TIROLER TAGESZEITUNG, Kommentar: „Die EU, die Grünen und das Kalkül des Kanzlers“, von Michael Sprenger
Innsbruck (OTS) – Kurz ist ein begnadeter politischer Wellenreiter. Und er versteht es immer wieder – in Bedrängnis –, ein Ablenkungsmanöver zu versuchen.
Es war ein unerwarteter Angriff. Und zwar auf die EU-Kommission. Sebastian Kurz hat zwar keine Beweise, aber Hinweise, wie er sagt. Und diese lassen bei ihm den Eindruck wachsen, dass es in Brüssel bei der Verteilung des Impfstoffes wie auf einem Basar zugehe. Die Kommission kontert, stellte klar. Doch Kurz hat ein neues Thema gesetzt. Zudem weiß er, dass das schleppende Tempo bei den Impfungen bei der Bevölkerung längst für Unmut sorgt. Sollte der Kanzler, der immer wieder erklärt hat, das Land bislang viel besser als andere durch die Pandemie gebracht zu haben, doch nicht der geniale Krisenmanager sein? Nein, die anderen sind schuld. Jetzt eben die EU. Dass Brüssel im Umgang mit der Krise nicht immer gut agierte, kommt ihm zupass.
Doch damit nicht genug. Er schiebt zugleich den Ball ins grüne Gesundheitsministerium weiter. Ob zeitlich passend oder nicht, Gesundheitsminister Rudolf Anschober befindet sich gerade im Krankenstand. Also rückte dessen Generalsekretärin Ines Stilling aus, um die Aussagen des Kanzlers zurechtzurücken. Kaum hatte die frühere (SPÖ-nahe) Ministerin in der Übergangsregierung Bierlein dies gesagt, forderte die ÖVP ihre Abberufung. Und mit ihr soll auch der Corona-Sonderbeauftragte im Gesundheitsministerium, Clemens Martin Auer, das Handtuch werfen. Auer sitzt für die Republik in der Impfstoff-Kommission in Brüssel. Und er ist ein ÖVPler. Das ist Kurz egal. Es geht ihm darum, einer zuletzt aufmüpfigen Koalitionspartnerin einen Schlag zu versetzen – und zu erklären: Er ist nicht schuld, er ist der Chef.
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