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Fremdunterbringung von Kindern als letztes Mittel

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Wien (PK) – In der heutigen Parlamentarischen Enquete des Bundesrats „Kinder- und Jugendhilfe quo vadis? Rechte.Chancen.Perspektiven“ wiesen Experten auf Herausforderungen hin, die mit der Übernahme der Kinder- und Jugendhilfekompetenzen durch die Länder entstehen. Nach Artikel 12 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) liegt die Kompetenz zur Grundsatzgesetzgebung in der Kinder- und Jugendhilfe derzeit beim Bund und die Kompetenz, Ausführungsgesetze zu erlassen, bei den Bundesländern. Künftig sollen alle Kompetenzen zu den Ländern wandern. Verteidiger der „Verländerung“ der Materie betonten, die Bundesregierung würde erst dann grünes Licht geben, wenn die Bundesländer eine „15a-Vereinbarung“ miteinander abgeschlossen haben, wodurch einheitliche Standards gewährleistet würden. In der ersten Paneldiskussion zum Thema „Krisenpflege und Pflegefamilien“ berichteten Pflegemütter von ihrem Arbeitsalltag und ihren Erfahrungen. Dabei zeigten sie nicht nur ihre emotionalen Herausforderungen auf, sondern auch bürokratische Hürden und Probleme. Die Pflegemütter orteten Handlungsbedarf zur Verbesserung ihrer Lage.

Alarmierende Personalsituation

Reinhard Klaushofer von der Universität Salzburg sieht die „Verländerung“ dieser Agenden kritisch. Er befürchtet trotz einer „15a-Vereinbarung“ den Verlust von Standards. Es sei schon bisher schwierig gewesen, halbwegs einheitliche Standards aufrechtzuerhalten. Künftig werde das noch schwieriger. Er sprach von einer „alarmierenden Personalsituation“ in der Kinder- und Jugendhilfe; künftig werde sie sich auf Grund finanzieller Umstände verschärfen. Er halte eine Aufstockung des Kinder- und Jugendhilfepersonals für notwendig und fürchtet, die zuständigen Behörden würden das künftig nicht bewerkstelligen können. „Das betrifft vor allem auch die Prävention“, sagte Klaushofer. „Dabei muss man bedenken, dass man sich durch jeden Euro, den man in die Prävention von Problemen investiert, drei bis dreieinhalb Euro bei der Bewältigung dieser Probleme erspart, wenn sie auftreten.“ Auch die Gewährleistung ausreichender Forschung und das Führen einheitlicher Statistiken sieht Klaushofer in Gefahr.

In der sozialpädagogischen Ausbildung sieht Reinhard Klaushofer ebenso „die Felle davonschwimmen“. In der Enquete sprach er von einem „Wildwuchs in der Bildungslandschaft schon jetzt“. Das sei mit Orientierungsschwierigkeiten verbunden. Zudem sei es nötig, österreichweit festzustellen, welchen Bedarf es in der Kinder- und Jugendhilfe gebe. „Das ist jetzt schon ein Problem“, erklärte er. „Künftig wird es noch schwieriger – vor allem bei Sonderbedürfnissen.“ Wenn es hier keine Planung gibt, befürchtet Klaushofer, dass es zu vielen Fehlplatzierungen kommt. Der Experte warnte vor „Drehtüreffekten“, weil Kinder auf Grund spezifischer Bedürfnisse, etwa in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, herumgeschoben werden könnten. Zuständigkeitsstreitigkeiten seien vorprogrammiert. Zusätzliche Schwierigkeiten könnten auf Kinder mit Behinderungen zukommen. Auch die Schaffung einer nationalen Strategie zur Sensibilisierung für Anliegen von Kindern und Jugendlichen werde durch die Wanderung der Gesetzgebungskompetenzen zu den Bundesländern erschwert. Klaushofer sieht auch in der Absicherung der Kinder- und Jugendanwaltschaften ein Problem.

Kinder- und Jugendanwaltschaften als Stimme der Kinder und Jugendlichen

Mit der Einrichtung von Kinder- und Jugendanwaltschaften wurde in Österreich vor 29 Jahren begonnen. Die Basis dafür bildete die UN-Kinderrechtskonvention. Andrea Holz-Dahrenstaedt von der Kinder-und Jugendanwaltschaft Salzburg sieht die Aufgaben ihrer Einrichtung in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen direkt und darin, ihnen als Interessensvertreter eine Stimme zu verleihen. Auch sie befürchtet Einschnitte durch die „Verländerung“ der Kinder- und Jugendhilfekompetenzen. „Wir werden es nur schwer verhindern können, dass ein Fleckerlteppich entsteht“, sagte Holz-Dahrenstaedt. Sie wies darauf hin, dass es bereits jetzt drei Systeme für Kinder gebe: die Kinder- und Jugendhilfe, die Grundversorgung vor allem bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen und die Behindertenhilfe für Kinder mit Behinderungen. Laut Holz-Dahrenstaedt besteht die Gefahr, dass sich diese drei Systeme in dreimal neun Systeme aufsplitten.

Fremdunterbringung nur letztes Mittel

Den Aspekt der Fremdunterbringung von Kindern bzw. der Abnahme der Kinder von ihren Eltern hob Markus Huber von der Volksanwaltschaft hervor. Die Fremdunterbringung sollte als letztes Mittel angewandt werden. Zudem müsse die möglichst baldige Rückführung der Kinder in ihre Familien das Ziel sein. Es gebe nicht nur erhebliche Unterschiede zwischen den Bundesländern, was die Anzahl betrifft, sondern auch in Bezug auf die Gruppengröße bei Kindern in Einrichtungen. In Wien, Kärnten und der Steiermark würde mehr als jedes hundertste Kinder fremduntergebracht werden, in Tirol seien es ein Drittel weniger. In Wien und Salzburg sei die durchschnittliche Gruppengröße acht Kinder, in Kärnten zwölf und im Burgenland sechzehn. Mehr als zehn Kinder in einer Gruppe unterzubringen, widerspreche Erkenntnissen der Sozialpädagogik und zeitgemäßen Standards. Huber betonte, die Kompetenzverteilung sei schon jetzt „nicht geeignet, harmonisierte Standards in den Ländern festzulegen“, die künftige Regelung sei es noch weniger. Er hoffte auf eine Harmonisierung durch die zu treffende „15a-Vereinbarung“.

Rückkehr in Herkunftsfamilie

Bei der Zusammenarbeit mit dem Herkunftssystem habe sich bei der Betreuungsarbeit in den letzten Jahrzehnten viel getan, erklärte Elisabeth Hauser, stellvertretende Geschäftsführerin von SOS Kinderdorf. Während man früher Kinder und Jugendliche möglichst von den „schädlichen“ Einflüssen der Herkunftsfamilie fernzuhalten versucht habe, wisse man heute, dass wichtige Bezugspersonen aktiv in die Betreuung eingebunden werden sollten, um positive Entwicklungsbedingungen zu ermöglichen. Die durch Eltern oder andere nahe Bezugspersonen übermittelten kulturellen Wurzeln seien von zentraler Bedeutung für die Identitätsbildung. Die Betreuung von Kindern und Jugendlichen fuße auf vier Säulen: „Erstens, den Kindern eine tragfähige Beziehung anzubieten, sodass sie Bindung erleben“, erläuterte Hauser. „Zweitens, Professionalität zu wahren, drittens die Kinder und Jugendlichen an Entscheidungen über sie alters- und entwicklungsgemäß zu beteiligen, und viertens, mit ihrem Herkunftssystem zusammenzuarbeiten.“ Das seien ihre Eltern, Geschwister und andere Bezugspersonen, aber auch ihr kulturellen Wurzeln.

Bei den SOS-Kinderdörfern würden 45 Prozent der betreuten Kinder in ihre Ursprungsfamilien zurückkehren. „Das muss angestrebt, aber auch geplant und vorbereitet werden“, betonte Elisabeth Hauser. Dazu sei es nötig, die gesamte Betreuungszeit über mit den betroffenen Eltern in Kontakt zu bleiben, und das erfordere Ressourcen – qualifizierte Fachkräfte. „Vor allem braucht es aber Zeit“, unterstrich Hauser. Da die Verweildauer in den Einrichtungen immer kürzer werde und davon auszugehen sei, dass immer mehr Kinder und Jugendliche zu ihren Herkunftsfamilien zurückkehren, würde diese Form der Betreuungsarbeit aus Sicht der Expertin künftig an Bedeutung gewinnen. Weitere Ressourcenaufwendungen seien also nötig, sagte Hauser.

Pflegeelternmangel und finanzielle Benachteiligung im Burgenland

Als Einleitung zu einer Diskussion zur Krisenpflege und Pflegefamilien waren zwei Pflegemütter eingeladen, um aus ihrer Praxis zu schildern. Silvia Rosner-Böhm vom Pflege- und Adoptivelternverein Burgenland, selbst Mutter eines leiblichen 16-jährigen Burschen und seit zwei Jahren Pflegemutter eines vorschulpflichtigen Pflegekindes, berichtete, dass nur 30 Prozent der pflegebedürftigen burgenländischen Kinder im Vorjahr auch im Burgenland untergebracht werden konnten. Es mangle an Pflegeeltern, weil sie im Burgenland kein Gehalt erhalten, sondern lediglich Kinderpflegegeld, also einen Aufwandsersatz für den Unterhalt des Pflegekindes. Somit seien Pflegeeltern im Burgenland weder kranken-, unfall-, arbeitslosen- noch pensionsversichert. Die für die zustehenden Sozialleistungen notwendigen Urkunden der Kinder, wie etwa Geburtsurkunde oder Staatsbürgerschaft, würden oft fehlen, was einen zusätzlichen bürokratischen Aufwand für die Pflegeeltern bedeute.

Die Pflegemutter stellte in diesem Zusammenhang einen Kostenvergleich mit der Unterbringung in einer sozialpädagogischen Einrichtung im Burgenland an: Würde man den Pflegeeltern statt den derzeit 864 Euro Kinderpflegegeld einen Nettolohn von 1.500 Euro auszahlen, was einem Kostenaufwand von monatlich etwa 3.000 Euro entspräche, wäre die Unterbringung in einer sozialpädagogischen Einrichtung mit bis zu 12.000 Euro im Monat noch immer viermal teurer. „Kinder und vor allem Pflegekinder brauchen aber eine familienähnliche Struktur und diese können nur wir Pflegeeltern bieten“, sagte Rosner-Böhm. Sie forderte die PolitikerInnen „im Namen der burgenländischen Krisen- und Dauerpflegeeltern auf, die Möglichkeit eines Angestelltenverhältnis für einen Pflegeelternteil zu schaffen, unabhängig davon, ob eine anderweitige Beschäftigung vorliegt oder nicht“.

Krisenpflegemutter plädiert für einheitliches Anstellungsmodell

Dass die Betreuung von Pflegekindern die absolute Aufmerksamkeit verlange und eine zusätzliche Erwerbstätigkeit kaum möglich sei, veranschaulichte Edith Marlovits vom Verein „Eltern für Kinder Österreich“. Sie teilte ihre von bürokratischen Hürden gekennzeichneten Erfahrungen als langjährige Krisenpflegemutter mit den TeilnehmerInnen der Enquete. Marlovits hat drei eigene, drei Pflege- und zwei Krisenpflegekinder. Ein Kind als Pflegemutter anzunehmen bedeute: „Sie nehmen es an, egal in welchem Zustand es ist“, erläuterte sie. „Es sind Kinder aus Familien, in denen ein Elternteil ins Krankenhaus musste. Es sind Kinder, die aus Überforderung abgegeben worden sind. Oft bekommen wir die Kinder gleich aus dem Krankenhaus. Es sind Kinder aus einem gesellschaftlichen Milieu, das einem gänzlich fremd ist. Es sind Kinder mit Folgen nach Schütteltraumata, Knochenbrüchen und Verbrennungen, mit verschiedenen Krankheiten wie Lungenentzündung, bis hin zu TBC oder AIDS.“

Edith Malrovits ist seit 2017 beim Verein „Eltern für Kinder in Österreich“ angestellt. Auch sie plädierte für die Schaffung eines einheitlichen Anstellungsmodells mit einheitlicher kollektiver Bezahlung für Pflegeeltern. Die derzeitige Aufwandsentschädigung falle je nach Bundesland unterschiedlich aus. Besonders schwierig sei die Situation bei Kindern, die seit der Geburt in Österreich sind, aber keine österreichische Staatsbürgerschaft besitzen. Zudem müsse man viele behördliche Hindernisse bewältigen, etwa den Kampf um das Kinderbetreuungsgeld.

Keine Qualitätsminderung

In der Diskussion meldeten sich die ÖVP-Mandatare Karl Bader vom Bundesrat und Norbert Sieber vom Nationalrat zu Wort. Sie betonten, die Bundesregierung werde die Kompetenzen der Kinder- und Jugendhilfe erst dann in die Hände der Länder legen, wenn diese eine entsprechende „15a-Vereinbarung“ getroffen hätten. Sie seien sich sicher, dass keines der Bundesländer eine Qualitätsminderung in Kauf nehmen würden. Cornelia Schweiner, SPÖ-Landtagsabgeordnete in der Steiermark, wies auf die bürokratischen Hürden hin, die Pflegeeltern auf sich nehmen müssen, wenn sie ein Kind aufnehmen, das als unbegleiteter, minderjähriger Flüchtling nach Österreich gekommen ist. Sie selbst habe ein solches Kind aufgenommen. Allein dass solche Kinder keinen Zugang zu Familienbeihilfe haben, bedeute nicht nur, dass das Geld fehlt, es sei auch mit dem Wegfall verschiedener Rechte verbunden – etwa dem Recht auf Schülerfreifahrt oder auf Pflegefreistellung für die Pflegeeltern, wenn das Kind krank wird. Nationalratsabgeordnete Daniela Holzinger-Vogtenhuber (PILZ) warnte davor, die Kinder in Fremdunterbringung von einem Bundesland in das andere zu „verschicken“. Zwei bis drei Stunden Fahrzeit seien ein „großes Hindernis für Eltern und Geschwister eines Kindes, wenn sie es besuchen wollen“. Hans Peter Radauer vom „Österreichischen Berufsverband der Sozialen Arbeit“ wies auf ein „Trägheitsmoment der Ämter in Österreich“ hin. Sie bräuchten daher klare Vorgaben in Form eines Bundesgesetzes und nicht einzelner Bundesländer. Die stellvertretende Kärntner Landeshauptfrau Beate Prettner wies auf einen weiteren Mangel der neuen Kompetenzverteilung hin: „Kinder haben oft sehr spezielle Bedürfnisse“, erklärte sie. „Die Länder sind aber oft nicht in der Lage, für jedes dieser Bedürfnisse eigene Einrichtungen zu schaffen.“ Solche Einrichtungen seien länderübergreifend notwendig. (Fortsetzung Enquete) gb/fan

HINWEIS: Fotos der Parlamentarischen Enquete des Bundesrats finden Sie auf der Website des Parlaments unter www.parlament.gv.at/SERV/FOTO/ARCHIV .

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