Offener Brief an Vizekanzler Strache: Arbeitsbedingungen im Tourismus verbessern, nicht Mangelberufslisten erweitern! | Brandaktuell - Nachrichten aus allen Bereichen

Offener Brief an Vizekanzler Strache: Arbeitsbedingungen im Tourismus verbessern, nicht Mangelberufslisten erweitern!

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Wien (OTS) – Anlässlich der Überarbeitung der Mangelberufslisten im Tourismus fordert Berend Tusch, Vorsitzender der Fachbereichs Tourismus in der Gewerkschaft vida, Vizekanzler Heinz Christian Strache in einem offenen Brief auf, „alle Maßnahmen, die die Situation im heimischen Tourismus weiter verschärfen, zu unterlassen und endlich an die Konsequenzen für die Beschäftigten in Österreich zu denken“. Wenn wir im Inland und am europäischen Arbeitsmarkt keine Fachkräfte finden, ist es „nur eine Frage der Zeit, bis auch die Fachkräfte aus Drittstaaten, die jetzt in großem Stil angesprochen werden sollen, einen großen Bogen um unseren Arbeitsmarkt im Tourismus machen werden. Wenn sich an den Arbeitsmarktbedingungen nichts ändert, werden wir kein Arbeitsmarkt der Zukunft“, steht für Tusch fest.

Nachfolgend der offene Brief im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Vizekanzler Strache,

wie wir aus den Medien erfahren durften, haben Sie sich mit Ihrem Koalitionspartner auf eine neue Regelung in puncto Mangelberufsliste geeinigt. Nicht nur soll es künftig eine Bundesliste geben, sondern auch noch zusätzlich regionale Betrachtungsweisen. Sie öffnen den Arbeitsmarkt damit nicht nur einmal, sondern gleich zweimal. Speziell für den Bereich Tourismus, dessen Fachbereichsvorsitzender ich in der Gewerkschaft vida bin, möchte ich Ihnen auf diesem Weg unsere Bedenken näherbringen bzw. erläutern.

Noch im Jänner haben Sie in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Profil gesagt, es gehe bei Mangelberufen nur um Spezialisten, die wir in Österreich so nicht haben. Ihr Beispiel war der Sushi-Koch aus Japan. Köche auf Skihütten haben Sie ausgeschlossen, denn laut Ihnen, würde die Wirtschaftskammer wohl einsehen, dass man diesen Bedarf aus dem österreichischen bzw. dem EU-Arbeitsmarkt decken wird können. Offensichtlich hat dies die Wirtschaftskammer nicht eingesehen und Sie haben dem Druck aus der Wirtschaft erneut nachgegeben. Es ist leider auch erneut ein Spiegelbild, was Ihre Aussagen bzw. Zusagen wert sind. Das ist bedauerlich! Wir hoffen dennoch, bis zur Beschlussfassung der neuen Mangelberufsliste in einen konstruktiven Dialog mit der Regierung eintreten zu können. Dieser hat mit uns als ArbeitnehmerInnenvertreter bisher nicht stattgefunden. Die 220.000 Beschäftigten im Tourismus haben sich Gehör verdient!

Generell möchten wir anmerken, dass es uns nicht darum geht, die aktuell herausfordernde Situation der Betriebe und der ArbeitnehmerInnen im Tourismus weiter zu erschweren, sondern vielmehr sind wir an deutlichen Verbesserungen interessiert. Hier hat auch das neue Arbeitszeitgesetz, welches Sie im September überfallsartig in Kraft gesetzt haben, nicht zu einem positiven Trend beigetragen. Im Besonderen möchte ich hier die Möglichkeit der gesetzlichen Verkürzung der Ruhezeit ansprechen, die die Branche weiter unattraktiv macht.

Wie viele Menschen glauben Sie, sehen darin einen Vorteil, wenn sie im Tourismus arbeiten? Da immer mehr Menschen der Branche den Rücken kehren, hat man nach Österreich am EU-Arbeitsmarkt gesucht und weil man dort nicht fündig wird, auf der ganzen Welt. Warum kommen Sie nicht auf die Idee, dass es am Angebot liegen könnte, dass es keine Nachfrage gibt. Statt das Arbeitskräfteangebot für die ArbeitgeberInnen zu erhöhen, ist es an der Zeit, das Arbeitsangebot für die Beschäftigten attraktiver zu machen.

Ein Beispiel: In Tirol, wo der Bedarf besonders hoch ist, bekommen KöchInnen und KellnerInnen mit zweijähriger Berufserfahrung für eine Vollzeitstelle 1.620 Euro brutto. Viele Stellen sind auch nur saisonal ausgeschrieben und beinhalten 6-Tage-Wochen. Eine schlecht bezahlte Stelle in einem anderen Bundesland anzunehmen, ist nicht attraktiv. Auch der 12-Stunden-Tag und die 60-Stunden-Woche dürften zu weiteren Verschärfungen führen: Hoteliers haben BewerberInnen für die Wintersaison bereits Verträge mit der Verpflichtung zur 60-Stunden-Woche ohne entsprechende Überstunden-Zuschläge vorgelegt. Hier gilt es anzusetzen.

Angesichts von über 57.000 Arbeitssuchenden in Österreich für den Bereich Tourismus laut aktuellen AMS-Zahlen, wird eines klar: Wir haben einen Mangel an vernünftigen Arbeitsplätzen. Das Angebot, das den Menschen gemacht wird, passt nicht und geht an ihren Lebensrealitäten vorbei. Nicht unerwähnt bleiben darf hier die Kürzung der AMS-Gelder für die Individualförderung. Auf der einen Seite behaupten Sie, wir haben keine Fachkräfte, auf der anderen streichen Sie Gelder für arbeitssuchende Menschen in Österreich zur individuellen Ausbildung zukünftiger Fachkräfte. Es ist mehr als zynisch, wenn Sie diese Fachkräfte dann aus Drittstaaten in unser Land holen wollen.

Klar ist: Von einer Regionalisierung profitiert letztlich nur die Unternehmer-Seite. Betriebe können in einem noch größeren Pool an verfügbaren Arbeitskräften fischen – so lange, bis sie jemanden finden, der zu billigsten Löhnen arbeitet. Für KöchInnen in Österreich gibt es durch die Regionalisierung nicht mehr Arbeitsplätze. Was sich ändert ist, dass sich die Zahl der KöchInnen erhöht, mit denen sie um die existenten Stellen konkurrieren müssen. Noch im Wahlkampf 2017 haben Sie explizit weniger Zuwanderung aus Osteuropa gefordert, weil das zu Lohndumping führt. Am Ende des Jahres 2018 ist Lohndumping für die FPÖ offenbar kein Problem mehr.

Ich ersuche daher Sie und die Mitglieder der Bundesregierung eindringlich, alle Maßnahmen, die die Situation im heimischen Tourismus weiter verschärfen, zu unterlassen und endlich an die Konsequenzen für die Beschäftigten zu denken. Die österreichische Gewerkschaftsbewegung will ein gutes Leben für alle Menschen in unserem Land. Die Bundesregierung hat bislang ausschließlich in die Taschen der Reichen gearbeitet. Es ist daher längst Zeit, auf jene ArbeitnehmerInnen zu schauen, die wirklich Unterstützung brauchen. Ich fordere Sie daher auf, Ihrer Verantwortung als Vizekanzler nachzukommen.“

Mit freundlichen Grüßen

Berend Tusch
Vorsitzender Fachbereich Tourismus in der Gewerkschaft vida

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