Israelitische Kultusgemeinde trauert um Ruth Klüger
Wien (OTS) – DER KAMIN
Täglich hinter den Baracken/Seh ich Rauch und Feuer stehn/Jude, beuge deinen Nacken/Keiner hier kann dem entgehn./Siehst du in dem Rauche nicht/Ein verzerrtes Angesicht?/Ruft es nicht voll Spott und Hohn:/Fünf Millionen berg‘ ich schon!/Auschwitz liegt in meiner Hand,/Alles, alles wird verbrannt./Täglich hinterm Stacheldraht/Steigt die Sonne purpurn auf,/Doch ihr Licht wirkt öd und fad,/Bricht die andre Flamme auf./Denn das warme Lebenslicht/Gilt in Auschwitz längst schon nicht./Blick zur roten Flamme hin:/Einzig wahr ist der Kamin./Auschwitz liegt in seiner Hand,/Alles, alles wird verbrannt./Mancher lebte einst voll Grauen/Vor der drohenden Gefahr./Heut‘ kann er gelassen schauen,/Bietet ruh’g sein Leben dar./Jeder ist zermürbt von Leiden,/Keine Schönheit, keine Freuden,/Leben, Sonne, sie sind hin,/Und es lodert der Kamin./Auschwitz liegt in seiner Hand,/Alles, alles wird verbrannt./Hört ihr Ächzen nicht und Stöhnen,/Wie von einem, der verschied?/Und dazwischen bittres Höhnen,/Des Kamines schaurig Lied:/Keiner ist mir noch entronnen,/Keinen, keine werd ich schonen./Und die mich gebaut als Grab/Schling ich selbst zuletzt hinab./Auschwitz liegt in meiner Hand,/Alles, alles wird verbrannt.
Das Gedicht stammt aus dem Jahr 1944 und Ruth Klüger war damals noch keine 14 Jahre alt, als sie das Gedicht verfasste. Gemeinsam mit ihrer Mutter wurde sie 1942 von den Nazis in das KZ Theresienstadt, danach nach Auschwitz-Birkenau und schließlich nach Christianstadt deportiert. Bereits mit 12 Jahren entdeckte sie die Lyrik für sich und fand so einen Weg zu überleben.
Dieses Gedicht trug die Autorin und Sprachwissenschaftlerin Ruth Klüger im Rahmen des Gedenktages gegen Gewalt und Rassismus im Mai 2011 im Parlament vor. Von der einschlägigen Zeitschrift „Die Aula“ wurde sie damals auf verabscheuungswürdige Weise verhöhnt und der Lüge bezichtigt. Bezeichnend für die unsentimentale und auch unnachgiebige Haltung von Ruth Klüger war ihre Reaktion, als die Israelitische Kultusgemeinde eine Anzeige wegen Wiederbetätigung einbrachte: „Ich muss sagen, ich finde diese Sache eher vergnüglich:
sie bedeutet doch, dass meine Rede ein Ärgernis war, also Wirkung hatte. Ich hätte keine Anzeige erstattet, bin aber neugierig, wie’s weitergeht. Halten Sie mich auf dem Laufenden?“
Ruth Klüger hatte jahrzehntelang als Wissenschaftlerin publiziert und erst spät ihre Lebensgeschichte aufgeschrieben. Mit ihrer Vorliebe für das Autobiographische und Sachliche hat sie der Welt ein wichtiges literarisches Werk und Zeitzeugnis hinterlassen. „Es erfüllt mich mit Stolz, eine herausragende Persönlichkeit wie Ruth Klüger es war, kennengelernt zu haben. Es ist unsere Pflicht, ihr Andenken zu ehren und ihre Erfahrungen der Nachwelt weiterzugeben“, so der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, Oskar Deutsch.
In dieser schweren Stunde gilt unser Mitgefühl den Angehörigen.
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