Europäische ParlamentarierInnen warnen vor hartem Brexit
Wien (PK) – Wie geht es nun nach der Einigung zwischen der Europäischen Union und Großbritannien und den dadurch ausgelösten innenpolitischen Turbulenzen in London mit dem Brexit weiter? Mit dieser Frage beschäftigte sich heute die COSAC-Konferenz der Europaausschüsse, die derzeit im Rahmen der parlamentarischen Dimension der österreichischen Ratspräsidentschaft im Austria Center Vienna tagt.
Danuta Hübner, die Vorsitzende des Ausschusses für konstitutionelle Fragen im Europäischen Parlament, warb für das Abkommen, das ihrer Meinung nach Rechtssicherheit für alle gewährleistet, während der Abgeordnete des britischen Unterhauses Sir William Cash schwere demokratiepolitische Bedenken gegen die Einigung anmeldete und meinte, das Vereinigte Königreich habe gute Gründe, die EU zu verlassen. Sein Kollege vom House of Lords, Timothy Boswell of Aynho, warnte hingegen, ein No-Deal wäre das schlimmste Ergebnis für alle Beteiligten. Unter den Abgeordneten überwog in der Debatte das Bedauern über den Austritt Großbritanniens, aber auch der Wunsch nach weiterhin möglichst freundschaftlichen und engen Beziehungen über den Ärmelkanal hinweg.
Hübner: Abkommen ist beste Option für alle
Sie bedaure die Entscheidung Großbritanniens, die Europäische Union zu verlassen, schickte Danuta Hübner voraus und meinte, ein Austritt, der auf einem Abkommen basiert, wäre nun für alle die beste Option. Bei der Einigung vorige Woche seien jedenfalls entscheidende Fortschritte erzielt worden, gelte es doch vor allem, die Störungen für BürgerInnen und Unternehmen zu minimieren und darüber hinaus sicherzustellen, dass es keine harte Grenze zwischen dem Vereinigten Königreich und Irland geben wird.
Die Europäische Union und Großbritannien sollen gute Nachbarn bleiben und möglichst enge Beziehungen aufrechterhalten, damit die zahlreichen gemeinsamen Interessen auch weiterhin gefördert werden können, unterstrich Hübner den Hintergrund der Vereinbarung, die ihrer Überzeugung nach Rechtssicherheit für alle garantiert und damit Basis für eine neue Beziehung zwischen den beiden ehemaligen Partnern in der Zukunft bilden könnte. Klar ist für die Vorsitzende des Ausschusses für konstitutionelle Fragen im Europäischen Parlament allerdings, dass das letzte Wort beim britischen Parlament liegt. Deshalb brauche es auch Notfallmaßnahmen mit dem Ziel, die Folgen eines No-Deals abzumildern, gab sie zu bedenken.
Cash: Einigung für Großbritannien nicht akzeptabel
Das Vereinigte Königreich habe gute Gründe gehabt, die Europäische Union zu verlassen, bekräftigte Sir William Cash und übte heftige Kritik an der Einigung zwischen Brüssel und London. Die Parteien hätten klargemacht, dass dieses Abkommen nie durch das Unterhaus gehen werde, die Zahlen würden nicht für die Regierung reichen. Für Cash zeigen allein schon die vielen Rücktritte aus Mays Kabinett, dass zentrale Punkte der Einigung, wie etwa die Regelung über die Grenze mit Irland oder auch die Übergangsbestimmungen, keine Unterstützung finden.
Als völlig undenkbar für sein Land bezeichnete es der Vertreter des Unterhauses, dass dem britischen Parlament durch die Vereinbarung nun Gesetze von außen aufgezwungen werden. Dies stehe im klaren Widerspruch zu einem entsprechenden Gesetz aus dem Jahr 1972 und verstoße darüber hinaus gegen sämtliche demokratische Grundvorstellungen Großbritanniens, argumentierte Cash, der überdies davon ausgeht, dass es kein zweites Referendum geben werde. Was die zukünftigen Beziehungen zur EU betrifft, meinte er, die beiden ehemaligen Partner werden zwar nicht Geschwister, aber jedenfalls Cousins in Europa bleiben. Das Vereinigte Königreich habe in Europa über die Jahrhunderte hinweg immer für Freiheit und Demokratie gekämpft und werde dies auch weiter tun, fügte er an die Adresse der KollegInnen aus den europäischen Parlamenten an.
Lord Boswell warnt vor No-Deal
Als engagierter Pro-Europäer ersuche er um Verständnis für sein Land, wandte sich Lord Timothy Boswell in seinem Statement an die Abgeordneten. Das Referendum sei der Gipfel einer 40 Jahre dauernden Diskussion gewesen, es verschärfe nun die Spaltungen im Vereinigten Königreich und führe zu einer gefährlichen Destabilisierung, lautete sein Befund. Auch Boswell wandte sich gegen ein zweites Referendum, durch das die Emotionen nur noch weiter hochkochen würden, meinte aber, ohne ein Umdenken könne man einen derart drastischen Schritt wie den Austritt nicht mittragen. Er appellierte an die Geduld Europas, zumal die Entwicklung nur schwer vorauszusehen sei und das Trauma jedenfalls weitergehen werde. Keine Seite in der Debatte sollte aber die Brücken abreißen, steht für ihn fest. Ein No-Deal wäre für alle Beteiligten das schlimmste Ergebnis – nicht nur für Großbritannien, sondern auch für Irland und die BürgerInnen der Europäischen Union.
Was immer die Zukunft nun bereithalte, wir müssen die engen Beziehungen zueinander weiter pflegen, mahnte Lord Boswell. Er sprach von einem gemeinsamen Erbe und gemeinsamen demokratischen Werten und erinnerte, dass hinter der Fassade der Brexit-Diskussion die konkreten Interessen der BürgerInnen liegen.
Abgeordnete gegen Abbruch der Brücken zu Großbritannien
In der anschließenden Diskussion der Abgeordneten herrschte vor allem Bedauern über die Brexit-Entscheidung vor, wobei ein Teilnehmer aus Deutschland feststellte, der beste Brexit wäre kein Brexit. Aus Zypern und aus Tschechien kam der Wunsch, das Vereinigte Königreich sollte trotz des Austritts möglichst enge Beziehungen mit der EU aufrecht erhalten. Die Briten werden auch weiterhin BürgerInnen Europas bleiben, meinte etwa ein italienischer Abgeordneter. Ein Schweizer Mandatar, der als Beobachter an der Konferenz teilnahm, erinnerte, sein Land habe gezeigt, dass eine freundschaftliche Zusammenarbeit mit der EU auch ohne Mitgliedschaft möglich sei. Ein Parlamentarier aus Estland betonte, die Brücken dürften nun nicht abgerissen werden, was auch sein Kollege aus Finnland mit der Hoffnung bekräftigte, dass man auch nach dem Brexit Freunde bleiben werde. Aus Bulgarien, Polen und Portugal kam vor allem das Anliegen, die in Großbritannien lebenden EU-BürgerInnen vor den Auswirkungen des Brexits zu schützen. Ein Vertreter aus Irland wies auf die Bedeutung einer offenen Grenze seines Landes zu Nordirland hin und appellierte an das britische Parlament, das Abkommen zu unterstützen. Solidarität für Irland kam auch aus Frankreich und Deutschland. (Fortsetzung COSAC) hof
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