„Genau hinsehen, was geschieht“: Ö1 zum 100. Geburtstag von Ilse Aichinger | Brandaktuell - Nachrichten aus allen Bereichen

„Genau hinsehen, was geschieht“: Ö1 zum 100. Geburtstag von Ilse Aichinger

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Wien (OTS) – Am 1. November jährt sich der Geburtstag von Ilse Aichinger zum 100. Mal. Ö1 widmet der österreichischen Schriftstellerin aus diesem Anlass mehrere Sendungen: „Gedanken für den Tag“ (25., 27.-30.10.), am 31. Oktober „Du holde Kunst“, „Ex libris“ und „Kunstradio“, am 1. November „Lebenskunst“ und das „Ö1 Hörspiel“, „Tonspuren“ am 2. November.

Ilse Aichinger überlebte als Tochter einer jüdischen Ärztin die NS-Zeit in Wien, während ihre Zwillingsschwester nach England flüchten konnte, die Großmutter und die jüngeren Geschwister der Mutter aber deportiert und ermordet wurden. Nach Kriegsende unterbrach Aichinger ihr Medizinstudium, um den Roman „Die größere Hoffnung“ (1948) zu schreiben. Dieser und die im Jahr darauf erschienene „Spiegelgeschichte“ machten Aichinger über die Grenzen Österreichs hinaus berühmt. Aichingers erste greifbare Erinnerung war, wie eine Greißlerin über den Ladentisch zeigte, um ihren anderen Kunden zu sagen: „Das sind Juden.“ Und so konstatierte sie in einem Interview: „Ich selbst habe der Stadt Wien gegenüber wenig Toleranz, weil ich hier das Schlimmste gesehen habe.“ Dennoch wurde sie mit dem Ehrenpreis des Österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln ausgezeichnet. Aichingers Auffassung von Toleranz hat viel mit dem genauen Blick auf Menschen und Dinge zu tun. „Genau hinsehen, was geschieht“ – dieser Leitsatz ihrer autobiografischen Aufzeichnungen sagt aus, wozu Literatur fähig ist und fähig macht.

„Ich werd‘ mich noch beim Sterben langweilen“

In den „Gedanken für den Tag“ spricht Literaturkritiker und Übersetzer Cornelius Hell unter dem Titel „Aufruf zum Misstrauen“ über Ilse Aichinger – am Montag, den 25. und von Mittwoch, den 27. bis Samstag, den 30. Oktober jeweils um 6.56 Uhr in Ö1.

Am Sonntag, den 31. Oktober liest Irina Wanka in „Du holde Kunst“ (8.15 Uhr) aus Aichingers Gedichtband „Verschenkter Rat“, ein Band, den Ilse Aichinger 1978 mit Gedichten aus mehr als zwei Jahrzehnten zusammenstellte und der dennoch eine erstaunliche Geschlossenheit und Einheitlichkeit in der Tonlage aufweist und in der deutschsprachigen Nachkriegslyrik von einmaligem Rang ist. Für den musikalischen Rahmen sorgen Werke von Robert Schumann, Claude Debussy, Leos Janacek, Julián Orbón u. a. In „Ex libris“ werden ab 16.00 Uhr u. a. Aichingers „Aufruf zum Mißtrauen: Verstreute Publikationen“, ihre Radio-Essays „Die Frühvollendeten“ und das Buch „Was für Sätze. Zu Ilse Aichinger“ (Hg.: Theresia Prammer, Christine Vescoli) besprochen. Im „Kunstradio“ (23.00 Uhr) steht die Neuproduktion „Mandatum tradere“ nach einem Gedicht von Ilse Aichinger von Christine Nagel (Text, Regie) und Dietrich Eichmann (Komposition) auf dem Programm, mit Tomonori Takeda (Klarinette), Gerd Wameling (Texte) sowie der Stimme von Ilse Aichinger.

Am Montag, den 1. November, Aichingers Geburtstag, ist „Von der Kraft des Träumens“ Thema in „Lebenskunst“ (7.05 Uhr) und das „Ö1 Hörspiel“ (14.00 Uhr) bringt „Die größere Hoffnung“. Aichingers autobiografisch geprägter Roman zählt zu den wichtigsten Werken der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur. Die Schauspielerin Anne Bennent hat für Ö1 eine Hörspielfassung erarbeitet, die eine sehr persönliche Sichtweise des Romans vermittelt. Bennent führt auch Regie bei dieser Produktion (2016), die Musik kommt von Otto Lechner und Peter Rosmanith.

Die „Tonspuren“ bringen am Dienstag, den 2. November ab 16.05 Uhr das Feature „‚Ich werd‘ mich noch beim Sterben langweilen‘ oder Die paradoxe Lebenslust der Ilse Aichinger.“ „Komm süßer Tod“ hieß ihr Lieblingsfilm, am liebsten, sagte Ilse Aichinger, wäre es ihr gewesen, gar nicht geboren zu sein. Ihr Roman „Die größere Hoffnung“ war der erste und für lange Zeit einzige ästhetisch gelungene Reflex auf die Verfolgung im Dritten Reich, in dem das Wort „Nationalsozialismus“ kein einziges Mal fällt. 1953 heiratete sie den Schriftsteller Günter Eich. Jahrzehntelang lebte sie mit ihrer Familie auf dem Land, vermisste das Kino und schrieb Erzählungen, ohne zu erzählen. Ihre letzten Jahre verbrachte sie in Wien. Hier entstand fast nebenbei die einzigartige Autobiografie der Lebens- und Schreibkünstlerin: Blitzlichter fallen auf Filme, die sie gesehen, Gegenden, die sie erlebt, Menschen, die sie getroffen hat.

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