Kurz: Bei Corona-Impfstoffen darf es keine EU-Mitgliedsstaaten zweiter Klasse geben | Brandaktuell - Nachrichten aus allen Bereichen

Kurz: Bei Corona-Impfstoffen darf es keine EU-Mitgliedsstaaten zweiter Klasse geben

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Wien (PK) – Beim virtuellen Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs kommenden Donnerstag und Freitag will Bundeskanzler Sebastian Kurz eine Neuverteilung bzw. „faire Verteilung“ von Corona-Impfstoffen innerhalb der Europäischen Union ansprechen, wie er heute im EU-Hauptausschuss des Nationalrats bekräftigte. Abweichungen vom Bevölkerungsschlüssel bei den Corona-Impfstofflieferungen durch den Lenkungsausschuss auf Beamtenebene hätten zu massiven Unterschiedlichkeiten innerhalb der Union geführt. Etwa hätte Malta dreimal so viele Corona-Impfstoffe erhalten wie Bulgarien. Es dürfe keine EU-Mitgliedsstaaten zweiter Klasse geben, ein Ausgleichsmechanismus sei notwendig, so der Kanzler. Nicht allen EU-Regierungschefs sei klar gewesen, dass es zu unterschiedlichen Impfstoff-Auslieferungen kommt.

Die Opposition sieht dies anders und ortet ein klares Versagen beim Kanzler bzw. bei der Bundesregierung selbst. Kurz will nach Ansicht der SPÖ, FPÖ und den NEOS einen Schuldigen suchen, um von den eigenen Versäumnissen und Fehlern abzulenken. Die Bundesregierung habe nur 200 Mio. € für Corona-Impfstoffe budgetiert, wodurch seitens Österreichs auf EU-Ebene auch nicht mehr Impfstoffe bestellt wurden, als laut Einwohnerzahl möglich gewesen wären. Zudem hätte es im Jänner auf EU-Ebene die Möglichkeit gegeben, nicht abgerufene Impfstoffe aus anderen Mitgliedsstaaten nachzubestellen. Auch das sei nicht passiert, sind sich die Oppositionsfraktionen in der Schuldfrage einig.

Kurz: Nicht alle Regierungschefs haben über Abweichungen von „pro rate population at the same time“ gewusst

Im Europäischen Rat hätten die Staats- und Regierungschefs stets die Information erhalten, dass die Impfstoff-Auslieferung „pro rate population at the same time“, also proportional zur Bevölkerung zur selben Zeit, erfolge. Dass der dafür zuständige Lenkungsausschuss auf Beamtenebene unter Geheimhaltung davon abweicht, sei nicht allen Regierungschefs bekannt gewesen, wie er in vielen Telefonaten mit europäischen Amtskollegen festgestellt habe, erklärte Kurz. „Kaum jemandem war bewusst, dass es deutlich unterschiedliche Liefermengen gibt und die Verteilung nicht proportional zur Bevölkerung stattfindet“, so der Kanzler. Wären die unterschiedlichen Liefermengen allen Mitgliedsstaaten bewusst gewesen, hätten diese von jedem Impfstoff „as much as possible“ bestellt. Österreich habe hier jedenfalls einiges ins Rollen gebracht, er sei zuversichtlich, dass es zu einer Lösung bzw. zu einem Ausgleich kommt. Viele Regierungschefs hätten Interesse daran, diese Ungleichheiten zu korrigieren. Er erlebe jedenfalls aus vielen Staaten positive Stimmen „in unsere Richtung“.

Hinsichtlich der zehn Millionen zusätzlich in der EU zu verteilenden Impfdosen sollten diese aus Sicht des Kanzlern all jenen Mitgliedsstaaten zukommen, die zu wenig Impfstoff haben. Wichtig sei, das Thema auf einer Metaebene zu betrachten. Eine stärker werdende Kluft bei der Verteilung von Impfstoffen würde für die EU nicht gut sein.

Nicht in Ordnung ist für Kurz zudem, dass mehrere Corona-Impfstoffe in der EU entwickelt und mitproduziert werden, viele Länder außerhalb der EU wie Großbritannien, die USA, Chile oder Israel im Moment aber mehr Impfdosen zur Verfügung haben als die Mitgliedsstaaten selbst. Deshalb werde vonseiten der Kommission und diese Woche auf Ebene der Staats- und Regierungschefs über Exportbeschränkungen nachgedacht. Auch das könnte ein Hebel sein, um den Impfstoff-Zugang für EuropäerInnen zu steigern.

Was die Verwendung von Geldern aus dem EU-Wiederaufbaufonds (Recovery Fund) betrifft, erklärte Kurz gegenüber Europaabgeordneter Claudia Gamon (NEOS), dass es dazu einen von Europaministerin Karoline Edtstadler geleiteten Stakeholder-Prozess mit den Bundesländern und Sozialpartnern gebe, der gerade abgeschlossen werde. Österreich werde seine Projekte wie andere EU-Mitgliedsstaaten im April präsentieren. Es gehe darin um die Bereiche Klima, Ökologisierung und Digitalisierung.

Den Grünen Pass auf EU-Ebene erachtet Kurz als „fundamental“ und als eine Chance, Grundfreiheiten der EU wie die Reisefreiheit schneller wiederherzustellen und auch in Österreich wieder ein „normales Leben“ zu ermöglichen. Es gehe nicht darum, einen Pass nur für Geimpfte einzuführen, sondern für Geimpfte, Genesene und Getestete, um ein Maximum an „Lebensfreiheiten“ zu gewährleisten. Er hoffe hier auf ein möglichst einheitliches Vorgehen der EU- Mitgliedsstaaten.

Gegenüber NEOS-Abgeordnetem Helmut Brandstätter, der eine „Wahrheit“ in Sachen Impffortschritt einforderte, sagte Kurz, dass Österreich in der EU innerhalb der „besseren Hälfte“ liege. So zu tun, als ob in Österreich nicht geimpft werde und in anderen Ländern schon, sei einfach falsch. Derzeit werden laut Angaben des Kanzlers täglich rund 30.000 Dosen verimpft, ab April sollen es täglich 40.000 sein, ab Mai und Juni wieder mehr. Bis zum Sommer sollen dann Kurz zufolge rund 8 Millionen Impfdosen in Österreich zur Verfügung stehen.

Thema zwischen den Staats- und Regierungschefs wird auch der EU-Binnenmarkt sein. Kurz merkte dazu etwa gegenüber Carmen Jeitler-Cincelli (ÖVP) an, dass die Corona-Pandemie die Schwächen der aktuellen EU-Wettbewerbspolitik aufzeige. Der Standort Europa müsse resilienter und die grüne sowie digitale Transformation vorangetrieben werden. Österreich trete für eine Reform des EU-Wettbewerbs- und Beihilfenrechts bzw. eine faire Besteuerung der digitalen Wirtschaft ein. Eine positive wirtschaftliche Perspektive sieht er ab dem Sommer.

Im Hinblick auf die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei, die Donnerstag und Freitag ebenfalls auf der Agenda stehen werden, spricht sich der Kanzler für eine „konsequente Linie seitens der EU“ aus. Auch wenn es in letzter Zeit zu einer gewissen Entspannung in Hinblick auf Griechenland und Zypern gekommen sei, gebe es mit dem Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt neuen Gesprächsbedarf. „Das ist kein Schritt, den wir in Europa würdigen oder begrüßen sollten“, so Kurz auf Fragen von Petra Steger (FPÖ) und Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne). Seine Haltung, nämlich die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abzubrechen, hätte sich jedenfalls verfestigt.

Geht es um die Beziehungen mit den USA und Russland, erklärte der Bundeskanzler, dass er als überzeugter Demokrat für starke transatlantische Beziehungen mit den USA eintrete. Das stehe aber nicht im Gegensatz zu guten Gesprächsbeziehungen mit Russland, die er trotz unterschiedlicher Systeme stets suchen werde.

Opposition: Kurz will von eigenem Impfstoff-Versagen ablenken

Das Vorgehen des Kanzlers in Zusammenhang mit der Impfstoffverteilung in der EU sowie der Impfstoffbeschaffung für Österreich wurde von allen Oppositionsfraktionen scharf kritisiert. SPÖ, FPÖ und NEOS sind sich darin einig, dass Kurz nur vom „eigenen Versagen“ in der Impfstoffbeschaffung ablenken will oder von „Korruptionsfällen in der eigenen Partei“, wie etwa Petra Steger (FPÖ) mutmaßte.

„Wir haben einfach zu wenig Impfstoff“, machte SPÖ-Abgeordneter Jörg Leichtfried (SPÖ) geltend. Es gebe in Österreich derzeit unzählige Menschen, die sich impfen lassen wollen, die Impfungen würden aber nicht zur Verfügung stehen. Kurz würde jede Woche einen anderen Schuldigen suchen, einmal sei es die Kommission, einmal ein Beamter, so Leichtfried. Die Schuld und die Fehler würden aber eindeutig bei der Bundesregierung selbst liegen. Nach Meinung Leichtfrieds ist der erste Fehler bei der Impfstoff-Budgetgrenze von 200 Mio. € passiert, was dazu geführt habe, dass Österreich weniger Impfdosen bestellt habe, als laut Einwohnerzahl möglich gewesen wäre. Der zweite Fehler würde darin bestehen, dass im Jänner vonseiten Österreichs keine Nachbestellungen vorgenommen worden seien, obwohl der Gesundheitsminister den Ministerrat darüber informiert habe. Die „merkwürdigen Auftritte“ des Kanzlers in letzter Zeit hätten dazu geführt, dass der Ruf Österreichs in der EU nicht mehr der beste sei. „Es ist die volle Verantwortung der Bundesregierung, dass die Menschen in Österreich zu wenig Impfstoffe haben“, so Leichtfried. Der Grüne Pass sei vor diesem Hintergrund eine „Frotzelei“ für jene Menschen, die sich impfen lassen wollen, aber keinen Zugang zur Impfung haben.

„Wir haben es Ihnen persönlich zu verdanken, dass wir in Österreich so schlecht dastehen“, schloss sich FPÖ-Abgeordnete Dagmar Belakowitsch (FPÖ) der SPÖ-Kritik an. Anstatt auf EU-Ebene zu fragen, ob es tatsächlich zu einer ungleichen Verteilung gekommen sei, mache sich der Kanzler wichtig und halte große Pressekonferenzen. Wenn der Finanzminister für Corona-Impfungen nur 200 Mio. € freigibt, was unter dem PR-Budget der Bundesregierung liege, könnten auch nicht mehr Impfdosen eingekauft werden, führte Belakowitsch aus. Es hätte einfach zusätzlich Geld gebraucht, um alle oder zusätzliche Dosen zu bestellen, die für Österreich zur Verfügung gestanden wären. „Da haben Sie zu knausern begonnen“, kritisierte die FPÖ-Abgeordnete.

Man dürfe sich nicht wundern, wenn vonseiten mancher EU-Institutionen oder Mitgliedsstaaten auf Österreich mit Verwunderung reagiert werde, sagte dazu Europaabgeordnete Claudia Gamon (NEOS). Aus ihrer Sicht „tut sich ein Muster auf, dass man für eigene Verfehlungen die Schuld bei anderen sucht“. Es habe auf EU-Ebene einen transparenten Impfstoffbestellungsprozess gegeben, in dem alle Mitgliedsstaaten involviert gewesen seien. Die Kommission habe Kontingente offengelegt, aus denen die Mitgliedsstaaten ausschöpfen konnten. „Österreich hat sich ein bisschen weniger als andere aber doch verspekuliert bei diesen Bestellungen“, so Gamon. Nicht alle Kontingente seien bei allen Firmen ausgeschöpft worden. Es habe im Jänner auch die Möglichkeit gegeben, nicht ausgeschöpfte Kontingente nachzubestellen, auch das sei vonseiten Österreichs nicht passiert. „Die EU ist sicher nicht schuld daran, das liegt schon in der eigenen Verantwortung“, so Gamon.

Vonseiten der ÖVP-Abgeordneten wurde das Vorgehen des Kanzlers auf EU-Ebene hingegen mehr als gutgeheißen. Reinhold Lopatka bedankte sich bei Kurz dafür, dass er „diese Fehlentwicklung“ aufgezeigt habe. Die EU könne nämlich nur funktionieren, wenn Solidarität und Bereitschaft zum Kompromiss beachtet würden. Wenn ein Beamtengremium – wahrscheinlich gut gemeint – vom Weg abweicht, sei das nicht solidarisch, so Lopatka. Sein Fraktionskollege Martin Engelberg (ÖVP) meinte „als glühender EU-Anhänger“, dass man offen darüber reden müsse, wenn in der EU etwas schief laufe. Die Union habe beispielsweise viele Wochen bei den Impfstoff-Zulassungen verloren. Auch deswegen seien Großbritannien und Israel nun weiter vorne.

Aus europäischer Perspektive sei hinsichtlich der Gesamtdramatik die Verschiebung von einigen Impfdosen das geringste Problem, das Europa haben werde, bemühte sich Grünen-Abgeordneter Michel Reimon um Kalmierung in der Impfstoff-Debatte. Es habe seitens der Mitgliedsstaaten eine Bestellung zu einem Planungszustand gegeben, der nach ein paar Monaten später nicht gehalten habe, weil Firmen nicht liefern konnten, zeichnete Reimon nach. Im Jänner sei dann auf EU-Ebene nicht nachjustiert worden. Man müsse aber die Kirche im Dorf lassen und nicht gleich die nächste große EU-Krise herbeireden, so der Abgeordnete der Grünen. Aus gesamteuropäischer Sicht sei es richtig, sich für eine Verteilungsgerechtigkeit einzusetzen. (Schluss) keg

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