Femizidberichte: Presserat fordert zu sensibler Wortwahl auf
In den vergangenen fünf Jahren haben die Senate 79 Fälle zu Berichten über Femizide oder über „Gewalt gegen Frauen“ bearbeitet. In 29 Fällen wurden Ethikverstöße festgestellt. 14 dieser Ethikverstöße betrafen die Veröffentlichung von unverpixelten Bildern von Mordopfern. Zudem wurde in vier Briefen und zwei allgemeinen Stellungnahmen Kritik an den betroffenen Medien geübt. Den Presserat erreichen oftmals Beschwerden von Leserinnen und Lesern, in denen Berichte über Femizide wegen ihrer Wortwahl kritisiert werden. Die Senate des Presserats nehmen dies zum Anlass, noch einmal mit Nachdruck darauf hinzuweisen, dass bei der Femizidberichterstattung Formulierungen mit großer Achtsamkeit ausgewählt und insbesondere der Opferschutz berücksichtigt werden müssen.
Medien können bei der Berichterstattung über Femizide bzw. über „Gewalt gegen Frauen“ zwar einen wichtigen Beitrag zur öffentlichen Bewusstseinsbildung leisten, bei Artikeln über konkrete Gewaltverbrechen ist allerdings stets auf die Würde der Opfer zu achten. Das Leid, das die betroffenen Frauen und ihre Angehörigen erfahren, darf durch die Berichterstattung nicht vergrößert werden, etwa durch eine (grob) verharmlosende Darstellung der Tat (siehe dazu bereits die Stellungnahme 2019/S001-I).
Problematische Formulierungen
Nach Auffassung der Senate sind bestimmte in der Berichterstattung verbreitete Bezeichnungen wie „Ehe-, Beziehungs- oder Familiendrama“, „Eifersuchtsmord“ oder „erweiterter Suizid“ geeignet, die erlittene Gewalt zu verharmlosen. Dasselbe gilt für Formulierungen wie „Liebesdrama“ oder „schmerzliche Trennung(en)“ (Entscheidung 2022/205). Sie sollten daher von den Medien vermieden werden. Die Senate führen noch ein weiteres Negativbeispiel an: In einer Überschrift zu einem Artikel wurde die Tötung der Ex-Freundin als „fatale Liebe“ bezeichnet (Entscheidung 2021/248).
Darüber hinaus sollten sich Medien nicht einseitig auf die Perspektive des Täters oder von dessen Anwalt konzentrieren. Dies war etwa bei einem Bericht über einen Mordprozess der Fall, in dem lediglich die Aussage des Angeklagten und Wahrnehmungen von Prozessbeteiligten, die den Täter entlasteten, wiedergegeben wurden (Entscheidung 2020/253). Eine verantwortungsvolle Berichterstattung erfordert es, auch der Perspektive der Opfer ausreichend Raum zu geben, etwa durch Einholung von Statements der Hinterbliebenen oder – insbesondere, wenn diese für Interviews nicht zur Verfügung stehen – von Opferschutzeinrichtungen.
Täter-Opfer-Umkehr
In manchen Berichten kommt es darüber hinaus zu einer Täter-Opfer-Umkehr bzw. zu einer fragwürdigen Entlastung des Täters (Beispiele hierfür: „Sie wurde ermordet, weil sie ihm die Kinder vorenthielt; weil sie zur letzten Aussprache nicht bereit war; weil sie einen neuen Freund hatte.“) In dem Zusammenhang erwähnen die Senate noch eine im vorigen Jahr gefällte Entscheidung zu einem Artikel über einen Femizid in einer Wochenzeitung aus Tirol – der Begleittext zur Überschrift lautete: „17-Jährige (..) wollte sich von ihrem 18-Jährigen Freund trennen, der verkraftete das Beziehungsende nicht.“ Der Senat stufte diese Passage als ungerechtfertigte Entlastung des mutmaßlichen Täters ein; außerdem wiesen auch andere Formulierungen im Artikel einen relativierenden Beigeschmack auf (siehe die Entscheidung 2022/205).
Der Senat fordert die Medien auf, mit mehr Sensibilität über Gewaltverbrechen an Frauen zu berichten und dabei sorgfältig zu reflektieren und sensible Formulierungen zu verwenden. Zudem ist es empfehlenswert, am Ende eines Artikels auf Hilfseinrichtungen für Frauen hinzuweisen (z.B. auf die Frauenhelpline unter 0800/222555, die österreichweit kostenlos erreichbar ist). Dadurch können andere von Gewalt betroffene Frauen dazu ermutigt werden, sich helfen zu lassen.
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