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Katholische Kirche Anno Domini 2020

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Wien (KAP) – Corona und noch kein Ende. Dieses Fazit zu 2020 gilt nicht nur für Österreich und alle Länder rund um den Globus, sondern auch für die Kirche hierzulande und weltweit. Vor dem Sars2-Cov-Virus sind alle gleich, lautet die schlichte Erkenntnis des Jahres. Ob mächtigster Politiker oder Oberhaupt der größten Glaubensgemeinschaft, der US-Präsident und der katholische Papst mussten sich so wie jeder Mensch der ersten Pandemie seit der Spanischen Grippe vor mehr als 100 Jahren stellen und folgenschwere Entscheidungen für sich und andere treffen. Und derer gab und gibt es zuhauf, auch für die katholische Kirche in Österreich.

Rückblende an den Beginn der Corona-Krise: Es ist der 12. März und die Spitzen der Kirchen und Religionen werden überraschend in das Bundeskanzleramt bestellt. Nach einer Aussprache mit den Spitzen der Regierung erfolgt schon einen Tag vor der Bekanntgabe des allgemeinen Lockdowns ab 16. März die Entscheidung erstveröffentlicht in der Kathpress: „Aufgrund der Situation wurde gemeinsam vereinbart, dass öffentliche Gottesdienste und Versammlungen ab Montag weitestgehend ausgesetzt und kirchliche Familienfeiern wie Taufen und Hochzeiten verschoben werden.“ Zwei Dinge hatte Kardinal Christoph Schönborn bei diesem Treffen klargestellt: Die Kirchen müssen im Lockdown geöffnet bleiben für das persönliche Gebet. Und die Feier der Gottesdienste muss – in welcher Form auch immer – weiter möglich bleiben.

Systemrelevanz

Ist die Kirche systemrelevant? Diese mehr innerkirchlich geführte Debatte erübrigt sich schon aufgrund des geschilderten Vorgangs. Wenn die Regierung noch vor der Bekanntgabe der massivsten Einschränkung des persönlichen und öffentlichen Lebens seit Ende des Zweiten Weltkriegs das Einvernehmen und das Mitziehen aller Kirchen und Religionen sucht, dann ist damit auch deren Autorität, Vorbildwirkung und wenn man so will „Systemrelevanz“ unausgesprochen bestätigt. Und die Kirchen machten in dieser Situation auch deutlich, dass christliche Nächstenliebe jetzt ganz konkret den Schutz für sich und andere meint.

Ein zweiter Punkt ist im internationalen Vergleich höchst bemerkenswert: Anders als in den allermeisten anderen Staaten, wurden in Österreich den Kirchen und Religionen nicht einfach per Gesetz Corona-Maßnahmen verordnet, sondern diese mit ihnen vereinbart. Auch das ist ein klares Indiz für Systemrelevanz und Ausdruck des kooperativen Verhältnisses zwischen Staat, Kirchen und Religionen. Diese Vorgangsweise hat die Kirche vor gravierenden Eingriffen in die inneren Angelegenheiten und in das Recht der Gläubigen auf Religionsfreiheit bewahrt, aber gleichzeitig die religiösen Institutionen in die Pflicht genommen, Corona-Schutzmaßnahmen für den eigenen Bereich zu entwickeln und umzusetzen. Bis jetzt hat sich diese Vorgangsweise als Win-win-Situation für alle Beteiligten bewährt.

Epochale Einschränkungen

Und dennoch: Die Einschnitte für das Glaubensleben waren epochal. Noch nie seit Christen die Katakomben verlassen haben, mussten sie auf öffentliche Gottesdienste und die Feier ihres höchsten Glaubensfests verzichten: Ostern hinter verschlossenen Türen als Gottesdienst von fünf Personen stellvertretend für die ganze Gemeinde, die tausendfach via Livestream und anderer Medien mitfeiern konnten. Wer hätte sich das noch wenige Wochen davor gedacht? Und wer hätte vermutet, dass die Frage „Wie können wir Ostern feiern?“ plötzlich zu einer Kernfrage der breiten Öffentlichkeit wird? Rückblickend waren es die ersten Ostern seit Langem, bei denen es für viele nicht um den Osterhasen oder den Osterreiseverkehr ging, sondern um den Kern des christlichen Glaubens.

Corona war und ist der Ernstfall für das Verhältnis von Glaube und Vernunft. Die Krise hat der Kirche und den Gläubigen viel gelehrt:
Nichts ist selbstverständlich, nicht einmal die real gelebte Gemeinschaft, die neben Liturgie, Caritas und Verkündigung ein Grundvollzug von Kirche ist und die erstgenannten zur Voraussetzung hat. Wie den Einsamen nahe sein, ohne sie besuchen zu können, wie Bedürftigen die Hand reichen, ohne sie zu berühren? Erster Ratlosigkeit folgte bald viel Engagement und Kreativität: Von der klassischen Telefonseelsorge bis zum Plaudernetz der Caritas, von der oft vergessenen Nachbarschaftshilfe bis zum innerkirchlichen Digitalisierungsschub – vieles entstand durch Corona und wird auch nach Corona im kirchlichen Leben nicht mehr wegzudenken sein.

Apropos denken: Vordenken auf die Zeit nach Corona, das taten auch die katholischen Bischöfe. In ihrem Pfingsthirtenbrief plädierte die Bischofskonferenz – in diesem Punkt zählte der heimische Episkopat im internationalen Vergleich zur Avantgarde – für eine „geistvoll erneuerte Normalität“ in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, ohne Themen wie die Aufnahme von Flüchtlingen an Europas Grenzen oder die Klimakrise auszusparen. Ähnliches tat etwas später Papst Franziskus mit der Enzyklika „Fratelli tutti“. Freilich, der Papst war gerade für die österreichische Kirche das auch ausgesprochene Vorbild im Umgang mit der Pandemie.

Papst als Vorbild

Ohne Untertreibung darf gesagt werden: Das Vorbild des Papstes hat sicher unzählige Menschenleben weltweit gerettet. Der Papst alleine betend und segnend auf dem Petersplatz, die bewusste Zurücknahme seiner Person und der öffentlich zur Schau gestellte Verzicht auf reale Gemeinschaft und Nähe waren eine lebensrettende Botschaft. „Gebet und stiller Dienst“, so der Papst wörtlich, sei jetzt gefordert von gläubigen Christen. Dass dieses Verhalten nicht jenem Bild entspricht, das diverse Kreise von einem Pontifex haben, zählt zu den wenig überraschenden Schattenseiten innerkirchlicher Niederungen.

Dabei gab es in der Fastenzeit 2020 Bilder, die über dieses Pontifikat hinaus Bestand haben werden: Franziskus, auf der menschenleeren Via del Corso, um vor einem alten Pestkreuz in der Kirche San Marcello zu beten; der Papst, wie er an einem regennassen Abend auf dem Petersplatz das Allerheiligste erhebt, um für die Stadt und den Erdkreis Schutz und Trost in der Pandemie zu erflehen.

2020 war das erste Jahr seit 1979, in dem ein Papst keine Auslandsreise unternahm. Franziskus nützte es, um sich mit den tieferen Fragen und Konsequenzen der Pandemie auseinanderzusetzen. Davon zeugen die im Herbst veröffentlichte Sozialenzyklika „Fratelli tutti“ und das Anfang Dezember auch auf Deutsch erschienene Buch „Wage zu träumen!“. Globale Geschwisterlichkeit und Solidarität sind dabei Schlüsselbegriffe für eine Weltgemeinschaft, die angesichts globaler Krisen auch globale Lösungen finden sollte und dabei gleichzeitig vom Rückzug auf Eigeninteressen in Versuchung geführt wird. Mit dem nachsynodalen Schreiben „Querida Amazonia“ („Geliebtes Amazonien“) rückte Franziskus im Februar erneut diese Region und eine drohende ökologische Katastrophe in den Fokus der Weltöffentlichkeit.

Rückschläge und Reform

Ansonsten war Papst Franziskus in diesem Jahr einmal mehr gefordert, das umzusetzen, wozu ihn die Kardinäle 2013 auch gewählt hatten:
Langsam aber doch nimmt die Kurienreform Gestalt an, jeder Rückschlag etwa in Form von Personal- und Finanzkrisen kann dabei einen Spielraum eröffnen, um tief sitzende Haltungen und jahrzehntelange Besitzstände zu ändern. So verfügte der Papst zuletzt überraschend klar, dass das vatikanische Staatssekretariat die Hoheit über seine beträchtlichen Vermögenswerte abgeben muss. Das Anlagemanagement wird jetzt zentral von der päpstlichen Vermögensverwaltung Apsa erledigt.

Der Papst war 2020 zurückgezogen, aber nicht untätig. Angesichts des oft fragwürdigen und schon skurril anmutenden Handelns anderer Staatenlenker etablierte sich Franziskus in der Pandemie zur moralischen Stimme der Welt. Gebremst in vielen Aktivitäten entwarf er Visionen, die über die Krise hinaus Bestand haben. Dass im kommenden März der Irak das Ziel der ersten Auslandsreise des Papstes seit Beginn der Pandemie sein wird, zeugt auch davon.

Sterbehilfe und Ethik

Zurück nach Österreich: Die Corona-Krise war bisher vom festen Willen der Mächtigen gezeichnet, besonders vulnerable Gruppe wie Alte und Kranke zu schützen. Diese von der Kirche unterstützte Haltung, bei der dem Schutz des Lebens der Vorrang gegenüber möglichen wirtschaftlichen Nachteilen gegeben wird, hat in der Diskussion um eine Änderung des bislang strengen Verbots der Sterbehilfe bei vielen die Hoffnung genährt, dass die bisherige Rechtslage in Österreich erhalten bleiben kann. Seit dem jüngsten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, mit dem das Verbot zur Beihilfe beim Suizid aufgehoben wurde, ist dem nicht mehr so. Das nächste Jahr wird zeigen, ob der Gesetzgeber den von der Kirche und vielen anderen gesellschaftlichen Institutionen befürchteten Dammbruch beim Schutz von Menschen am Lebensende und in Lebenskrisen noch wird abwenden können.

Dass dabei nicht nur das Recht, sondern vor allem die Ethik des einzelnen sowie das Ethos von Ärzten und der Gesellschaft gefordert sind, versteht sich von selbst. Da kommt es gerade recht, dass der Schulversuch Ethik nach über 20 Jahren im kommenden Jahr zu einem Pflichtfach für alle in der Oberstufe wird, die keinen Religionsunterricht besuchen. Das Gesetz dafür wurde mit einer türkis-grün-blauen Mehrheit im Dezember endgültig beschlossen und von den Kirchen und Religionen begrüßt.

Episkopale Personalia

Lange Zeit hatte sich auch Kardinal Christoph Schönborn als Schulbischof und als Vorsitzender der Bischofskonferenz für den Ethikunterricht eingesetzt. Mit der Nennung eines Bischofs sollen zum Schluss auch wichtige Personalia in der heimischen Kirche zur Sprache kommen: Zuallererst sticht dabei die Bischofsweihe des vormaligen Kärntner Caritasdirektors Josef Marketz zum neuen Bischof der Diözese Gurk am 2. Februar ins Auge. Der Amtsantritt des Kärntner Slowenen hat zu einer deutlichen Entspannung der kirchlichen Lage im Land der heiligen Hemma geführt.

Erholt hat sich glücklicherweise auch der Wiener Erzbischof von seiner Krebserkrankung und einem lebensbedrohlichen Lungeninfarkt im letzten Jahr. Das Erreichen seines 75ers war für Kardinal Schönborn Grund genug, das Amt des Vorsitzenden der Bischofskonferenz nach 22 Jahren abzugeben. Zum Nachfolger wurde im Juni in Mariazell sein bisheriger Stellvertreter gewählt, der Salzburger Erzbischof Franz Lackner.

Wie sehr der Kardinal in der Krise verlässlichen Halt geben kann, zeigte sich auch am Tag nach dem Anschlag am Allerseelenabend in der Wiener Innenstadt: Die Gebetsfeier für die Opfer der Bluttat im Stephansdom mit den Spitzen der christlichen Kirchen, des Islam und des Judentums sowie von Staat, Regierung und Stadt, war mehr als nur ein Zeichen des Zusammenhalts angesichts des Terrors. Es waren heilende Worte und Bilder für verwundete Seelen und der Beweis für das Miteinander der Kirchen und Religionen.

Kardinal Schönborn ist auch nach Erreichen der kanonischen Altersgrenze weiter als Wiener Erzbischof mit vollen Befugnissen im Amt, „donec aliter provideatur“, wie vom Papst verfügt, was so viel bedeutet wie „bis auf weiteres“, oder umgangssprachlich: „schau ma mal“. Dieses Diktum gilt nicht nur für die wichtigste Personalentscheidung des Papstes in Österreich, sondern auch für das ganze Land im Blick auf 2021 und Corona.

((ende)) PWU/GUT
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