EU-Hauptausschuss spricht sich einstimmig für Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aus
Wien (PK) – Im Vorfeld des bevorstehenden EU-Gipfels in Brüssel hat sich der EU-Hauptausschuss des Nationalrats in einer Stellungnahme an die Regierung einstimmig für einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ausgesprochen. Stattdessen sollte aus Sicht der Parlamentsfraktionen eine strategische Partnerschaft angestrebt werden. Argumentiert wird die bindende österreichische Verhandlungsposition mit den besorgniserregenden Entwicklungen bzw. Menschenrechtsverletzungen und der undemokratischen Vorgehensweise seit dem Amtsantritt von Recep Tayyip Erdogan 2014. Kritisiert wird auch, dass der Türkei für die EU-Heranführungshilfe zwischen 2007 und 2020 Finanzhilfen von mehr als 9 Mrd. € bereitgestellt würden, die keine Wirkung zeigten, zumal in Zeiten des Brexit das EU-Budget nicht „allzu üppig“ ausgestaltet sei, wie FPÖ-Abgeordneter Robert Lugar sagte. Ausgegangen ist die Initiative von den Freiheitlichen.
Außenminister Alexander Schallenberg sagte, dass es unter den EU-Außenministern die klare Linie eines Aussetzens von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gebe, nachdem sich das Land am Bosporus immer weiter von der EU entferne. Das sei zwar kein Abbruch, man habe aber das Einfrieren der Verhandlungen durchgesetzt. Was die Beziehungen zu Russland betrifft, herrsche große Sorge innerhalb der EU in Zusammenhang mit den Plänen Moskaus, die Vergabe russischer Pässe für Ost-UkrainerInnen zu erleichtern. Hinsichtlich einer Verlängerung der Sanktionen gegenüber Russland gebe es demnach Einstimmigkeit auf EU-Ebene.
Die europäischen Staats- und Regierungschefs werden sich in den kommenden zwei Tagen neben dem EU-Personalpaket u.a. auch mit der Strategischen Agenda der Union bis 2024, dem mehrjährigen Finanzrahmen, dem Brexit, dem Klimawandel sowie der östlichen Partnerschaft auseinandersetzen.
Hinsichtlich des Brexit meinte Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein, dass nach dem Rücktritt der britischen Premierministerin Theresa May die weitere Einheit der EU-27 von zentraler Bedeutung sei. Das habe sie so auch mit EU-Chefverhandler Michel Barnier besprochen. Außenminister Schallenberg bekräftigte, dass der Ball nunmehr bei den Briten liege. „Wir warten darauf, was aus London kommt“, so der Minister, das Austrittsabkommen werde nicht wieder geöffnet.
Im Hinblick auf die Verhandlungen zum mehrjährigen Finanzrahmen versicherte Bierlein, dass sich Österreich als verlässlicher Partner und Nettozahler einbringen werde. Laut Außenminister hat Rumänien während seines Vorsitzes eine neue Verhandlungsbox zum Finanzrahmen vorgelegt, die insbesondere von den Interessen der Nettozahler abweiche. Auch aus Österreichs Sicht bewege sich diese Box in die falsche Richtung. Wien fahre weiterhin eine klare Linie und halte an der Obergrenze von 1% des Bruttonationaleinkommens (BNE) fest. Qualität gehe vor Quantität, so Schallenberg, es reiche aus seiner Sicht, wenn es im Dezember zu einer Einigung kommt.
Was die Strategische Agenda der EU bis 2024 betrifft, trage Österreich dieses Programm mit, wie Bierlein betonte. Die Agenda beinhaltet im Wesentlichen den Schutz der BürgerInnen und ihrer Freiheiten, die Entwicklung einer starken und dynamischen wirtschaftlichen Basis, eine klimaneutrale Zukunft sowie die Förderung europäischer Interessen und Werte in der Welt. Wichtig seien der Regierung zudem das Subsidiaritätsprinzip sowie eine EU-Perspektive für die Staaten des Westbalkans.
Geht es nach dem Außenminister, konnten in der EU-Agenda bis 2024 einige „rot-weiß-roten Punkte“ wie der Schutz der BürgerInnen oder die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit untergebracht werden. Wichtig sei darin auch ein klarer Hinweis zur EU-Perspektive für europäische Staaten. Unter den Europaministern habe man sich darauf verständigt, bezüglich des Beginns von Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien spätestens im Oktober eine substanzielle Entscheidung zu treffen.
SPÖ-Abgeordnete Petra Bayr vermisst in der EU-Agenda bis 2024 insbesondere die soziale Dimension, ein gerechtes und starkes Steuersystem sowie Investitionsschwerpunkte für eine soziokulturelle Wirtschaft, um damit auch die Klimakrise zu bekämpfen und Wohlstand zu schaffen.
Im Zusammenhang mit den länderspezifischen Empfehlungen machte ihr Fraktionskollege Kai Jan Krainer darauf aufmerksam, dass neben anderen internationalen Organisationen wie der OECD Österreich nun auch die Kommission empfehle, Steuern auf Arbeit zu senken und jene auf Vermögen zu heben. Bierlein meinte dazu, dass die Empfehlungen der Kommission zur Kenntnis genommen würden, die Übergangsregierung aber keine steuerpolitischen Fragen lösen werde. Diese seien dann von der neuen Regierung zu beantworten.
Angesprochen von Katharina Kucharowits (SPÖ) auf die Bewertung der Kommission des nationalen Klimaplans, sagte Bierlein, dass sich die Regierung die Kritikpunkte in aller Ruhe ansehen werde. Ein endgültiger Plan werde bis Ende 2019 unter öffentlicher Konsultation und Einbindung aller Stakeholder entstehen. Ihr Resümee, wonach Österreich laut Kommissionsbewertung insgesamt gut abschneide, konnte Jetzt-Abgeordneter Bruno Rossmann nicht teilen. Dabei handle es sich um ein unüblich scharfes Dokument der Kommission mit unüblich langen Empfehlungen, so der Abgeordnete.
Nicht durchsetzen konnte sich die Liste JETZT mit einem Antrag auf Stellungnahme, in dem Bundeskanzlerin Bierlein ersucht wird, für die Wahl des Kommissionspräsidenten vorläufig keine Kandidatin bzw. keinen Kandidaten zu unterstützen. (Schluss EU-Hauptausschuss) keg
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