ÖIF-Forschungsbericht zu Familienstruktur und Geschlechterrollen von Migrant/innen: Männer haben traditionellere Einstellungen als Frauen
Einstellungen zu Gleichberechtigung und Rollenverteilung zwischen Frau und Mann in migrantischen Familien hat das Institut für empirische Sozialforschung (IFES) für den Forschungsbericht „Familiäre Strukturen und Geschlechterrollen” untersucht; die Erhebung wurde durch den Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) beauftragt. Befragt wurden für den aktuellen Forschungsbericht über 1.000 Zuwanderinnen und Zuwanderer mit Wurzeln in der Türkei, Bosnien/Kroatien/Serbien, Syrien und Afghanistan. Vergleiche mit vorhandenen Ergebnissen zu Österreicher/innen wurden im Rahmen des Berichts gezogen.Wesentliche Faktoren für eine höheren Zustimmung zu Gleichberechtigung und unabhängiger Lebensführung von Frauen sind demnach wie gut Zuwander/innen Deutsch sprechen, wie religiös sie sind und wie lange sie bereits in Österreich leben.
Rollenverteilung: Männer traditioneller als Frauen
Es zeigt sich: Männer aller befragten Zuwanderungsgruppen sind in ihren Einstellungen und Rollenvorstellungen traditioneller als Frauen. Befragte, die vorwiegend eine andere Sprache sprechen als Deutsch und angeben sehr/eher religiös zu sein, stimmen beispielsweise der Aussage „Die berufliche Ausbildung von Burschen sollte Eltern wichtiger sein als jene von Mädchen“ mit über 70 Prozent zu. Die Ergebnisse zeigen auch, dass vor allem Frauen in allen befragten Zuwanderungsgruppen den Großteil der Haushalts- und Betreuungsarbeit übernehmen und dass sich die Rollenaufteilung tendenziell ungleichberechtigt darstellt. So werden etwa konkret die Betreuung von kranken Familienmitgliedern und der Kinder im Haushalt, aber auch Aufgaben wie etwa Wäsche waschen in Familien mit Migrationshintergrund, mehrheitlich von Frauen erledigt. Auch unter Österreicher/innen ist dieser „Gender Gap“ deutlich zu beobachten: Frauen berichten häufiger als Männer diese Betreuungsaufgaben selbst zu übernehmen; rund zwei Drittel der Mütter geben in Bezug auf die Erledigung von Haushaltsaufgaben „ich selbst“ an. Jedoch behaupten Männer in der Gruppe der Österreicher/innen häufiger allenfalls eine gleiche Beteiligung bei der Unterstützung der Kinder.
Kinder: Familie vor Fremdbetreuung
In Sachen Kinderbetreuung zeigt sich, dass in allen untersuchten Zuwanderungsgruppen vor allem auf das familiäre Umfeld zurückgegriffen wird: insbesondere zwei Drittel der befragten Türk/innen betreuen ihre Kinder vorzugsweise selbst oder im familiären Umfeld, bei Syrer/innen sind es mit 59 Prozent deutlich über die Hälfte, bei Afghan/innen sind es 57 Prozent. Bei Familien aus dem BKS-Sprachraum zieht knapp die Hälfte (52 Prozent) die familiäre Betreuung gegenüber anderen Formen, wie Kindergarten oder Tagesmutter, vor. Im Vergleich dazu zeigen frühere Studien, dass in der österreichischen Bevölkerung eine ganz ähnliche Meinung vorherrscht (rund 57 Prozent bevorzugen Familienmitglieder vor allen anderen Einrichtungen, rund 34 Prozent städtische/ kommunale oder private Kindergärten.
Finanzielle Unabhängigkeit und Eigenständigkeit von Frauen befürwortet
Als wesentliches Resümee im Forschungsbericht stellen die Studienautoren fest: Je besser die Befragten Deutsch können, je weniger sie sich selbst als sehr religiös einschätzen, desto gleichberechtigter werden die Angaben zu Rollenbildern, Werthaltungen und Einstellungen in Bezug auf finanzielle Unabhängigkeit, Selbstbestimmung und Aufgabenverteilung. Das zeigt sich etwa an der Bewertung der Aussage „Die Aufgabe des Mannes ist es, Geld zu verdienen, die der Frau, sich um Haushalt und Familie zu kümmern“. Über die Hälfte aller Befragten stimmt der Aussage eher oder überhaupt nicht zu, wobei sich afghanische Befragte – jene Gruppe, die sich selbst im Rahmen der Befragung am wenigsten religiös einschätzt – hier am fortschrittlichsten zeigten, ebenso wie ganz klar Befragte mit Deutsch als Alltagssprache und jene mit längerer Aufenthaltsdauer bzw. österreichischer Staatsbürgerschaft. Bei der Gruppe der Syrer/innen und Türk/innen stimmte nur knapp über ein Viertel gegen die Aussage. Auch bei der Frage nach der finanziellen Unabhängigkeit und dem eigenständigen Wohnen von Frauen zeigen sich Tendenzen: 8 von 10 befragten Afghan/innen geben an, dass Frauen allein wohnen und finanziell unabhängig sein sollten; 6 von 10 befragten Frauen und Männer aus dem BKS-Sprachraum, vor allem der 2. Generation, stimmen ebenfalls zu. In den Gruppen der Syrer/innen und der Türk/innen befürwortet das jeweils circa die Hälfte.
4 von 10 lehnen sexuelle Beziehungen vor der Ehe ab
4 von 10 Befragten durch alle Zuwanderungsgruppen hinweg – unabhängig von Geschlecht – lehnen sexuelle Beziehungen bei Burschen und Mädchen vor der Ehe ab. Über die Hälfte der befragten Türk/innen und Syrer/innen lehnt dies ab, bei den Afghan/innen sprechen sich je nach Geschlecht rund ein Drittel bis knapp die Hälfte gegen Sex vor der Ehe aus. Bei den Befragten aus dem BKS-Sprachraum sieht darin nur ein Fünftel ein Problem. Bei historisch älteren Zuwanderungsgruppen, wie etwa jener aus der Türkei sowie Bosnien/Kroatien/Serbien, sind die Männer deutlich traditioneller und lehnen die sexuelle Selbstbestimmung von Mädchen und jungen Frauen ab. Bei den historisch jüngeren Zuwanderungsgruppen aus Afghanistan und Syrien zeigen sich vor allem die weiblichen Befragten (jeweils 65 Prozent lehnen Sex vor der Ehe ab) traditioneller.
ÖIF-Angebote zur Förderung von Frauen und Mädchen mit Migrationshintergrund
Die Vermittlung von Gleichberechtigung und Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen ist ein zentraler Bestandteil der Integrationsangebote des ÖIF. Neben den Werte- und Orientierungskursen sind diese Themen in spezifischen Beratungen und Seminaren in den ÖIF-Integrationszentren in allen Bundeshauptstädten verankert. In den ÖIF-Frauenzentren Wien und Graz werden Integrationsangebote für Frauen gezielt unter einem Dach gebündelt. Die Beratungen, Seminare, Sprechstunden und mehrsprachigen Unterstützungsangebote stehen allen Migrantinnen offen, ohne Einschränkung auf bestimmte Herkunftsländer oder Aufenthaltstitel. Auch im Rahmen der Integrationsbotschafter/innen-Initiative ZUSAMMEN:ÖSTERREICH gehen Ehrenamtliche unter dem Motto „Geh deinen Weg!“ in Schulen in ganz Österreich und sprechen mit Jugendlichen über Gleichberechtigung, Selbstbestimmung und Eigenständigkeit von Frauen. Mehr zu den ÖIF-Angeboten zur Förderung der Integration von Frauen findet sich hier.
Aktuelle Forschungsberichte online abrufbar
Die Studie „Familiäre Strukturen und Geschlechterrollen – eine Studie unter Zuwander/innen“ des Instituts für empirische Sozialforschung (IFES) unter der Projektleitung von Julian Aicholzer ist auf der Homepage des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) unter www.integrationsfonds.at/mediathek verfügbar.
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