Keine Bildung, wenig Gesundheit – und umgekehrt?
Wien (OTS) – „Bildung und Gesundheit sind wie Zahnräder, die ineinandergreifen. Mit der Leistbarkeit von Bildung wäre auch die Möglichkeit vergesellschaftet, gesundheitsbezogene Informationen in die eigene Lebensführung zu integrieren und – im Sinne einer gelebten Gesundheitskompetenz – damit ein gesünderes Leben zu führen, als man es ohne diese Informationen würde“, so Prim. Dr. Michael Huemer in seiner Zusammenfassung der Thesen, die im Rahmen des Future Forums ausgearbeitet wurden.
Fast jeder Person steht heute eine Fülle analoger und digitaler, medizinisch relevanter Informationen zur Verfügung, angesichts deren unüberschaubarer Menge man sich leicht einmal verunsichert und überfordert fühlen kann. Eine Hilfestellung durch professionelle Leistungserbringer im Gesundheitssystem stellt sich notwendiger denn je dar.
„Die künstliche Intelligenz kann hier durchaus eine Unterstützung bieten, aber es wird das persönliche Gespräch zwischen Arzt und Patienten beziehungsweise einer um seine Gesundheitskompetenz bemühten Person bis auf weiteres unabdingbar bleiben und sollte nicht einfach als nebenbei zu erbringende Selbstverständlichkeit der ärztlichen Tätigkeit angesehen werden, die keinen Anspruch auf Honorierung hätte“, so Prof. Eduard Auff.
Im Versorgungsalltag können Ärzte, durch die Verbesserung des untereinander stattfindenden Informationsflusses, noch einiges dazu beitragen, die Prozesse patientenfreundlicher zu gestalten. Dies betrifft den Bereich der extra- und intramuralen Versorgung, die jeweils einen hohen Leistungsstandard aufweisen. In der Lehre tätige Ärzte sind dazu angehalten, angesichts unbestrittener persönlicher Autorität die Fülle digital verfügbarer Informationen für lernende Mediziner menschlich und individuell verständlich vermitteln. Dabei müssen diese nach deren Relevanz gewichtet werden, anstatt sie in emotionsloser künstlicher Intelligenz einzufrieren. In der Kinderbetreuung kann man diese Informationen altersentsprechend aufbereiten und damit helfen, dass der Weg für eine künftige Gesundheitskompetenz im Erwachsenenalter eingeschlagen werden kann.
„Es kommt aber nicht allein darauf an, dass es gesundheitsrelevante Informationen überhaupt gibt, dass man sie sich leisten und auch zugänglich machen kann, und diese mit Glück auch verständlich und für den allgemeinen Gebrauch aufbereitet sind. Es kommt darauf an, ob man darin Handlungsoptionen erkennen kann um diese sinnvoll für sich zu nutzen – was im Klartext nichts anderes heißt, als den inneren Schweinehund mit dem Streben nach einer gesunden Lebensweise einerseits im Eigeninteresse, andererseits aber auch im Sinne des Solidargedankens zu überwinden“, so Univ.-Prof. Dr. Ingrid Pabinger-Fasching.
Die Frage, ob der Einzelne dem Solidargedanken insoweit verpflichtet werden kann, dass er sich im Allgemeininteresse gesundheitskompetentes Verhalten zu eigen zu machen habe, kann derzeit nicht schlüssig beantwortet werden. „ Wir sehen zum Beispiel sich selbstschädigendes Verhalten durch Konsum legaler wie auch illegaler Substanzen nicht nur bei bildungsfernen, sondern durchaus auch bei intellektuell anspruchsvollen und wirtschaftlich leistungsfähigen Personen, von denen manche auch ihren Beitrag zum Wohl und zum kulturellen Erbe der Menschheit leisten mögen. Es stellt sich dann die Frage, was schwerer wiegt: der geleistete Beitrag, oder der Anspruch, die ruinierte Gesundheit auf Kosten der Solidargemeinschaft reparieren zu lassen“, so Dr. Barbara Kolm. Univ.-Prof. Mag. Dr. Dr. Winfried Löffler führte dazu aus: „…dass das Solidarprinzip in der Finanzierung der Medizinsysteme eine eminente zivilisatorische Errrungenschaft ist, die man nicht auf Spiel setzen sollte, dass dem aber auch ein solidarischer Stil in der individuellen Nutzung dieser Systeme entsprechen sollte – angefangen bei einem gesunden Lebens- und Ernährungsstil.“
Generell wird die Gesundheit in Konsumgesellschaften als ein quasi selbstverständlich zustehender Anspruch wahrgenommen. Dieser hat krisensicher zu sein, auch wenn die Bereitschaft, Eigenverantwortung dafür zu übernehmen und sich eventuell auch eine gewisse Selbstkontrolle aufzuerlegen, gering ist.
„Gerade der Vergleich mit den Erfahrungen von „Ärzte ohne Grenzen“, deren Einsätze zu über 50% in Krisengebieten stattfinden, zeigt, wie relativ eng in intellektuell anspruchsvollen und <a>konsumverwöhnten </a>Gesellschaften der Begriff einer Krise aufgefasst wird“, so Margaretha Maleh (Präsidentin Ärzte ohne Grenzen Österreich).
Bereits kleine Unzuträglichkeiten des Alltags (wie ein Internet-Debakel) können schon als desaströse Belastungen wahrgenommen werden, die die Resilienz des Einzelnen auf eine harte Probe stellen und manchmal fachärztlich-psychiatrische, institutionalisierte Interventionen erfordern. Im Gegensatz dazu kann die Aufklärung von einfachen gesundheitlichen Belangen in Entwicklungsländern im Freien unter dem nächsten Mangobaum improvisiert stattfinden. Krisen lassen sich vor dem Hintergrund eines einmal etablierten Anspruchsdenkens sehr leicht herbeireden und argumentieren. Die Forderung nach der alles wiedergutmachenden Therapie ist aber womöglich überzogen und es genügte oft nur ein einfacher Perspektivenwechsel, um das vermeintliche Problem zu relativieren.
„Was man von anders strukturierten gesellschaftlichen Existenzformen lernen könnte wäre, dass es auch einfacher geht. Als Beispiel ist anzuführen, dass sich das früher nach Katastropheneinsätzen vehement eingeforderte Debriefing für beteiligte Hilfskräfte zur Prävention einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht bewährt, sondern eher als kontraproduktiv erwiesen hat, und scheint es wesentlich sinnvoller zu sein, mit den jeweiligen Peers einfach auf ein Bier gehen“, so Prof. Josef Marksteiner.
„Zusammenfassend erscheint es uns – in Anlehnung an die Worte von Margaretha Maleh – vor allem wichtig, sich dem Wind des Wandels zu exponieren und ihn die Windmühlen der geistigen Durchlüftung betreiben zu lassen, statt dagegen zu mauern. Dieses Bild mag dem Einzelnen helfen, sich aus in unrealistischen Ansprüchen verhafteten Lebenskonzepten zu lösen und schließlich eine ganz persönliche Gesundheitskompetenz freizuschalten, die ihm ein lebenswerteres Leben ermöglicht“, so Priv.-Doz. Dr. Jörg Kraus abschließend.
Das Future Forum wurde von der Arbeitsgemeinschaft Neurologie Innergebirg.
Im Rahmen des diesjährigen Future Forums diskutierte ein Expertenteam rund um Priv.-Doz. Dr. Jörg Kraus über den Zusammenhang zwischen Bildung und Gesundheit. Das Expertenteam besteht unter anderem aus Anton Luchner, Univ.-Prof. Dr. Thomas Berger, Dr. Barbara Kolm, Univ.-Prof. Dr. Ingrid Pabinger-Fasching, em. Univ.-Prof. Dr. Eduard Auff, LR Mag. Andrea Klambauer, Margaretha Maleh, Prim. Univ.-Prof. Dr. Josef Marksteiner, ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Dr. Winfried Löffler, Prim. Dr. Michael Huemer, Prim. Univ.-Prof. Dr. Jörg R. Weber, Prim. Univ.-Prof. Dr. Johann Sellner und Dr. Leif Moll.
Als Unterstützer des Future Forum 2020 traten die Firmen Swedish Orphan Biovitrum GmbH und Merck GmbH auf.
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