Bildungsexpert:innen einig: Förderung der Unterrichtssprache Deutsch weiterentwickeln
Fünf Jahre nach ihrer Einführung standen die Deutschförderklassen/-kurse bei der Diskussionsveranstaltung „Quo vadis Deutschförderklassen?“ der AK Wien im Zentrum. Neben dem Rückblick auf bisherige Studien und Erfahrungsberichte von Schulen, Eltern und Schüler:innen brachte auch die nun vorliegende Evaluationsstudie im Auftrag des Bildungsministeriums neue Einsichten zum Modell. Die darin erhobenen Rückmeldungen von Schulleiter:innen und Pädagog:innen plädieren u.a. für mehr Ressourcen, kleinere Gruppen, eine stärkere Integration von außerordentlichen Schüler:innen in den Regelunterricht und mehr Flexibilität bei der Gestaltung der Förderung sowie beim Übergang in den ordentlichen Status. Studienautorin Christiane Spiel, emer. Professorin an der Fakultät für Psychologie der Universität Wien, präsentierte die Schlussfolgerungen und Empfehlungen der Evaluation: „98 Prozent der Schulleiter:innen und 91 Prozent der Sprachförderlehrkräfte sieht Optimierungsbedarf beim derzeitigen Deutschfördermodell. Das betrifft insbesondere die Weiterentwicklung des MIKA-D-Tests; vor allem aber bräuchte es mehr Flexibilität bei der Art der Förderung und beim Wechsel zwischen Deutschförderklasse und Regelklasse. Schulen wollen hier autonomer entscheiden dürfen.“ Insgesamt werde es wichtig sein, künftig noch mehr in die Richtung Individualisierung zu gehen, also darum, was ein einzelnes Kind brauche, so die Bildungspsychologin.
Den Blick nach vorne richtete anschließend eine Podiumsdiskussion mit Expert:innen aus Bildungsverwaltung und -forschung:
Doris Wagner, Leiterin der Sektion I Allgemeinbildung und Berufsbildung des Bildungsministeriums, sprach über erste bereits erfolgte Reaktionen auf die Rückmeldungen: „Es war ein Problem für die Schüler:innen, nach zwei Jahren außerordentlichem Status aus der Deutschförderung einfach auszuscheiden. Hier haben wir deshalb 4,5 Mio. Euro eingesetzt für zusätzliche Stellen im ordentlichen Status. Denn Spracherwerb braucht Zeit. Zudem haben wir heuer 10 Mio. zusätzlich verfügbar gemacht, um den Schulleitungen Flexibilität in der Ausgestaltung der Deutschförderklassen zu geben, Gruppen zu verkleinern, Team-Teaching anbieten zu können, etc. Damit schaffen wir auch mehr Autonomie für die Schule. Wir verteilen diese zusätzlichen Mittel aber nicht mit der Gießkanne, sondern Schulen müssen sich am Standort ein gutes Konzept überlegen, wie sie diese einsetzen möchten.“ Schule könne jedoch nicht alles leisten, deshalb sei der verstärkten Kooperation mit den Eltern aber auch außerschulischen Angeboten künftig noch stärkeres Augenmerk zu widmen, so Wagner.
Robert Klinglmair, Direktor des Instituts des Bundes für Qualitätssicherung im österreichischen Schulwesen (IQS), verwies auf die laufende Arbeit an der Weiterentwicklung des Tools zur Sprachstandsfeststellung MIKA-D: „Es ist nicht so, dass wir hier stehenbleiben. Wir sind aktuell in der Weiterentwicklung der Testitems und haben dafür die sogenannte MIKA-Studie, mittelfristig werden wir den bestehenden MIKA-D grundlegend weiterentwickeln. Dies deckt sich sehr stark mit den Befunden aus den Studien und es wird hier in Richtung eines Baukastensystems gehen, aus dem – unter anderem – Lehrer/innen künftig passgenau Screeningelemente zusammenstellen können.“ Zudem werde das Bildungsmonitoring – etwa mit iKMPLUS Daten – schon in den nächsten Jahren eine Datengrundlage bieten, die detaillierte Evidenzen für die Bildungsforschung und die Weiterentwicklung der Praxis liefere, so Klinglmair mit Blick auf Wünsche nach besseren Daten und Evidenzbasierung bildungspolitischer Reformmaßnahmen.
Hannes Schweiger, Assistenzprofessor am Institut für Germanistik und Zentrum für Lehrer*innenbildung der Universität Wien plädierte dafür, die Deutschförderung grundlegend und insbesondere mit Blick auf die Rahmenbedingungen zu verbessern: „Deutschförderklassen sind ‚besondere‘ Klassen, viele Kinder fühlen sich darin nämlich ausgegrenzt und stigmatisiert. Der Druck auf Kinder, aber auch die Eltern ist sehr groß, das sehen wir in qualitativen Studien. Das gilt es bei allen noch zu entwickelnden Maßnahmen immer im Blick zu behalten, genauso wie die Rahmenbedingungen der Lehrkräfte, unter denen sie arbeiten. Da gibt es noch großen Handlungsbedarf, kleine Verbesserungen reichen nicht aus.“ Kurzfristig sei vor allem eine Flexibilisierung bei der Verwendung der Förderstunden und dem MIKA-D nötig sowie mehr Handlungsspielraum für individuelle Lösungen im Sinne des Kindes. Langfristig brauche es jedoch einen Perspektivenwechsel, der die Mehrsprachigkeit von Schüler:innen stärker fördert und Deutschförderung darin integriert.
Diesen langfristigen Anspruch einer mehrsprachigen und diversitätsorientierten Schule unterstrich auch Christiane Spiel in der Diskussion: „Wir sind schon jetzt mit vielen Herausforderungen konfrontiert; künftig werden es noch viel mehr sein. Was brauchen wir, um mir diesen Problemen umzugehen, sie zu lösen? Wir brauchen eine sehr hohe Heterogenität in der Gesellschaft, d.h. Menschen, die unterschiedliches Wissen und unterschiedliche Kompetenzen haben. Denn wenn alle das Gleiche können, werden wir die vielen komplexen Probleme der Welt nicht lösen.“
Ilkim Erdost, Leiterin des Bereichs Bildung der Arbeiterkammer Wien, brachte als Gastgeberin der Veranstaltung das Fazit auf den Punkt: „Sprachförderung soll nicht benachteiligen, sondern Schüler:innen stärken und für ihren weiteren Bildungsweg ausstatten. Dieses Anliegen teilen wir alle. Um auch sicherzustellen, dass es nicht nur ein theoretisches Anliegen bleibt, braucht es Verantwortung und Maßnahmen im Sinne der Schüler:innen, der Eltern und der Schulen. Wir werden weiter an dem Thema dranbleiben müssen, denn wir stehen erst am Beginn eines Reformprozesses. Mein Appell richtet sich an das Bildungsministerium und die Bildungspolitik, wir als Arbeiterkammer stehen mit allen verfügbaren Mitteln zur Verfügung, um die konstruktive Transformation zu unterstützen. Denn wir sehen am Arbeitsmarkt einen steigenden Bedarf an jungen Menschen, die schnell in die Ausbildung und später den Job finden sollen, und wir dürfen nicht weiter durch solche Maßnahmen große Lücken in ihre Bildungswege reißen.“ Die Arbeiterkammer Wien habe deshalb als Antwort auf diese Erfahrungen den AK-Sprachschlüssel entwickelt. Er zeigt auf, wie die Weiterentwicklung der Deutschförderung in Richtung einer frühzeitigen kontinuierlichen und flexibleren Förderung mit besserem Betreuungsverhältnis und stärkerer Integration von Schüler:innen möglich wäre.
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