Expert*innen ziehen Bilanz zu Umsetzung von Kinderschutzkonzepten in Österreich
Wien (OTS) – Mit dem EU-Projekt „Safe Places“ ist es den Projektpartner*innen ECPAT Österreich, Bundesverband Österreichischer Kinderschutzzentren und Netzwerk Kinderrechte in den letzten beiden Jahren durch konkrete Maßnahmen wie Workshops, Beratung, Online-Plattform und Lobbying gelungen, das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Gewaltschutzkonzepten in der Kinder- und Jugendarbeit deutlich zu erhöhen. Offen bleiben nach wie vor die Forderung nach einer gesetzlichen Verpflichtung sowie einer Verankerung als Bewilligungskriterium bei Förderungen für alle Strukturen, die mit Kindern arbeiten, die Forderung nach einer unabhängigen Stelle für Kinderagenden, sowie der dringliche Wunsch nach einem Sammelgesetz auf Bundesebene nach dem Vorbild Deutschlands. Was konkret gelungen ist und was noch fehlt, präsentierten die Kinderschutzexpert*innen im Rahmen einer online Pressekonferenz am 10. November 2021.
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* Kinderschutzkonzepte als Qualitätsmerkmal von
Organisationen
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Im September 2019 startete das von ECPAT Österreich -Arbeitsgemeinschaft zum Schutz der Rechte der Kinder vor sexueller Ausbeutung – koordinierte EU-Projekt „Safe Places“, das mit den Partner*innen Bundesverband Österreichischer Kinderschutzzentren, Netzwerk Kinderrechte sowie in enger Kooperation mit der Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit (Kinderliga) umgesetzt wurde. Ziel des Projekts war, ein deutlich stärkeres Bewusstsein für Schutzkonzepte überall dort, wo Kinder und Jugendliche sich aufhalten, untergebracht, beschult werden bzw. ihre Freizeit verbringen, zu schaffen. „So wie die Einhaltung von gesetzlichen Regelungen und Verpflichtungen rund um Sicherheit und Schutz am Arbeitsplatz inzwischen selbstverständlich ist, sollte es auch in Bezug auf Schutzkonzepte für den Umgang mit Kindern und Jugendlichen sein“, sagt Mag.a Astrid Winkler, Geschäftsführerin von ECPAT Österreich. Der Gedanke, dass Schutzkonzepte das Risiko für Gewalt an Kindern reduzieren können und bei Übergriffen ein professionelles Vorgehen möglich machen und damit als das zentrale Qualitätsmerkmal für Kinderschutz einer Organisation verstanden werden sollten, hat sich laut der Kinderschutzexpertin noch nicht durchgesetzt. Dr. Helmut Sax, Kinderrechtsexperte am Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte und Mitglied des Leitungsteams „Netzwerk Kinderrechte“, dazu: „Organisationen, Einrichtungen, Unternehmen sind in der Pflicht, Qualitätsstandards einzuhalten – das gilt für finanzielle Abrechnungen ebenso wie für effektive Administration. Dasselbe muss für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen gelten, es muss ihnen ein gewaltfreies Umfeld gewährleistet werden – denn sie haben ein gesetzlich verankertes Recht darauf!“
Dazu bedarf es eines internen Organisationsentwicklungsprozesses, mit klaren Zuständigkeiten, definierten Verfahren und Maßnahmen, die sowohl präventiv wirken, etwa bei der Personalrekrutierung, wie auch Schutz für die betroffenen Kinder im Gefährdungsfall bieten. Ein Schutzkonzept ist das Endprodukt eines partizipativ ausgerichteten, organisationsinternen Prozesses, der den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gewalt in den Mittelpunkt stellt und drei zentrale Bereiche adressiert: Bewusstseinsbildung & Sensibilisierung -Prävention – Intervention. „Betreuungs-, Bildungs-, Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche in einem gewaltfreien Umfeld ermöglichen ist das Ziel, und institutionelle Kinderschutzkonzepte sind das Mittel zu diesem Zweck“, so Sax.
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* Organisationen brauchen Unterstützung und Ressourcen zur Erarbeitung von Kinderschutzkonzepten
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Zwischen 2019 und 2021 hat die Österreichische Liga für Kinder-und Jugendgesundheit als Kooperationspartnerin von „Safe Places“ über 20 offene und organisationsinterne Workshops zu Kinderschutzkonzepten abgehalten und damit 90 Organisationen bzw. 200 Personen erreicht. Zusätzlich wurden auch von den Projektpartner*innen noch weitere Workshops angeboten. Viele der erreichten Organisationen haben mittlerweile Kinderschutzkonzepte implementiert oder befinden sich in der Erarbeitungsphase ihrer Schutzmaßnahmen. Im Rahmen der Aufbauworkshops konnten sich teilnehmende Organisationen in der Erarbeitung ihrer Maßnahmen unterstützen lassen. Zu den Workshopteilnehmer*innen gehörten außerschulische Jugendorganisationen, elementarpädagogische Einrichtungen, Einrichtungen der psychosozialen Versorgung oder auch Patenschafts-und Freiwilligenprojekte. „Kinderschutzkonzepte zu implementieren und im Alltag einer Organisation lebbar zu machen, braucht Zeit – dies wurde von teilnehmenden Organisationen neben den oftmals fehlenden finanziellen Ressourcen als eine der größten Herausforderungen genannt“, berichtet Jana Hierzer, MA, von der Österreichischen Kinderliga, verantwortlich für die Koordination und Durchführung der Kinderschutzkonzepte-Workshops. Neben zeitlichen und finanziellen Ressourcen brauchen Organisationen auch inhaltliche Unterstützung, die etwa eine Kompetenzstelle, die berät, begleitet, Standards festlegt und Kinderschutzthemen voranbringt, gewährleisten könnte.
Neben den Workshops wurden bzw. werden diverse Strukturen im Prozess der Entwicklung und Umsetzung eines Kinderschutzkonzeptes beraten und begleitet, darunter etwa eine Stadt in Österreich, die Bundesbetreuungsagentur des Innenministeriums sowie auch eine wichtige Religionsgemeinschaft in Österreich.
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* Plattform Kinderschutzkonzepte als Orientierung für Organisationen, Fördergeber und Eltern
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Ein weiteres Produkt, das im Rahmen des EU-Projektes „Safe Places“ entwickelt wurde, ist die Online-Plattform [www.kinderschutzkonzepte.at] (http://www.kinderschutzkonzepte.at) , auf der sich Organisationen, die bereits über ein Kinderschutzkonzept verfügen bzw. am Weg zu einem solchen sind, registrieren und präsentieren können. Die Basis für eine solche Registrierung bilden definierte Qualitätskriterien, die dafür erfüllt werden müssen. „Für Fördergeber soll die Plattform in Zukunft eine hilfreiche Quelle sein, wenn das Vorhandensein eines Kinderschutzkonzeptes ein Förderkriterium sein wird, was wir, die Projektpartner*innen unbedingt einfordern“, sagt Martina Wolf, Geschäftsführerin des Bundesverbands Österreichischer Kinderschutzzentren. Auf der Plattform steht außerdem ein 1,5-stündiges e-Learning Tool zur Verfügung, das einen ersten Einblick in Kinderschutzkonzepte gibt und Personen über den Erarbeitungsprozess in ihrer Organisation zu Wort kommen lässt. Darüber hinaus bietet kinderschutzkonzepte.at ein Tutorial mit Informationen zur Entwicklung von Kinderschutzkonzepten, speziell qualifizierte Trainer und Trainerinnen sowie ein Angebot an Veranstaltungen und Fortbildungen an. Eltern finden auf der Plattform erste Informationen zu Kinderschutz in Organisationen und erfahren, worauf sie achten sollten und wonach sie fragen können, bevor sie ihr Kind einer Organisation zur Betreuung übergeben.
* Allianz für Kinderschutz
Neben Lobbyingaktivitäten und Vernetzungen mit anderen Sektoren,
wie etwa dem Sport, wurde im Rahmen des EU Projektes „Safe Places“
die „Allianz für Kinderschutz“ ins Leben gerufen. Ziel dieses
Netzwerks von Organisationen, die im Kinderschutz tätig sind, ist,
Informationsaustausch untereinander zu fördern, die Kooperation zu
stärken und sich gemeinsam für den Kinderschutz stark zu machen.
Aktuell geht es auch hier um Standards für Kinderschutzkonzepte.
* Wichtige Forderungen der Kinderschutzexpert*innen noch
immer offen
Vor genau einem Jahr haben die Projektpartner*innen von „Safe
Places“ in einer Pressekonferenz die Forderung nach einem
einheitlichen bundesweiten gesetzlichen Rahmen zur Implementierung
von Kinderschutzkonzepten präsentiert. Die Machbarkeit belegt ein
Rechtsgutachten, das Univ.Prof. Dr. Wolfgang Mazal vom
Österreichischen Institut für Familienforschung dazu verfasst
hat[[1]] (#_ftn1).
- Offen bleibt die Forderung nach einer gesetzlichen Verankerung
als Förder- und Bewilligungskriterium für alle Strukturen, die mit Kindern arbeiten. - Es fehlt nach wie vor in Österreich eine unabhängige Stelle für die Bereiche: Kinderrechte, Kinderschutz und Kindergesundheit.
- Es braucht Unterstützung und Ressourcen zur Erarbeitung und Implementierung von Kinderschutzkonzepten, v.a. für kleinere Organisationen
„Der Wunsch nach einem Sammelgesetz auf Bundesebene nach dem
Vorbild Deutschlands, also ein österreichisches
Bundeskinderschutz-Gesetz, bleibt ebenso aufrecht. Aber wir sind
realistisch genug, dass dies wohl noch Zeit braucht“, sagt Winkler.
Auch, wenn das EU-Projekt „Safe Places“ – das im Übrigen ganz ohne
finanzielle Mittel öffentlicher Stellen aus Österreich umgesetzt
wurde – mit Dezember 2021 zu Ende geht, die Initiative „Safe Places –
Kinderschutzkonzepte JETZT UMSETZEN“ bleibt bestehen. Und damit auch
die Forderungen der Kinderschutzexpert*innen nach einer gesetzlichen
Verankerung für Schutzkonzepte als Qualitätsmerkmal der Kinder- und
Jugendarbeit sowie in der Betreuung von Kindern ebenso wie jene nach
einer/einem unabhängigen Beauftragten.
* * *
[[1]] (#_ftnref1)
[https://www.oif.ac.at/publikationen/working-paper/]
(https://www.oif.ac.at/publikationen/working-paper/) -> Legal
Analysis zu Fragen des Kinderschutzes
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