Familienausschuss: Sektenbericht zeigt zunehmende Radikalisierung über Social Media und Messengerdienste auf
Die Bundesstelle für Sektenfragen agiere als Radar für problematische Entwicklungen und sei in den letzten Jahren besonders gefordert gewesen, konstatierte Bundesministerin Susanne Raab in der heutigen Sitzung des Familienausschusses. Der Sektenbericht 2021 zeige deutlich auf, dass es zu einem weiteren starken Anstieg der Fälle gekommen sei. Es sei nun gelungen, das allgemeine Budget für die Bundesstelle um 50 % auf rund 600.000 € zu erhöhen sowie zusätzlich 170.000 € für den Aufbau eines Informations- und Präventionskonzeptes bereit zu stellen. Bei der Debatte über den Sektenbericht stand auch die neue Geschäftsführerin der Bundesstelle Ulrike Schiesser den Abgeordneten Rede und Antwort.
Aufstockung des Budgets zur Bewältigung eines umfangreichen Angebots
Die im Bundeskanzleramt angesiedelte Bundesstelle für Sektenfragen, an die sich im Jahr 2021 insgesamt 1.883 Personen gewandt haben, steht seit 1998 als zentrale Service- und Anlaufstelle allen Privatpersonen, Institutionen und staatlichen Einrichtungen zur Verfügung. Neben möglichst objektiver und vertraulicher Information und Dokumentation bietet die Einrichtung individuelle psychosoziale Beratungen (583 Fälle im Jahr 2021), Präventionsarbeit sowie Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen an, ist dem Bericht zu entnehmen (III-821 d.B. ) Aufgrund des hohen Interesses an bestimmten Themen seien die Medienanfragen nochmals deutlich angestiegen, berichtete die Geschäftsführerin Ulrike Schiesser. Enorm sei die Nachfrage nach einer Teilnahme von Expert:innen der Bundesstelle bei Informationsveranstaltungen sowie bei Fort- und Weiterbildungsseminaren gewesen. 2021 könne daher als "Jahr der Superlativen" bezeichnet werden und habe die Mitarbeiter:innen an die Grenzen des Machbaren geführt. Sie sei daher sehr froh darüber, dass das Budget im heurigen Jahr um rund 50 % aufgestockt werde. Dies soll auch dazu verwendet werde, um die Analysen auszuweiten und ein Monitoringsystem einzurichten. Ein besonderes Augenmerk werde dabei auf die Beobachtung der sozialen Medien gelegt.
Generell seien die Mitarbeiter:innen der Bundesstelle mit einem breiten Spektrum an Themen und Bereichen konfrontiert, das von Weltanschauungsfragen, Esoterik, Okkultismus, Satanismus, Wunderheilungen, fundamentalistischen Strömungen, Angeboten zur Lebenshilfe bis hin zu religiösem Extremismus reiche. Im letzten Jahr seien erneut oft Anfragen im Zusammenhang mit der Coronakrise sowie diverse Verschwörungstheorien im Fokus der Beratungen gestanden. Sie habe den Eindruck, dass all diese problematischen Entwicklungen wie "durch ein Brennglas" verstärkt und für die Öffentlichkeit sichtbarer geworden seien. Eine besondere Rolle hätten dabei auch die "sozialen Netzwerkplattformen" eingenommen, wobei vor allem Telegram einen enormen Popularitätsschub erlebt habe.
Mehrheitliches Lob für den Bericht, FPÖ lehnt Kenntnisnahme ab
SPÖ-Abgeordnete Petra Wimmer wies darauf hin, dass die Bundessstelle in den letzten Jahren unter einem Personalengpass gelitten habe, zumal nur zwei vollzeit- und drei teilzeitbeschäftigte Mitarbeiter:innen dort tätig seien. Ebenso wie NEOS-Mandatarin Fiona Fiedler fragte sie sich, ob die Budgeterhöhung angesichts des großen Anstiegs an Fällen ausreichen werde.
Seine Fraktion werde den Bericht nicht zur Kenntnis nehmen, kündigte Abgeordneter Wolfgang Zanger (FPÖ) an. Als Grund dafür führte er unter anderem an, dass die Diskriminierung von Gegner:innen von Corona-Maßnahmen oder von Ungeimpften als Corona-Mythen bezeichnet worden seien. Rosa Ecker (FPÖ) wollte wissen, nach welchen Kriterien Gemeinschaften als "sektenähnlich" eingestuft werden.
Abgeordnete Barbara Neßler (Grüne) erkundigte sich nach der Entwicklung der staatsfeindlichen Tendenzen sowie der von manchen Milieus ausgehenden möglichen Gewaltbereitschaft. Ihr Fraktionskollege Ralph Schallmeiner interessierte sich die für Rolle der sogenannten alternativen Medien und für die Zusammenarbeit mit anderen Vereinen und Organisationen.
Julia Herr (SPÖ) regte weiters an, den Bericht im Unterrichts-, Innenausschuss oder auch im Justizausschuss zu diskutieren, da er so viele wichtige Themen aufgreife, die auch andere Ressorts betreffen würden.
Schiesser: Bundesstelle ist mit extremen Formen von Verschwörungstheorien und Gewaltpotenzial konfrontiert
In Beantwortung der Fragen betonte Ulrike Schiesser, dass sich die Bundesstelle nicht als eine Art "Sektenpolizei" verstehe und keine Einstufungen vornehme, sondern den Blick auf die persönlichen Geschichten richte. Der Bericht erhebe daher auch keinen wissenschaftlichen Anspruch, sondern gebe auf Basis von viel Erfahrungswissen und externen Daten Stimmungsbilder wider. Sie und ihre Mitarbeiter:innen seien jedenfalls mit den "extremeren Formen" von Verschwörungstheorien und spirituellen Konzepten konfrontiert, wo Menschen etwa Angst davor hätten, dass die Pandemie der Beginn der Apokalypse sei oder dass das "Zeitalter des Wassermanns" eine neue Weltordnung einleite. Stark zugenommen hätten auch Anfragen zu Freikirchen oder der Prepper-Bewegung, die oft in Kombination mit Schulabmeldungen – insgesamt 7.500 im Jahr 2021 – aufgetreten seien. Das Phänomen der Staatsverweigerer, das vor allem in den Jahren 2014 bis 2017 dominiert habe, sei 2020 ebenso wieder aufgetaucht. Generell sei die Sprache gewalttätiger geworden, teilte sie Barbara Neßler (Grüne) mit, ein Gewaltpotenzial sei sicherlich vorhanden. Erst letzte Woche habe die Bundesstelle wieder Todesdrohungen erhalten.
Es wurde auch oft versucht, mit den verschiedensten Produkten ein Geschäft zu machen, führte Schiesser weiters aus, wobei zunächst Ängste geschürt und dann die entsprechenden Gegenmittel verkauft worden seien. Eine wichtige Rolle hätten dabei aufgrund ihrer großen Reichweite auch Influencer und Influencerinnen gespielt. In Zukunft wolle man sich noch intensiver mit der Beobachtung der Entwicklung der Narrative in den digitalen Medien befassen und auch aktiv auf Kinder und Jugendliche zugehen. Schon bisher gebe es eine intensive Kooperation mit verschiedenen Vereinen und Organisationen, informierte Schiesser, die Zusammenarbeit mit den Familienberatungsstellen wolle man aber noch weiter ausbauen.
Bundesministerin Susanne Raab bekräftigte gegenüber Abgeordneter Eva Maria Holzleitner, dass der Einfluss der sozialen Medien vor allem auf Kinder und Jugendliche besondere Beachtung finden müssten. Die Regierung habe darauf zum Beispiel mit dem Hass-im-Netz-Paket sowie mit der Etablierung der digitalen Bildung in den Schulen reagiert. Weiters wolle man Qualitätsmedien in die Schulen bringen und somit die Medienkompetenz der Jugendlichen stärken.
Der Bericht wurde mehrheitlich – ohne Zustimmung der FPÖ – zur Kenntnis genommen; er gilt als enderledigt.
EU-Vorschau 2023: Überblick über Vorhaben in den Bereichen Gleichstellung, Familie, Integration und Medien
Über die EU-Vorhaben 2023 des breit gefächerten Ressorts von Bundesministerin Susanne Raab informiert der Jahresbericht über die aktuellen Arbeitsprogramme von Kommission und Rat, der heute im Ausschuss einstimmig zur Kenntnis genommen und auch enderledigt wurde (III-869 d.B. ) Näher behandelt werden dabei Vorschläge in den Bereichen Gleichstellung, Gewaltprävention, Kinderrechte sowie zur Regulierung von Online-Plattformen.
Auch die Fragen der Abgeordneten deckten eine große Palette von Themen ab. Johanna Jachs (ÖVP) sprach die Einrichtung eines Sonderbeauftragten für Religionsfreiheit an, Ralph Schallmeiner (Grüne) erkundigte sich nach der Kinderrechte-Strategie.
Petra Wimmer (SPÖ) wollte wissen, wann mit der Umsetzung des "Nationalen Aktionsplans zur Europäischen Kindergarantie" gerechnet werden könne. Besorgt über die große Lohnschere zwischen Männern und Frauen zeigte sich Eva Maria Holzleitner (SPÖ), während sich ihr Fraktionskollege Christian Oxonitsch mit den Barcelona-Zielen befasste.
Der Bericht sei sehr vage gehalten und sehe zudem lange Zeiträume für die Umsetzung von Vorhaben vor, gab Rosa Ecker (FPÖ) zu bedenken. Sie trat zudem dafür ein, dass die Betreuung von Kindern etwa durch Großeltern bei der Berechnung des Erreichens der Barcelona-Ziele berücksichtigt werde.
Abgeordneter Michael Bernhard (NEOS) hielt es für problematisch, dass viele Vorhaben in die Zuständigkeit anderer Ressorts fallen würden und keine familienpolitischen "Leuchtturmprojekte" erkennbar seien.
Raab setzt auf Ausbau von leistbaren Kinderbetreuungsangeboten und gerechterer Aufteilung der Sorgearbeit
Bundesministerin Susanne Raab gab einen Überblick über die relevanten Dossiers in den einzelnen Sektoren und räumte ein, dass bei einigen Vorhaben andere Ministerien hauptverantwortlich zuständig seien. Grundsätzlich könne sich Österreich im internationalen Vergleich, was die familienpolitischen Leistungen betrifft, sehen lassen. In der Frage der Kinderbetreuung setze sie weiterhin auf Wahlfreiheit, den Ausbau von leistbaren Angeboten sowie eine gerechtere Aufteilung der Sorgearbeit. Bei der Berechnung der Barcelona-Ziele orientiere man sich an der europäischen Vorgangsweise, die keine familieninterne Betreuung miteinbeziehe. Raab hielt es auch für wichtig, weitere Kinderbetreuungsangebote in den Gemeinden zu schaffen, weil sich dann auch ein Bedarf entwickeln würde.
Österreich begrüße jedenfalls die strategischen Ausrichtungen auf EU-Ebene zur Förderung der Gleichstellung, bei der "Anti-Diskriminierungsrichtlinie" stünden jedoch noch viele Fragen offen, erklärte Raab. Die Regierung unterstütze jede Initiative zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt und begrüße ausdrücklich den Beitritt der EU zur Istanbul-Konvention für Gewaltschutz. Was den "Nationalen Aktionsplan zur Europäischen Kindergarantie" betrifft, so befinde er sich bereits in der Abstimmungsphase. Zentral dabei sei, armutsgefährdeten Kindern den Zugang zu wichtigen Dienstleistungen zu ermöglichen. Die neue EU-Strategie im Bereich der Kinderrechte ziele vor allem auf den Schutz gefährdeter Kinder, die Bekämpfung und Verhinderung von Gewalt, den Schutz der Online-Rechte, die Förderung einer kinderfreundlichen Justiz sowie die Stärkung der Teilhabe an EU-politischen und demokratischen Prozessen ab. Österreich bekenne sich zudem zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie zur Schaffung eines sicheren Internets, so Ministerin Raab, die bei beiden Themen auf die federführende Zuständigkeit des Justizressorts verweist.
Digital Services Act und Vorschlag für ein Europäischen Medienfreiheitsgesetz
Bundesministerin Raab wies darauf hin, dass der Digital Services Act (DSA) weiterhin einen der zentralen Rechtsrahmen im Sektor Medien darstelle. Er beinhalte eine Reihe von neuen, abgestuften Sorgfaltspflichten für Vermittler, Plattformen sowie große Online-Suchmaschinen. Zur Sicherung der Medienvielfalt und der Unabhängigkeit der europäischen Medien habe die Kommission einen Verordnungsvorschlag zur Schaffung eines gemeinsamen Rechtsrahmens (Europäisches Medienfreiheitsgesetz) vorgelegt, der von zahlreichen Mitgliedstaaten aber kritisch beurteilt werde. Auch aus österreichischer Sicht sei fraglich, ob die Regelung für alle Bereiche tauglich sei, gab Raab zu bedenken, dazu müsse noch ein Rechtsgutachten abgewartet werden. Sie gehe aber davon aus, dass die Ausgestaltung und Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks weiterhin primär den Mitgliedstaaten obliegen würden.
Ein wichtiges Anliegen war Raab die Förderung eines qualitätsvollen Journalismus, ein entsprechendes Gesetz wurde bereits in Begutachtung geschickt. Parallel dazu sei auch ein Medientransparenzgesetz geplant. Beim Thema Integration stehe die Umsetzung der diesbezüglichen EU-Förderinstrumente im Fokus, insbesondere im Rahmen des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) 2021-2027. Der Sonderbeauftragte für Religionsfreiheit außerhalb der EU habe seine Arbeit schon aufgenommen, teilte sie der Abgeordneten Johanna Jachs (ÖVP) mit. (Fortsetzung Familienausschuss) sue
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