Politik am Ring: Reporter mit Grenzen. Wie wird Österreichs Journalismus unabhängig von politischen Einflüssen?
Wien (PK) – Die jüngsten Chataffären und die darauf folgenden Rücktritte zweier Chefredakteure sind ein Beispiel für die (zu) enge Verflechtung von Politik und Medien in Österreich. Neben diesem grundsätzlichen Problem haben insbesondere die traditionellen Printmedien derzeit auch noch mit einer wirtschaftlichen Krise zu kämpfen, wodurch die Vielfalt der Medienlandschaft bedroht wird. Medienvielfalt und ein unabhängiger Journalismus sind jedoch unerlässlich für eine funktionierende Demokratie. Ein neues Mediengesetz soll nun die Qualität im Journalismus erhöhen und die Transparenz fördern, der Gesetzentwurf wird aber von vielen kritisch betrachtet.
Über die Nähe von Politiker:innen und Journalist:innen, das von der Regierung vorgelegte Medienpaket, die "Wiener Zeitung", das "notwendige Übel" der Presseförderung sowie die anstehende ORF-Reform, diskutierten gestern in der von Gerald Groß moderierten Internet-TV-Sendung des Parlaments Politik am Ring, Vertreter:innen der fünf Parlamentsfraktionen mit der Journalistin Anneliese Rohrer und Simon Kravagna vom Forum Journalismus und Medien Wien.
Das schwierige Verhältnis von Politik und Medien in Österreich
Der Mediensprecher der ÖVP Kurt Egger betonte eingangs die trotz Veränderungen in der Kommunikation gleich gebliebene Professionalität des Umgangs zwischen Journalist:innen und Politiker:innen. Man sehe diesbezüglich kein Problem. Die Vertreter:innen der anderen Parlamentsfraktionen hingegen sahen einige Schwierigkeiten, die zu bewältigen seien. So sprach die Mediensprecherin der Grünen Eva Blimlinger von einer Abnahme der Professionalität im Journalismus, da durch die Medienveränderungen nun jede:r Einzelne mitgestalten könne. Mittlerweile sei ein großes Misstrauen zwischen Journalist:innen und Politiker:innen entstanden, ebenso ließen sich eine zur Polarisierung führende "Verhaberung" sowie Interventionen feststellen.
Dagmar Belakowitsch, Klubobmannstellvertreterin der FPÖ, kritisierte zuvorderst die zunehmenden "Bewertungsjournalisten" – jene, die nicht objektiv berichteten, sondern Werturteile abgäben, wie zum Beispiel auf Twitter aktive ORF-Journalist:innen. Man müsse solche "Politikaktivisten" stoppen, nicht zuletzt, weil die Medien durch die Presseförderung von der Bevölkerung finanziert werden. Als Vorbild nannte die Abgeordnete die "New York Times", bei der den Journalist:innen verboten ist, ihre Meinungen auf Twitter zu veröffentlichen. Christian Drobits von der SPÖ, Mitglied im Verfassungsausschuss, sah nicht in der Nähe der Personen ein Problem, auch könne man nicht von Unabhängigkeit sprechen, da es schließlich Abhängigkeiten gebe. Es müsse allen klar sein, und das sollte im Zentrum dieser Diskussion stehen, "dass eine starke Demokratie nur mit einer starken Presse bestehen kann." Schließlich seien die Medien ein "Pfeiler und Baustein unserer Demokratie". Die jüngsten Ereignisse hätten jedoch ein schlechtes Bild bezüglich Verhältnis von Medien und Politik erzeugt, das bis zum Generalverdacht führe, weswegen dem Grenzen zu setzen seien.
Auch die Mediensprecherin der NEOS Henrike Brandstötter meinte, sie sehe die Nähe nicht per se als kritisch, solange diese nicht "sehr ungustiös" werde, wie manche Fotos von Feiern beweisen würden. Das Problem sei einerseits der Umgang miteinander und andererseits, dass heutzutage sowohl Medien immer wieder Politik machen würden, als auch Politik Journalismus betreibe, zum Beispiel über soziale Medien oder auch parteieigene Medien. Man müsse Regeln für eine "bessere, wertschätzende und demokratiestabilisierende" Kommunikation schaffen.
Laut den geladenen Expert:innen Anneliese Rohrer und Simon Kravagna gibt es keine Notwendigkeit für neue Regelungen. Es seien die Medien, so Kravagna, die sich zu überlegen hätten, wie sie ihre Unabhängigkeit sichern können. Es sollte nicht sein, dass ein Naheverhältnis zur Politik karrierefördernd sein oder finanzielle Vorteile bringen könne, und die Schuld hierfür liege eben nicht nur aufseiten der Politiker:innen. Nicht Nähe brauche man für eine gute Geschichte, sondern Vertrauen, so Kravagna. Rohrer betonte in Richtung Brandstötter: "Alles, was wir brauchen, ist Courage, alles, was wir brauchen, ist Rückgrat". Die Politiker:innen sollten endlich aufhören, die Journalist:innen zu vereinnahmen, und umgekehrt sollten sich die Journalist:innen gegen eine solche Vereinnahmung zur Wehr setzen. Was in den letzten Jahren abhandengekommen sei, so Rohrer, sei "vor allem die Aufrichtigkeit und das Bemühen um Distanz". Von den Politiker:innen wünsche sie sich Authentizität und Ehrlichkeit.
Das Medienpaket der Regierung
Anfang Oktober wurde von der Regierung ein Medienpaket vorgelegt, das unter anderem verschärfte Transparenzbestimmungen bei der Inseratenvergabe öffentlicher Stellen und eine neue Medienförderung vorsieht, wobei Letztere die Qualität im Journalismus erhöhen soll. Dieses Paket wurde von den Vertreter:innen der Oppositionsparteien wie auch den Expert:innen in weiten Bereichen stark kritisiert, was mitunter zu heftigen Diskussionen führte. Einig war man sich nur, dass die Erhöhung der Presseförderung positiv zu bewerten sei, wobei diese jedoch – so die Kritik – in erster Linie wieder nur die "Platzhirschen" bekämen, während kleine und vor allem innovative digitale Medien leer ausgingen. Man fördere damit weder notwendige Innovationen noch die Medienvielfalt. NEOS-Abgeordnete Brandstötter kritisierte insbesondere die fehlende Förderung von Qualitätsjournalismus. Nichts von dem, was normalerweise als Marker für qualitativen Journalismus gelte, sei in den Förderkriterien zu finden, wie Redaktionsstatuten oder die Mitgliedschaft in einem Kontrollorgan. Man gehe, wie FPÖ-Abgeordnete Belakowitsch unterstrich, mit diesem neuen Medienpaket in Wahrheit "drei Schritte zurück", da die Förderungen nicht an relevante Standards gebunden seien, weshalb weiterhin das Motto gelte: "Wer zahlt, schafft an." Trotz Wissen um das "Beinschab-Tool", so SPÖ-Abgeordneter Drobits, habe man nichts gegen solche möglichen Eingriffe getan und gehe einfach zur Tagesordnung über, was weder vertrauensfördernd noch aufrichtig sei. Das zeige sich auch in den Ausgaben für die Medienforschung, denn mit den 50.000 € jährlich könne man sich gerade eine/n halbe/n Wissenschaftler:in leisten, wie er sich ausgerechnet habe.
Ein "wirkliches Mysterium" sei die Verstaatlichung der Journalist:innenausbildung, die absolut niemand wolle, führte Kravagna aus. Auch er kritisierte die Kriterien für die Presseförderung wie die Anzahl der veröffentlichten Zeichen oder der fest angestellten Mitarbeiter:innen. Man müsse sich schon im Vorhinein überlegen, welche Auswirkungen das habe, etwa dass damit ein Medium wie express.at gefördert werde, aber nicht die Plattform Dossier. Kravagna betonte, dass das vorgelegte Medienpaket die starke Lobby der etablierten Medien zeige.
Rohrer sah im Medienpaket die in Formulierungen gegossene "Verachtung" der Politik gegenüber Medien und Journalismus. Die größte Schwäche des Pakets sei daher dessen "Verlogenheit", was man auch am Beispiel der "Wiener Zeitung" sehe. Man spreche von Unabhängigkeit, wolle aber tatsächlich den Journalismus an das Bundeskanzleramt ketten. Als grundsätzliches Problem sei eindeutig festzustellen, so die Journalistin, dass es seit Jahrzehnten kein "wirklich brennendes Interesse von irgendjemandem in Österreich an unabhängigem Journalismus gibt".
Die beiden Vertreter:innen der Regierungsfraktionen wehrten sich gegen diese Vorwürfe ÖVP-Abgeordneter Egger unterstrich, die Annahme sei "total absurd", dass nun das Bundeskanzleramt in die Journalist:innenausbildung bei der "Wiener Zeitung" eingreife. Es handle sich um eine "künstliche Aufregung". Das Medienpaket sei schließlich im Begutachtungsprozess, es sei "ja noch nichts in Stein gemeißelt" und man könne vernünftige Vorschläge einarbeiten. Egger hielt auch fest, dass das erste Mal Onlinemedien und Magazine in die Förderung aufgenommen würden und man die Qualität des Journalismus fördern würde – es sei ein Zukunftsgesetz.
Der Fall der "Wiener Zeitung"
Das mögliche Einstellen der "Wiener Zeitung" beziehungsweise ihre Umwandlung zu einem reinen Onlinemedium wurde ausführlich und hitzig debattiert. Unter Oppositionsvertreter:innen und Expert:innen herrschte die einhellige Meinung, dass diese älteste Tageszeitung der Welt, nicht "zu Grabe getragen" werden dürfe und der Umgang mit ihr ein Symbol für die generelle Sichtweise der Regierung auf die Medien sei. Rohrer beurteilte den Umgang mit dem Thema als Beweis dafür, dass kein unabhängiger Journalismus gewollt werde. Laut FPÖ-Abgeordneter Belakowitsch ist es die Regierung, die die "Wiener Zeitung" ruiniert habe. Grünen-Abgeordnete Blimlinger führte, die Angriffe abwehrend, aus, die Änderungen bezüglich "Wiener Zeitung" geschehen aufgrund der Umsetzung einer EU-Richtlinie. Zudem zeige die geringe Auflage der Zeitung unter der Woche, dass sie kaum gekauft und gelesen werde. Nicht zuletzt sei die Parteipolitik dafür verantwortlich, wo die Zeitung heute stehe, da bei jedem Regierungs- und Kanzlerwechsel Eingriffe im Personal stattfänden – trotzdem sei aber die journalistische Unabhängigkeit immer gewahrt geblieben. Nur wegen des Falls "Wiener Zeitung" die Medienvielfalt und den Qualitätsjournalismus gefährdet zu sehen, sei übertrieben, so Blimlinger.
Presseförderung: gut oder schlecht?
Außergewöhnlich sei, dass es in den meisten Ländern gar kein System der Presseförderung wie in Österreich gebe, hielt Moderator Groß fest und fragte die Anwesenden nach einer möglichen Lösung der grundsätzlichen Problematik Presseförderung. Rohrer gab zu bedenken, dass ein Medium vom Verkaufs- und Abopreis alleine nicht existieren könne, es in Österreich aber auch keine großen Unternehmen gebe, die mit ihren Inseraten Medien das Überleben ermöglichten. Ohne Förderung werde man daher auch in Zukunft nicht auskommen, das Problem sei jedoch, dass bei jeglicher Förderung jemand eine "Hidden Agenda" habe und niemand ein wirklich sauberes Fördersystem errichten wolle. Grünen-Abgeordnete Blimlinger hob die Problematik der hohen Medienkonzentration in Österreich hervor, die es sonst nirgendwo in Europa gebe. Kravagna wies darauf hin, dass die Volumina der Inserate und der Presseförderung angeglichen gehörten. Bei 200 Mio. € für Inserate und 28 Mio. € für Presseförderung sehe man, wo die Prioritäten lägen. Blimlinger entgegnete, die 200 Mio. € für Inserate seien offensichtlich zu wenig, wenn man sich die kritische Berichterstattung der letzten Jahre über die Regierung ansehe. Es sei daher überhaupt nicht zu verifizieren, dass sich die Politik die Medien "kaufe". Die Form der Diskussion wurde von ÖVP-Abgeordnetem Egger kritisiert. Es sei dem Journalismus wie dem Diskurs generell nicht förderlich, wenn ständig unterstellt werde, die Regierung würde sich mit der Presseförderung und Inseraten ausgewogene Berichterstattung kaufen.
Wie soll es mit dem ORF weitergehen?
Abschließend sprach Moderator Groß die Reform des ORF an, die bis Ende des Jahres 2023 durchzuführen sei, insbesondere betreffend Finanzierung. Laut Egger lägen die Spielvarianten auf dem Tisch, eine Gremienreform sei derzeit jedoch kein Thema. Blimlinger führte die möglichen drei Varianten der ORF-Finanzierung an (GIS, Haushaltsabgabe, indexierte Budgetfinanzierung) und betonte, wichtig im Falle der Budgetfinanzierung sei die Indexierung, damit der Generaldirektor nicht jedes Jahr bei der Regierung anstehen müsse.
Abgeordnete Brandstötter merkte an, sie finde es desaströs, dass bezüglich ORF nichts passiere, trotzdem schon im Juni das VfGH-Erkenntnis ergangen sei und zudem der von der Europäischen Kommission vorgelegte European Media Freedom Act zu beachten sei. Man müsse nicht nur über die Finanzierung des ORF reden, sondern auch über seine Aufgaben, wie das etwa bei der BBC der Fall sei. Blimlinger entgegnete, man rede durchaus darüber, allerdings nicht mit den Oppositionsparteien, sondern innerhalb der Regierung und mit Stakeholdern, was ihr vonseiten der Abgeordneten Belakowitsch den Vorwurf der Überheblichkeit einbrachte.
Rohrer erläuterte abschließend, dass niemand einen entpolitisierten ORF wolle, es fehle generell in Österreich der politische Wille zur Unabhängigkeit von Institutionen. Kravagna gab andererseits zu bedenken, dass der ORF ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk sei und es daher immer – in welcher Weise auch immer – ein Verhältnis zur Öffentlichkeit geben müsse,. Die Politik könne nicht gänzlich aus dem ORF verschwinden. Eine Reform sei dringend notwendig, und zwar aufbauend auf einem öffentlichen Diskurs. Nichts weniger als das Vertrauen in Politik und Journalismus, das von Jahr zu Jahr schlechter werde, stehe dabei auf dem Spiel.
Die nächste Sendung von Politik am Ring findet am Montag, dem 23. Jänner 2023, statt. Sie wird wieder live ab 21 Uhr in der Mediathek des Parlaments übertragen. Alle Folgen von Politik am Ring sind dort dauerhaft abrufbar. (Schluss) gst
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