Gesundheitsausschuss: „Corona-Ampel-Gesetz“ mit den Stimmen von ÖVP, Grünen und SPÖ angenommen
Wien (PK) – Nach zwei Begutachtungsverfahren, insgesamt über 16.400 Stellungnahmen und einem mehrstündigen Expertenhearing wurde heute im Gesundheitsausschuss die rechtliche Grundlage für das Corona-Ampel-System beschlossen, das bereits seit dem 4. September in Betrieb ist (www.corona-ampel.gv.at). Parallel dazu sahen die Änderungen im Epidemie-, Tuberkulose- und COVID-19-Maßnahmengesetz aber auch die Möglichkeit zur Verordnung von umfassenden Betretungsverboten und Ausgangsbeschränkungen vor, falls dies zur Verhinderung der Weiterverbreitung der Corona-Infektionen erforderlich sein sollte (826/A). Obwohl im zweiten Entwurf des Ressorts noch zahlreiche Anpassungen vorgenommen wurden, stießen einige Punkte bei der Opposition noch immer auf Kritik. Von Seiten der Experten wurde im vorangegangenen Hearing insbesondere betont, dass bei all den Maßnahmen die Prinzipien Transparenz sowie Verhältnismäßigkeit im Vordergrund stehen müssen. Der Antrag wurde schließlich in der Fassung eines gesamtändernden Abänderungsantrags mit den Stimmen von ÖVP, Grünen und SPÖ angenommen.
Niedergelassene ÄrztInnen und Labors sollen kostenlose COVID-19-Tests durchführen können
Der im Laufe der Sitzung eingebrachte Abänderungsantrag enthält eine Reihe von Neuerungen, wie etwa eine Klarstellung der Zuständigkeiten, eine Einschränkung der Kontrollen durch die Behörden auf alle Unterlagen, die mit der Einhaltung des COVID-19-Maßnahmengesetzes in Zusammenhang stehen sowie eine Regelung bezüglich der unverzüglichen Löschung von Daten, wenn diese nicht mehr für das Contact Tracing erforderlich sind. Das COVID-Maßnahmengesetz wird zudem nicht wie ursprünglich vorgesehen bis Ende 2021 verlängert, sondern nur bis 30. Juni 2021. Eine Verlängerung um ein halbes Jahr soll jedoch per Verordnung möglich sein, wenn dies aus epidemiologischer Sicht als notwendig erachtet wird.
Mit ÖVP-Grüne-SPÖ-Mehrheit angenommen wurde zudem noch ein mit der Materie in Zusammenhang stehender Antrag, durch den die Österreichische Gesundheitskasse zur Beschaffung von Schutzausrüstung für bestimmte Berufsgruppen im Gesundheits- und Sozialbereich (ÄrztInnen, ApothekerInnen, Hebammen bis SozialarbeiterInnen) verpflichtet wird, sofern dies nicht eine Gebietskörperschaft übernimmt. Der ÖGK werden dabei die Kosten vom Bund ersetzt.
Außerdem soll es nunmehr möglich sein, dass niedergelassene VertragsärztInnen sowie selbstständige Labore COVID-19-Tests durchführen können. In einer Ausschussfeststellung wird präzisiert, dass die Krankenversicherungsträger dafür einen Pauschaltarif einführen sollen; auch in diesem Fall trägt der Bund die Kosten. Die Mittel dafür stammen aus dem COVID-19-Krisenbewältigungsfonds. Außerdem geht der Ausschuss davon aus, dass nach Maßgabe der Verordnung des Gesundheitsministers PCR-Tests oder geeignete Antigen-Schnelltests verwendet werden sollen. Es sei zudem erforderlich, dass diese Testungen zur Vermeidung von Ansteckungen nur nach Terminvergabe zu gesonderten Ordinationszeiten und klar getrennt von der Erbringung von anderen ärztlichen Leistungen vorgenommen werden. Diese Initiative fand die Zustimmung von ÖVP, Grünen, SPÖ und NEOS.
Koalitionsparteien zeigen sich bis zum Nationalratsplenum weiter gesprächsbereit
Vehemente Kritik an den Vorschlägen übte Dagmar Belakowitsch (FPÖ), die massive Einschnitte in Freiheits- und Menschenrechte ortet. Es sei unverständlich, dass „sinnlose Tests“ durchgeführt würden und dass Menschen, die negativ sind, in Quarantäne müssten – zumal die Ansteckungsgefahr durch Symptomlose vernachlässigbar sei. Auch Masken für Kinder seien weder menschlich noch gesundheitlich nachvollziehbar, so Belakowitsch. Darüber hinaus bleibe ein schaler Beigeschmack bei einem „Durchpeitschen“ der Vorlagen durch das Parlament. Ausschussvorsitzender Gerhard Kaniak (FPÖ) bemängelte vor allem, dass ein 18 Seiten umfassender Abänderungsantrag den Fraktionen und den Experten erst gestern Nachmittag übermittelt worden sei. Er hoffe, dass sich diese Vorgangsweise nicht mehr wiederhole.
Die SPÖ stimme den Vorschlägen heute zu, kündigte Philip Kucher (SPÖ) an, zumal durch die Begutachtung eine Reihe von Verbesserungen eingeflossen seien. Allerdings sollten aus seiner Sicht noch die nächsten zwei Tage bis zum Plenum für Gespräche genutzt werden, etwa, was Transparenz und Nachvollziehbarkeit betreffe. Darüber hinaus plädierte Kucher für eine Gesamt-Teststrategie der Regierung im Gegensatz zu einzelnen Strategien, wie er das etwa im Bereich Tourismus ortete. Verena Nussbaum (SPÖ) sprach sich außerdem dafür aus, den gesonderten Antrag und die Ausschussfeststellung in das Gesetz zu übernehmen.
COVID-19 sei eine ernste Erkrankung, aber mittlerweile ein gut zu bewältigendes Risiko, urteilte NEOS-Abgeordneter Gerald Loacker, der für eine Abkehr vom „Alarmmodus“ und der Verbreitung von Angst plädierte. Seiner Meinung nach würden die Kollateralschäden, wie etwa nicht durchgeführte Krebsbehandlungen oder die Vermeidung von Arztbesuchen, völlig ausgeblendet. Außerdem frage er sich, welches „Gegengeschäft“ man der SPÖ für ihre Zustimmung zum Gesetz angeboten habe. Nikolaus Scherak (NEOS) appellierte an den Ausschuss, dieses Thema ernster zu nehmen. Die Geltungsdauer eines Gesetzes per Verordnung ändern zu lassen, bedeute eine Auflösung der Gewaltenteilung und stelle einen „Anschlag auf das Parlament“ dar, zeigte er sich „sprachlos“, dass dem Minister nun noch mehr erlaubt werde als das ursprünglich der Fall gewesen sei. Von einem selbstbewussten Parlament müsse einer solchen Vorgehensweise der Riegel vorgeschoben werden, zumal solche Vorgänge dann plötzlich „normal“ würden, warnte auch Loacker.
Die Vertreter der Koalitionsparteien bekundeten die Bereitschaft, bis zum Plenum am Mittwoch noch einige Anregungen in den Entwurf aufzunehmen. Ralph Schallmeiner (Grüne) entschuldigte sich für die späte Einbringung des Abänderungsantrags, die zum Teil den vielen tausenden Stellungnahmen geschuldet war, die noch gesichtet werden mussten. Vieles konnte im Rahmen der Begutachtungsfrist noch eingebaut werden, wie etwa die Einbindung des Hauptausschusses, was auf einen Vorschlag der NEOS zurückgeht, hob er positiv hervor. Auch sein Fraktionskollege Georg Bürstmayr lobte den intensiven Gesetzwerdungsprozess, in den die Opposition eingebunden worden sei. Bezüglich der vorgesehenen Betretungsverbote und Ausgangsbeschränkungen zog er den Vergleich mit einer „Sprinkleranlage“. Auch sie brauche man nur dann, wenn es wirklich regnet. Das Hearing habe seiner Meinung nach gezeigt, dass der Antrag solide und verfassungskonform sei. Die letzte offene Frage stelle sich für ihn nur noch im Hinblick auf die Verlängerungsmöglichkeit des Gesetzes per Verordnung. Abgeordneter J osef Smolle betonte seitens der ÖVP, man sei mit dem nunmehrigen Gesetzesvorschlag auf einem guten Weg, die Maßnahmen grundrechtskonform zu regeln.
Die Eckpunkte des Corona-Ampel-Systems: Fälle, Cluster, Ressourcen, Tests und regionale Besonderheiten
Da ein kompletter zweiter Lockdown kein zweites Mal angedacht sei, müsse es möglich sein, je nach regionaler Situation differenzierte Maßnahmen zu setzen, heißt es in den Erläuterungen des Antrags, der Änderungen im Epidemie-, im Tuberkulose und im COVID-19-Maßnahmengesetz vornimmt. Um Zuständigkeitskonflikte zu vermeiden, wird nunmehr festgelegt, dass Verordnungen primär vom Gesundheitsminister erlassen werden. Auf Landes- und Bezirksebene können entsprechend der epidemiologischen Lage zusätzliche (verschärfende oder ergänzende) Maßnahmen ergriffen werden.
Im Kontext mit dem Ampel-System ist ein im Gesundheitsministerium angesiedelter Beirat (Corona-Kommission) vorgesehen, der eine beratende Funktion inne hat. Bei der Bewertung der epidemiologischen Situation stehen folgende fünf Kriterien im Fokus: Übertragbarkeit (neue COVID-19-Fälle und Cluster), Clusteranalyse, Ressourcen im Gesundheitswesen, durchgeführte SARS-CoV-2-Tests samt Positivrate sowie regionale Besonderheiten (z.B. Tourismus- und Pendlerströme).
Umfassende Betretungsverbote und Ausgangsregelungen im Gesetz geregelt
Rechtlich abgesichert werden mögliche Betretungsverbote, die in Hinkunft für „bestimmte und öffentliche Orte in ihrer Gesamtheit“ gelten können, soweit dies zur Vermeidung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist. Festgehalten wird am bisherigen Konzept der Betretungsregeln für Betriebsstätten, Arbeitsorte sowie für Verkehrsmittel, die nun explizit im Antrag genannt werden. In der Verordnung kann entsprechend der jeweiligen aktuellen Situation festgelegt werden, in welcher Zahl und zu welcher Zeit oder unter welchen Voraussetzungen und Auflagen diese Orte betreten werden dürfen. Wenn gelindere Maßnahmen nicht ausreichen, kann das Betreten bestimmter Orte gänzlich untersagt werden.
Fünf Gründe für das Verlassen des privaten Wohnbereichs
„Um einen drohenden Zusammenbruch der medizinischen Versorgung zu verhindern“, kann im Rahmen einer Verordnung festgelegt werden, dass das Verlassen des privaten Wohnbereichs nur zu bestimmten Zwecken zulässig ist. Explizit ausgenommen sind Zwecke zur Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben und Eigentum, die Betreuung von unterstützungsbedürftigen Personen sowie Ausübung familiärer Rechte und Erfüllung familiärer Pflichten, die Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens, berufliche Erfordernisse sowie der „Aufenthalt im Freien zur körperlichen und psychischen Erholung“.
Einbindung der Corona-Kommission und des Hauptausschusses
Bei der Erlassung aller Verordnungen hat der zuständige Gesundheitsminister die Corona-Kommission anzuhören, heißt es im COVID-19-Maßnahmengesetz. Überdies muss bei Betretungs- und Ausgangsverboten – also den „eingriffsintensivsten Maßnahmen“ – auch das Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrats gesucht werden, wobei die jeweiligen Verordnungen spätestens vier Wochen (Betretungsverbote) bzw. zehn Tage (Verlassen des privaten Wohnbereichs) außer Kraft treten. Generell wird die Geltung des COVID-19-Maßnahmengesetzes bis 30. Juni 2021 verlängert; durch Verordnung der Bundesregierung kann ein anderer Zeitpunkt des Außerkrafttretens bestimmt werden, wobei dieser nicht nach dem 31. Dezember 2021 liegen darf.
Kontrollen: Möglichkeit der Einsicht in alle Unterlagen durch die Organe der Bezirksverwaltungsbehörde
Die Bezirksverwaltungsbehörden können die Einhaltung von Voraussetzungen oder Auflagen auch durch Überprüfungen vor Ort kontrollieren. Die Organe werden berechtigt, Betriebsstätten, Arbeitsorte, Verkehrsmittel und bestimmte Orte zu betreten und zu besichtigen sowie in alle Unterlagen, die mit der Einhaltung von im Gesetz enthaltenen Voraussetzungen und Auflagen im Zusammenhang stehen, Einsicht zu nehmen.
Teilweise Reduktion der Strafhöhen
Die für das rechtswidrige Betreten von Betriebstätten, Arbeitsorten, Verkehrsmitteln oder eines sonstigen Ortes angedrohte Geldstrafe wird auf 1.450 € reduziert. Wer gegen Auflagen (wie Maske, Abstand, Höchstzahl oder Zeit) verstößt, muss mit einer Geldstrafe bis zu 500 € rechnen. Inhaber von Betriebsstätten, Arbeitsorten, Betreiber von Verkehrsmitteln oder Verantwortliche für einen bestimmten privaten Ort müssen bei Verstößen gegen Betretungsverbote mit Strafen von bis zu 30.000 € rechnen. Sorgen diese nicht dafür, dass Auflagen eingehalten werden, drohen Geldbußen von bis zu 3.600 €. (Schluss) sue/mbu
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