt. Aus diesen ersten Begegnungen entwickelte sich eine jahrzehntelange Zusammenarbeit und Freundschaft. Eötvös, der seit den 1970er-Jahren als weltweit gefragter Komponist und Dirigent in Erscheinung tritt, kennt Ligetis Oeuvre wie wenige andere, dokumentiert auch durch zahlreiche Aufnahmen unter Eötvös‘ Leitung mit Werken des großen Komponistenkollegen.
Am Sonntag, den 28. Mai überträgt Ö1 in der „Matinee“ (11.03 Uhr) live aus dem Wiener Konzerthaus: Die Wiener Philharmoniker und Philippe Jordan eröffnen das 40. Internationale Musikfest mit dem 1961 entstandenen kurzen Orchesterstück „Atmosphères“ von György Ligeti. Weiters sind Jean Sibelius‘ Konzert für Violine und Orchester d-Moll – Solistin: Lisa Batiashvili – und Robert Schumanns Symphonie Nr. 2 C-Dur zu hören.
Das von Thomas von Steinaecker gestaltete Porträt „Wege durchs Labyrinth – Annäherungen an den Komponisten György Ligeti“ steht auf dem Programm der „Hörbilder Spezial“ am Montag, den 29. Mai ab 10.05 Uhr. Die Ikone der Neuen Musik hat bis heute nichts von ihrer Faszination eingebüßt. Die musikalischen Welten Ligetis gleichen einem Irrgarten. In seinen Gängen schimmern fremde Begriffe auf, die eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausüben:
Klangflächenkomposition, Polymetrik, Mikropolyphonie. In dem Feature kommen Musiker/innen und Zeitzeug/innen zu Wort, die überraschende Einblicke in den Entstehungsprozess epochaler Werke wie „Atmosphères“ oder der „Etudes pour piano“ geben und die Stationen einer Ausnahmebiografie aufzeigen zwischen Diktaturen, Höhenflügen in Hollywood und der Suche nach den Gesetzen des Chaos.
„Kosmos Ligeti“ in ORF 2
Das ORF-Fernsehen würdigt György Ligeti zum 100. Geburtstag mit dem neuen Filmporträt „Kosmos Ligeti“ in der „matinee“ am Sonntag, den 21. Mai um 9.35 Uhr in ORF 2. Die Dokumentation von Herbert Eisenschenk blickt zurück auf das Leben und Werk des Komponisten: auf eine von Träumen und Traumata geprägte Kindheit, eine von Diktaturen bestimmte Jugend und eine offenbar in der Musik gefundene Freiheit. Ligetis Oeuvre ist zeitlos geblieben und begeistert noch heute. Seine Musik wühlt auf, verstört und fasziniert. Der Komponist folgte stets seinem unmittelbaren Interesse. Nicht für ein Publikum, sondern für seinen Erkenntnisgewinn schrieb er Stücke, an denen sich nur wenige versuchten. Denn Ligetis Werke gehören wohl zu den schwierigsten und komplexesten, die je komponiert worden sind – für seine Interpretinnen und Interpreten stets eine extreme Herausforderung. Die Verwendung seiner Stücke in den Filmklassikern Stanley Kubricks machten ihren Schöpfer schließlich auch für ein breites Publikum jenseits der Musikwelt berühmt.
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