Österreichische Bundesmuseen im kolonialen Kontext: Staatssekretärin Mayer richtet internationales Fachgremium ein | Brandaktuell - Nachrichten aus allen Bereichen

Österreichische Bundesmuseen im kolonialen Kontext: Staatssekretärin Mayer richtet internationales Fachgremium ein

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Wien (OTS) – Um einen allgemeinen Umgang mit aus potenziell kolonialen Erwerbskontexten stammenden Objekten in den österreichischen Bundesmuseen zu ermöglichen, setzt Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer nun ein mit international anerkannten Expertinnen und Experten besetztes Gremium ein.

Unter dem Vorsitz des wissenschaftlichen Direktors des Weltmuseums Wien, Dr. Jonathan Fine, der auch in der Benin Dialogue Group für das Weltmuseum Wien vertreten ist, soll dieses interdisziplinäre Gremium Empfehlungen für den Umgang mit Kulturgütern aus kolonialen Erwerbskontexten in den Sammlungsbeständen bzw. mit etwaigen Rückgabeforderungen formulieren. Daraus könnte sich in weiterer Folge die Notwendigkeit legistischer Vorkehrungen ergeben. In die Arbeit des Gremiums sollen zudem Verteter:innen naher Bereiche wie Museumsfachleute, Jurist:innen und zivilgesellschaftliche Initiativen einbezogen werden.

„Das koloniale Erbe in den österreichischen Bundesmuseen wird wissenschaftlich und konzentriert aufgearbeitet. Es geht dabei nicht allein um den Umgang mit kolonialen Museumsbeständen, sondern in weiterer Folge auch um Fragen nach einer postkolonialen Museologie und Erinnerungskultur. Dass wir in die Tiefe, aber auch in die Breite gehen, ist mir bei diesem Thema wichtig“, erklärt Staatssekretärin Andrea Mayer. „Insbesondere die angestrebte Einbeziehung verschiedener Stakeholder in die Arbeit des Gremiums wird die Ergebnisse auf eine breite Basis stellen und damit die Weiterentwicklung eines zeitgemäßen und sensiblen Umgangs mit dem in österreichischen Bundesmuseen verwahrten Kulturerbe ermöglichen. Ich danke den beteiligten Expertinnen und Experten für ihre Bereitschaft, sich diesem transkontinental bedeutenden Thema zu widmen.“

„Die Einberufung des Gremiums ist ein wichtiger Schritt zur österreichischen Beteiligung an einer globalen Debatte, die in einer offenen Diskussion unter Einbeziehung unterschiedlicher Gruppen, Ansichten und Disziplinen zu gerechten Lösungen führen kann, die sowohl relativistische als auch vereinfachende Ansätze vermeiden“, so der Vorsitzende des neu eingesetzten Gremiums, Jonathan Fine.

Das Gremium wird im Laufe des Jahres 2022 zu mehreren Sitzungen zusammentreten, wobei die Arbeit in drei Phasen erfolgt. In der ersten Phase geht es vor allem um die Kontextualisierung; in der zweiten Phase um die breite Sammlung von zivilgesellschaftlichen, juristischen sowie international vergleichenden Inputs und Know-how. Die dritte Phase ist der Präzisierung und Ausformulierung der schriftlichen Empfehlungen, wie mit Rückgabeforderungen hinsichtlich einschlägiger Kulturgüter umgegangen werden könnte, gewidmet. Die Veröffentlichung der Ergebnisse wird für das Frühjahr 2023 erwartet.

Die Mitglieder:

– Dr. Jonathan Fine, Wissenschaftlicher Direktor, Weltmuseum Wien (Vorsitz)

– Golda Ha-Eiros, MA, leitende Kuratorin der Anthropologischen Sammlung, National Museum of Namibia, Windhoek, Namibia

– Dr. Emmanuel Kasarhérou, Präsident, Musée du Quai-Branly, Paris, Frankreich

– Dr.in Henrietta Lidchi, Chefkuratorin, Nationaal Museum van Wereldculturen, Rotterdam, Niederlande

– Prof.in Dr.in Barbara Plankensteiner, Direktorin Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt (MARKK), Hamburg, Deutschland

– Univ.-Prof. Dr. Walter Sauer, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Wien

– Dr.in Anna Schmid, Direktorin Museum der Kulturen, Basel, Schweiz

– Dr.in Katrin Vohland, Generaldirektorin und wissenschaftliche Geschäftsführerin Naturhistorisches Museum Wien

– Univ.-Prof. Dr. iur. Miloš Vec, Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte, Universität Wien

Postkoloniale Provenienzforschung in Österreich

Ethnographische, naturkundliche, technische und Kunst-Museen sehen sich derzeit mit intensiven Debatten darüber konfrontiert, wie mit Sammlungsobjekten aus kolonialen Erwerbskontexten umzugehen ist. Die österreichische Bundesregierung hat in ihrem Regierungsprogramm „postkoloniale Provenienzforschung und den Umgang mit Human Remains“ als wichtiges Arbeitsfeld definiert und damit ihr Commitment zum Ausbau der Provenienzforschung verstärkt.

Bisher fokussierten die österreichischen Anstrengungen in der Provenienzforschung vor allem auf Kunst- und Kulturgüter, die im Nationalsozialismus verfolgungsbedingt entzogen wurden. Mit dem weltweit einzigartigen Kunstrückgabegesetz aus dem Jahr 1998 verfügt Österreich über reiche Erfahrungen in einem nicht gleichzusetzenden, aber vergleichbaren Bereich. Wenn auch die spezifische Verantwortung der Republik Österreich für die nationalsozialistischen Verbrechen in der nunmehrigen Debatte stets gegenwärtig bleiben muss, kann dieser Erfahrungsschatz auch bei der Beforschung und beim Umgang mit Erwerbungen aus kolonialen Kontexten verwertet werden.

Den Auftakt der verstärkten österreichischen Anstrengungen in der postkolonialen Provenienzforschung bildete die viel beachtete Veranstaltungsreihe „Das Museum im kolonialen Kontext“ (in Kooperation mit ICOM Österreich) im Jahr 2019, aus der auch ein umfassender Sammelband („Das Museum im kolonialen Kontext“) mit Beiträgen zum aktuellen Forschungsstand hervorging. 2020 starteten vom österreichischen Kunst- und Kulturministerium lancierte und geförderte Forschungsprojekte an vier betroffenen Bundesmuseen (Museum für angewandte Kunst Wien, Naturhistorisches Museum Wien, Technisches Museum Wien, Weltmuseum Wien). Die Ergebnisse sollen 2022 veröffentlicht werden, Folgeprojekte sind bereits in Planung.

Zudem ist bisher einzelnen Repatriierungsanträgen hinsichtlich Human Remains, zuletzt 2020 von Neuseeland und 2021 von Hawaii, entsprochen worden – die physischen Übergaben mussten jedoch Corona-bedingt im Einvernehmen mit den Herkunftsländern verschoben werden und fanden bis dato noch nicht statt.

Zwar gilt Österreich historisch gesehen nicht als Kolonialmacht, doch zeigen aktuelle Forschungen vielfältige Verstrickungen der Habsburgermonarchie in koloniales Handeln. Demzufolge kommt der Einsetzung des neuen Gremiums unter Einbindung nationaler und internationaler Expertise zur Erarbeitung eines nachhaltigen und nachvollziehbaren Bezugssystems große Bedeutung zu.

Das österreichische Kunst- und Kulturministerium legt Wert darauf, solide Rahmenbedingungen für einen wissenschaftsbasierten, transparenten und sensiblen Umgang mit den Sammlungsbeständen aus kolonialen Erwerbskontexten in den Bundesmuseen zu schaffen und hofft, mit den zu erwartenden Empfehlungen auch einen relevanten Beitrag zur international rezipierten Diskussion zu leisten.

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