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Kunstrückgabebeirat beschloss fünf Empfehlungen

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Wien (OTS) – Der österreichische Kunstrückgabebeirat beschloss in seiner heutigen 98. Sitzung (5. November 2021) Empfehlungen zu Rückgaben aus der Akademie der bildenden Künste Wien, dem Naturhistorischen Museum Wien und dem Heeresgeschichtlichen Museum/Militärhistorischen Institut. Des Weiteren wurde eine Empfehlung zu Rückgaben aus dem Salzburg Museum ausgesprochen.

Der erste Beschluss bezieht sich auf grafische Blätter aus dem Eigentum des jüdischen Wiener Gynäkologen Sigmund Stiassny. Er hatte von seinem Vater Wilhelm Stiassny, dem Architekten und Mitbegründer des (alten) Jüdischen Museums in Wien, dessen umfangreiche private Kunstsammlung geerbt, die 1921 unter Denkmalschutz gestellt wurde. Infolge des „Anschlusses“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich wurde Sigmund Stiassnys Approbation für erloschen erklärt und er zum „Krankenbehandler“ degradiert. Über sein Vermögen konnte er kaum mehr verfügen. Während seiner geschiedenen Frau gemeinsam mit Sohn Wilhelm Michael die Flucht nach Frankreich gelang, musste Sigmund Stiassny, gesundheitlich schwer angeschlagen, mit dem älteren Sohn Hans Joachim in Wien verbleiben. Ende 1939 wurden sie gezwungen, in eine Sammelwohnung zu übersiedeln, wo Sigmund Stiassny 1941 starb. Im Jänner 1942 wurde Hans Joachim Stiassny im Alter von 20 Jahren nach Riga deportiert und ermordet. 33 Blätter, die das Provenienzmerkmal der Sammlung Stiassny aufweisen, tauchten erst kürzlich im – mehrere tausend Blätter umfassenden – Konvolut der Sammlung Adolf Schmidt auf, die dessen Witwe 1986 der Akademie der bildenden Künste Wien geschenkt hatte. Laut Schmidts eigenem Inventarbuch kaufte dieser die Blätter zwischen 1940 und 1943 beim ebenfalls NS-verfolgten Kunsthändler Rudolf Perlberger. Diese nach dem „Anschluss“ 1938 getätigten Erwerbungen erachtete der Beirat als NS-verfolgungsbedingte Entziehung und empfahl die Rückgabe an die Erb:innen nach Sigmund Stiassny.

Der Beirat begutachtete darüber hinaus auch die anderen Erwerbungen Adolf Schmidts bei Rudolf Perlberger, der gemeinsam mit seiner Frau Maria Perlberger einen kleinen Antiquar- und Kunsthandel in Wien führte. Rudolf Perlberger, der 1923 wohl aufgrund seiner Eheschließung aus der Israelitischen Kultusgemeinde ausgetreten war, wurde nach dem „Anschluss“ als Jude verfolgt. 1942 musste er mit seiner Frau in eine sogenannte Sammelwohnung übersiedeln, bis er im Dezember 1943 im Rothschildspital in der Malzgasse verstarb. Insgesamt 287 Grafiken und 32 Zeichnungen, unter ihnen eine Studie Gustav Klimts, die Adolf Schmidt zwischen 1938 und 1943 bei Perlberger erworben hatte, empfahl der Kunstrückgabebeirat zur Rückgabe an die Erb:innen nach Maria Perlberger.

Ebenso sprach sich der Beirat für die Rückgabe von Gegenständen aus, die der als jüdisch verfolgte Rechtsanwalt Hanns Fischl dem Heeresmuseum nach dem Verlust seiner Rechtsanwaltskanzlei und seines Einkommens sowie in Vorbereitung seiner Flucht verkauft hatte. Diese sollte jedoch mehrfach scheitern, bis er im September 1943, wohl aufgrund einer namentlichen Verwechslung, von der Gestapo verhaftet und ins Konzentrationslager Auschwitz verschickt wurde. Von dort wurde er nach Ohrdruf, einem Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald, und schließlich im März 1945 ins „Sterbelager“ Bergen-Belsen überstellt, wo er vermutlich kurz darauf einen gewaltsamen Tod erlitt. In die Rolle des Bittstellers gedrängt, hatte Hanns Fischl im Zeitraum zwischen 1938 und 1943 zumindest 293 Objektpositionen – Fotografien, Postkarten, Drucke, Lithografien und Plakate sowie Bücher – an das Heeresmuseum verkauft, von denen derzeit 200 in den Beständen des heutigen Heeresgeschichtlichen Museums / Militärhistorischen Instituts auffindbar sind. Diese Verkäufe erachtete der Beirat als nichtige Rechtsgeschäfte und empfahl die Rückgabe an die Erb:innen nach Hanns Fischl.

121 Mineralien, die der Wiener Mineraloge Hans Leitmeier 1941 an das Naturhistorische Museum Wien verkauft hatte, wurden ebenfalls zur Rückgabe empfohlen. Zwar war Leitmeier in den 1920er-Jahren Mitglied im deutschnational-antisemitischen Netzwerk „Bärenhöhle“ rund um Othenio Abel und andere deutschnationale Universitätsprofessoren aktiv gewesen, jedoch wurde er 1938 als Professor an der Universität Wien zwangspensioniert, weil er mit einer als jüdisch geltenden Frau verheiratet war. Dadurch war er mit erheblichen Gehaltseinbußen konfrontiert und konnte auch seine Forschungen nicht mehr fortführen, zumal ihm der Zugang zu seinem ehemaligen Universitätsinstitut verwehrt wurde.

In derselben Sitzung wurden außerdem Gegenstände behandelt, die zwar nicht im Eigentum des Bundes stehen, deren Träger jedoch um die Einschätzung des Kunstrückgabebeirats ersucht hat. So befasste sich dieser auf Ersuchen des Salzburg Museums mit Objekten, die im Zuge der Einziehung der 1.600 Gegenstände umfassenden Sammlung des jüdischen Industriellen Oscar Bondy in dessen Bestand gelangt waren. Wie eine Reihe weiterer österreichischer Museen äußerte auch das Salzburger Museum nach dem „Anschluss“ gegenüber der Denkmalbehörde seine Erwerbungswünsche, woraufhin zwischen 1940 und 1942 insgesamt 99 Objekte aus der Sammlung nach Salzburg gelangten. Nachdem Oscar Bondy 1944 im New Yorker Exil verstorben war, bemühte sich seine Witwe Elisabeth nach Kriegsende um die Rückstellung der Kunstsammlung. Nach einigen Verzögerungen wurde der Rückstellungsbescheid zwar erlassen, jedoch sieht der Beirat es als gegeben an, dass die Widmung von drei Salzburger Fayencekrügen sowie eines Keramikblumentopfs aus dem 17. Jahrhundert in engem Zusammenhang mit einem Verfahren nach dem Ausfuhrverbotsgesetz stand, weshalb er diese – gemeinsam mit sieben weiteren in den letzten Jahren aufgefundenen Objekten, die nach ihrer Rückstellung im Jahr 1947 nicht an Elisabeth Bondy ausgefolgt worden waren –, zur Restitution empfahl.

Die Beschlüsse sind im Wortlaut auf der Webseite der Kommission für Provenienzforschung unter [www.provenienzforschung.gv.at]
(http://www.provenienzforschung.gv.at/) wiedergegeben.

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