Nationalrat: Südtirol-Autonomie als Modell für friedliche Konfliktlösung
Wien (PK) – Welches Beispiel kann die Südtirol-Autonomie für ein friedliches und respektvolles Miteinander sowie für politisches Handeln geben? Dieser Frage widmete sich heute die von der ÖVP initiierte Aktuelle Stunde im Nationalrat unter dem Titel: „Zum Frieden in Europa: Friedliche Konfliktlösung am Beispiel Südtirols -30 Jahre Streitbeilegung, 50 Jahre Zweites Autonomiestatut“.
Man war sich – mit unterschiedlichem Zugang – darüber einig, dass die Autonomie Südtirols ein Erfolgsmodell darstellt. Durch die Verfassungsänderung in Italien 2001 und die darauf basierende Judikatur seien aber Rechte verlorengegangen, bedauerten die Abgeordneten. Auch die europäische Rechtsetzung habe zu einem Rückgang der Autonomie geführt. Daher sei es notwendig, Schritte zu setzen, um die Autonomie weiterzuentwickeln. Viele sehen in der friedlichen Entwicklung Südtirols auch ein Paradebeispiel für erfolgreiche Diplomatie, einer Politik auf gleicher Augenhöhe und ein zukunftsorientiertes Beispiel für Minderheiten- und Bildungspolitik.
Der Weg bis zur Streitbeilegung war steinig und langwierig. Die Geschichte der Autonomie Südtirols geht auf die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zurück, nachdem im Vertrag von Saint-Germain 1919 die Abtretung Südtirols an Italien festgelegt worden war.
Der Zweite Weltkrieg änderte nichts an dieser Situation. Man einigte sich jedoch darauf, die deutsche und ladinische Minderheit dieses Gebietes mit besonderen Sonderrechten zum Schutz ihrer Sprache und kulturellen Eigenart auszustatten. Ausdruck fand dies im Pariser Abkommen, das zwischen dem italienischen Regierungschef De Gasperi und dem österreichischen Außenminister Gruber im September 1946 unterzeichnet wurde. Nach einer unbefriedigenden Umsetzung durch das Erste Südtiroler Autonomiestatut von 1948 kam es zu Gewalt, Bombenanschlägen und Demonstrationen. Österreich brachte die „Südtirol-Frage“ auf Initiative des damaligen österreichischen Außenministers Bruno Kreisky vor die Vereinten Nationen. Mit der UN-Resolution 1497/XV vom Oktober 1960 wurde festgestellt, dass der Pariser Vertrag für Italien bindend sei.
Nach langjährigen Verhandlungen wurde die Südtiroler Autonomie durch das im Jänner 1972 in Kraft getretene Zweite Autonomiestatut als eine Art Territorialverfassung innerhalb der italienischen Nationalverfassung verankert. Es dauerte dann noch bis 1992, bis alle darin enthaltenen Maßnahmen umgesetzt wurden. Schließlich beendeten Österreich und Italien mit der sogenannten Streitbeilegungserklärung den Konflikt über die Auslegung und Anwendung des Pariser Vertrages. Damit wurde am 11. Juni 1992 der formelle Abschluss der Südtirol-Verhandlungen vor der UNO vollzogen.
Edtstadler: Der Weg zur Südtirol-Autonomie ist vor dem aktuellen Hintergrund des Kriegs in Europa bedeutend
Gerade vor dem aktuellen Hintergrund des Krieges in Europa sei die Autonomie Südtirols bedeutend, betonte Bundesministerin Karoline Edtstadler. Denn es habe Überzeugungsarbeit und vieler Kompromisse bedurft, um zu diesem Ergebnis zu gelangen. Die Südtiroler Autonomie sei ein Paradebeispiel für Minderheitenrechte und ein internationales Vorzeigemodell. Die Herausforderungen des Jahres 2022 seien Anlass und Aufforderung, den Frieden wiederherzustellen und die gemeinsamen Werte des geeinten Europa weiterzutragen.
Österreich werde weiterhin seine Schutzfunktion für Südtirol wahrnehmen, bekräftigte Edtstadler, und wachsam bleiben, um Zentralisierungstendenzen in Italien hintanzuhalten. Dabei bleibe aber Südtirol Herr des Verfahrens, unterstrich sie. Österreich werde Unterstützung leisten, wenn Südtirol das wolle.
Was die zukünftige Autonomieentwicklung betrifft, so unterstützte die Ministerin die Entscheidung von Landeshauptmann Arno Kompatscher, eine Kommission zu beauftragen, um Prioritäten auszuarbeiten. Wie Hermann Gahr (ÖVP) begrüßte sie die Begnadigung von Heinrich Oberleitner durch Staatspräsident Mattarella als eine Frage der Humanität und kündigte Bemühungen an, auch für andere Südtirol-Kämpfer Begnadigung zu erreichen. Edtstadler sprach aber auch den Transit auf der Brennerstrecke an und meinte, hier brauche es Bewegung auf europäischer Ebene. Tirol und Südtirol tragen die Hauptlast des Transitverkehrs mit 2,5 Millionen Lkws im Jahr 2021. Die Geduld sei am Ende, sagte sie.
ÖVP: Autonomie Vorbild für Minderheitenpolitik
Die Südtirol-Autonomie sei ein funktionierendes Modell für Europa, vor allem, was den Umgang mit Minderheiten betrifft, hob Hermann Gahr (ÖVP) hervor und gab zu bedenken, dass von den rund 447 Millionen Europäerinnen und Europäern 10% einer Minderheit angehören. Das Statut zeige, wie man Minderheitenpolitik gestalten soll. Minderheitenkonflikte zu lösen, braucht Einsicht, Weitblick und täglichen Einsatz, so Gahr. Er unterstrich zudem, dass Österreich in seiner Schutzfunktion auch in Zukunft Südtirol begleiten werde.
Der EU-Beitritt Österreichs habe die Grenzbalken am Brenner fallen lassen, merkte er an, um gleichzeitig auch einzuräumen, dass sich zwar vieles verbessert habe, aber man nicht jubeln könne, zumal die Verfassungsänderung 2001 in Italien zu einer Rücknahme von Autonomierechten geführt habe. Es gehe daher darum, diese weiterzuentwickeln und zurückzugewinnen. Akzente könne man mit der Europaregion und dem Brenner-Basis-Tunnel setzen, meinte er. Er drängte aber auch auf die Begnadigung aller Freiheitskämpfer und die Beseitigung faschistischer Relikte. Man müsse Hürden überwinden, ergänzte Europaabgeordneter Christian Sagartz (ÖVP), denn der Dialog baue das Gemeinsame auf. Was ihn beunruhigt, ist aber weniger die Uneinigkeit über die Vergangenheit, als vielmehr die Beliebigkeit darüber, was das Morgen betrifft.
Als ein Musterbeispiel für Minderheitenrechte, die Ausgestaltung der Autonomie, regionale Zusammenarbeit sowie wirtschaftliche und touristische Entwicklung bezeichnete Reinhold Lopatka (ÖVP)
die Autonomie Südtirols. Sie lebe vom Bewusstsein, dass es nur auf Basis des Miteinanders gehe, sagte er. Wie seine Klubkollegin Elisabeth Pfurtscheller (ÖVP) hob er insbesondere die Zusammenarbeit von Tirol-Südtirol-Trentino im Rahmen der Europaregion hervor. Sie verfügt über eine eigene Rechtspersönlichkeit und kann damit auch internationale Kooperationen eingehen.
SPÖ: Südtirol Autonomie beispielgebend für Lösung aktuelle Konflikte
SPÖ-Europa-Abgeordneter Andreas Schieder unterstrich die europäische Dimension in Bezug auf die Region. Es sei eine Region des Wohlstands, der Brenner sei keine Grenze mehr, Tirol sei Heimat für viele und alle seien Europäer:innen. Die Streitbeilegung habe bewiesen, dass Konflikte friedlich gelöst werden können, dass dafür aber auch internationaler Rückenwind notwendig sei. Dass sich Südtirol zu einer der erfolgreichsten Regionen entwickeln konnte, habe viel mit dem Völkerrechtsvertrag zur Autonomie und laufender Unterstützung zu tun, ergänzte seine Klubkollegin Selma Yildirim (SPÖ).
Sie bedauerte auch seitens ihrer Fraktion die Aushöhlung der Autonomie aufgrund der Verfassungsänderung 2001 und vermisste eine aktive Politik und entsprechendes Engagement seitens der ÖVP und der Regierung. Vor allem würden die Minderheiten mehr Unterstützung brauchen, meinte sie. Harsche Worte fand Yildirim auch in Richtung FPÖ, der sie eine Politik des Populismus durch eine nationale Brille vorwarf.
Laut Schieder könnte der Weg zur Südtirol-Autonomie auch als Beispiel für die Beilegung der Konflikte am Balkan, ebenso aber auch für Irland und Nordirland dienen. Er sprach auch den Brenner-Basis-Tunnel an und äußerte sich in diesem Zusammenhang kritisch über die deutsche und italienische Politik.
FPÖ verlangt Recht auf Selbstbestimmung und Doppelstaatsbürgerschaft für Südtirolerinnen und Südtiroler
Einen etwas anderen Akzent in der Debatte setzten die freiheitlichen Abgeordneten. So kritisierte etwa Peter Wurm (FPÖ), dass Gesamttirol für die ÖVP kein Thema sei. Tirol sei schließlich in drei Teile gespalten. Tirolerinnen und Tiroler seien in Südtirol keine Minderheit, warf Dagmar Belakowitsch (FPÖ) ein. Beide beklagten den Verlust von Autonomierechten nach 2001 und vermissten aktive politische Schritte, um diese zurückzugewinnen. Der freiheitliche Europa-Abgeordnete Harald Vilimsky sprach sogar von einem „Zangenangriff“ aus Rom und aufgrund der Zentralisierungstendenzen in der EU auch aus Brüssel. Auch die FPÖ wolle ein geeintes Europa, sagte Vilimsky, aber ein Europa, wo die Staaten in Freundschaft und auf Augenhöhe miteinander kooperieren, aber kein zentralistisches Europa.
Die FPÖ-Abgeordneten drängten ebenso wie die anderen Parteien auf eine Weiterentwicklung der Autonomie und der Rechte der Südtiroler:innen, meinen aber in erster Linie das Recht auf Selbstbestimmung und die Einführung der Doppelstaatsbürgerschaft.
Uneinigkeit mit den anderen Parteien gab es auch in der Frage, was zum Abschluss des Autonomie-Status geführt hat. Die FPÖ sieht dabei nicht die Diplomatie verantwortlich, vielmehr haben ihrer Ansicht nach dafür die Freiheitskämpfer den Ausschlag gegeben.
Grüne: Dialog, Respekt und langer Atem der Diplomatie sind Grundlage für Konfliktlösung
Dem widersprachen die Grünen heftig. Die Darstellung der FPÖ dazu sei historisch falsch, stellte Hermann Weratschnig (Grüne) fest. Das Autonomiepaket stelle die Grundlage für ein friedliches Miteinander dar, das habe jahrelange Verhandlungen gebraucht und viel diplomatisches Geschick. Dass es von einem friedlichen Nebeneinander zu einem respektvollen Miteinander gekommen ist, dafür waren laut Weratschnig drei Punkte ausschlaggebend: Dialog, Respekt und ein langer Atem der Diplomatie, nicht aber Gewalt, Trennung, Revanchismus und gesellschaftliche Spaltung. Die Kooperation über Jahre hinweg habe Wunden geschlossen, so der grüne Mandatar. Das Grundprinzip, das uns in Europa eint, ist Zusammenhalt und Zusammenarbeit, nicht aber Geschichtsrevisionismus und Wiedervereinigungsphantasien, fügte Europa-Abgeordneter Thomas Waitz (Grüne) in Richtung FPÖ hinzu. Nur so könne man Demokratie, Meinungsfreiheit und Pressefreiheit verteidigen. Die Streitbeilegung 1992 sei einzigartig und modellhaft, da man den Konflikt vor die UNO gebracht habe, betonte Olga Voglauer (Grüne).
Die Grünen hoben insbesondere die Modellhaftigkeit für die europäische Minderheitenpolitik hervor. „Es braucht Integration und kulturelle Vielfalt“, merkte Weratschnig an. Das Autonomiepakt hat den Grundstein dafür gelegt, dass auch Minderheiten in Österreich verbriefte Rechte erhalten haben, sagte Voglauer. Die Frage der nationalen Minderheiten gehören auf die europäische Ebene. In diesem Sinne bedauerte sie, dass es nicht gelungen sei, den Minority-Safepack für die 340 autochthonen europäischen Minderheiten zu verankern.
Voglauer, Waitz und Weratschnig sprachen sich auch für die Lösung des Transit-Problems und engere Verbindungen zwischen Graz und Marburg sowie Kärnten und Krain aus. Auch in der Region Niederösterreich und in der Tschechische Republik sehen sie noch viel Potenzial. Sie unterstützten auch das Projekt der Europaregionen.
NEOS: Viele Probleme nur auf EU-Ebene lösbar, wichtig ist Achtung der Subsidiarität
Auch für die NEOS ist die Streitbeilegung ein Meilenstein und ein Erfolg des Multilateralismus und der Diplomatie. Es zeige, wie man Grenzen überwinden könne und was es heißt, Europäer:in zu sein, betonte EU-Abgeordnete Claudia Gamon (NEOS). Der Friede sei nur dann gesichert, wenn es ein freies und geeintes Europa gibt. In diesem Sinne äußerte sich auch Helmut Brandstätter (NEOS), der die Bedeutung von Dialog und Respekt hervorhob und appellierte, nicht zu glauben, eine Kultur sei der anderen überlegen. Gamon kritisierte in diesem Zusammenhang scharf das Vorgehen Victor Orbans als „Handlanger Putins“ beim sechsten Sanktionspaket, aber auch Bundeskanzler Karl Nehammer, der dafür Verständnis gezeigt habe.
Mit dem Begriff „Schutzmacht“ setzte sich Johannes Margreiter (NEOS) auseinander und hinterfragte, ob dieser noch zeitgemäß sei. Südtirol habe eine hervorragende Entwicklung durchgemacht, sei „erwachsen“ geworden und habe seine „Schutzmacht“ in vielen Bereichen übertroffen. Margreiter nannte als Beispiel die Bildungspolitik und den Umgang in Südtirol mit den Sprachen. Er räumte auch ein, dass die Autonomie unter Druck geraten ist, sowohl durch die Verfassungsentwicklung in Italien, aber auch durch die Entwicklung innerhalb der EU. Gleichzeitig könne man viele Probleme ohne europäische Einigung nicht lösen, wie etwa das Transit-Problem. Auch die Öffnung der Brenner-Grenze verdanke man der europäischen Einigung. Wichtig bei all dem sei aber die Achtung der Subsidiarität, so der NEOS-Abgeordnete. (Schluss Aktuelle Europastunde/Fortsetzung Nationalrat) jan
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