Onkologische Versorgung in Gefahr – führende Onkologen und forschende Pharmaindustrie fordern „Agenda Krebs 2030“ | Brandaktuell - Nachrichten aus allen Bereichen

Onkologische Versorgung in Gefahr – führende Onkologen und forschende Pharmaindustrie fordern „Agenda Krebs 2030“

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  • Erfolge in der Onkologie auch für Österreich nachweisbar – Sterblichkeit in den letzten 25 Jahren um ca. 25% zurückgegangen
  • Aber Alterung der Gesellschaft und Zunahme der Menschen, die mit Krebs leben, stellt System vor enorme Herausforderungen – sowohl finanziell als auch personell
  • Zudem droht Österreich bei der klinischen Forschung
    zurückzufallen – was den Zugang zu innovativen Therapien gefährdet
  • In Summe sehen führende Onkologen und forschende Pharmaindustrie die Versorgung in Österreich in Gefahr und fordern eine „Agenda Krebs 2030“ sowie ein politisches Commitment
  • Als Best Practice-Beispiele fungieren die Netzwerke in Wien
    (Vienna Cancer Center) und Oberösterreich

„Die Erfolge in der Onkologie sind evident und auch für Österreich nachweisbar“, betont Univ.-Prof. Dr. Leopold Öhler, Vorstand der 1. Abteilung für Innere Medizin/Onkologie St. Josef Krankenhaus und Onkologie Barmherzige Schwestern Krankenhaus Wien. „Die Sterblichkeit ist in den letzten 25 Jahren um ca. 25% zurückgegangen. Und das relative 5-Jahres-Überleben hat sich von 55,9% im Jahr 1995 auf über 60% im Jahr 2012 erhöht.“

Außerdem verweist Öhler auf außerordentlich hohe Überlebensraten bei einigen Entitäten wie etwa Schilddrüse, Hoden und Prostata oder auch Brust und Haut, wo das kumulierte relative 5-Jahres-Überleben über 90% bzw. über 80% beträgt. Damit liegt Österreich im europäischen Vergleich im absoluten Spitzenfeld – nämlich an vierter Stelle und deutlich über dem Schnitt von 54,6%. Gleichzeitig ist die Zahl der Neuerkrankungen sowohl bei Frauen als auch bei Männern um 12,6% zurückgegangen.

Für die erfreuliche Entwicklung machen die heimischen Onkologen mehrere Faktoren verantwortlich: „Wir verdanken diesen Trend der modernen Diagnose und den Fortschritten in der Früherkennung, der guten Versorgung durch klinische Forschung, der Verbesserung der onkologischen Chirurgie und Strahlentherapie sowie der weltweiten Vernetzung der Grundlagenforschung und der klinischen Forschung. Ebenso großen Anteil haben die Innovationen der Pharmaindustrie und der noch ausgezeichnete und frühe Zugang zu innovativen Medikamenten.“

Zahl der Menschen mit Krebs um 67,5% gestiegen – höherer Betreuungsbedarf

„Derzeit ist die onkologische Versorgung in Österreich auf einem hohen Niveau“, fasst Prim. Univ.-Prof. Dr. Andreas Petzer, Abteilungsvorstand Interne I, Ordensklinikum Linz und Präsident der OeGHO, zusammen. „Aber die Zukunft stellt uns vor große Herausforderungen, und die lauten: Demographie, Prävalenz und Ressourcen.“

Die österreichische Bevölkerung wird bis zum Jahr 2080 voraussichtlich um 14,3% auf 9,99 Millionen Menschen anwachsen. Die Gruppe der älteren Menschen wird sich von 18,5% Anteil an der Gesamtbevölkerung auf 29% vergrößern.

Zudem leben durch die Alterung der Gesellschaft, die verbesserte Überlebenswahrscheinlichkeit und die Verlängerung der Lebenszeit immer mehr Menschen mit Krebs. Schon in den letzten 15 Jahren ist die so genannte Prävalenz um 67,5% gestiegen. „Das hat zur Konsequenz“, so Petzer, „dass der Bedarf an diagnostischen, therapeutischen und betreuerischen Leistungen für Krebspatienten zunimmt. Was uns ohne Umwege zur Ressourcenfrage führt. Denn schon jetzt sind sowohl die finanziellen wie auch personellen Ressourcen mehr als knapp. Wir sind somit gefordert, trotz der Steigerung in der Quantität die Qualität zu halten und so Versorgungssicherheit zu gewährleisten.“

Klinische Forschung in Österreich rückläufig – Zugang zu Innovationen künftig schwieriger?

Wesentlichen Anteil an der hohen Qualität der Krebsbehandlung in Österreich hat laut OeGHO-Präsident Petzer die klinische bzw. kliniknahe Versorgungsforschung. Denn damit erhalten PatientInnen frühzeitig Zugang zu innovativen Therapien. Zudem wird das Gesundheitssystem kostenseitig entlastet. „Doch gerade da droht Österreich zurückzufallen. Zwischen 2006 und 2016 gab es bereits einen Rückgang um fast 24% bei klinischen Prüfungen“, betont Petzer. Mit schuld daran sei die – insbesondere für international angelegte Studien – schwierige Situation in Österreich. Es besteht eine fragmentierte Landschaft an Zentren, an denen klinische Versorgungsforschung geleistet wird, mit geringen PatientInnen-/Fallzahlen pro Zentrum. Dementsprechend existieren unterschiedliche Abläufe, viele verschiedene Ansprechpartner und bürokratische Hürden. Und der immer schärfer werdende internationale Wettbewerb um klinische Studien tut sein Übriges dazu. „Das gefährdet den Status von Österreich als Standort für Spitzenmedizin und Innovation, und in weiterer Folge gefährdet es den Zugang für PatientInnen zu innovativen Therapien“, warnt Petzer.

Schlüsselwort Vernetzung von Strukturen

„Um mit knappen Mitteln möglichst effizient umzugehen und den PatientInnen dennoch die bestmögliche Versorgung zu bieten, ist Vernetzung von Strukturen das Schlüsselwort“, führt Univ.-Prof. Dr. Dr.h.c. Christoph Zielinski, Scientific Chair Vienna Cancer Center, ins Treffen. „So ist das Vienna Cancer Center entstanden, das die onkologischen Einrichtungen der Medizinischen Universität Wien, des Wiener Krankenanstaltenverbundes, der Vinzenz Gruppe, des Franziskus Spitals und der Wiener Gebietskrankenkasse im Sinn einer qualitativ einheitlichen, wohnortnahen Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Krebs verbindet. Davon profitieren mehr als 31.000 KrebspatientInnen pro Jahr. Ein ähnliches Modell gibt es auch in Oberösterreich, mit dem 70% der onkologischen PatientInnen betreut werden.“

„Diese Best Practice-Modelle sind wohlgemerkt auf Eigeninitiative entstanden. Sie leisten einen Beitrag zur Effizienzsteigerung bei gleichbleibender, wenn nicht sogar steigender Qualität. Es braucht aber auch eine gezielte, strukturierte Wissenschaftspolitik und eine überregionale Vernetzungsstruktur für onkologische Versorgung“, unterstreicht Zielinski. „Und das geht nicht ohne Unterstützung der politischen Entscheidungsträger.“

Nutzen der Krebstherapien und der pharmazeutischen Forschung nachweisbar

In Zusammenhang mit den viel diskutierten finanziellen Ressourcen bringt Mag. Ingo Raimon, Präsident des Forums der forschenden pharmazeutischen Industrie in Österreich (FOPI), internationale Statistiken ins Spiel: „Bei den Gesundheitsausgaben für Krebs liegt Österreich zwar ein wenig über dem europäischen Schnitt. Doch es ist belegt, dass Länder mit höheren Ausgaben auch höhere Überlebensraten aufweisen. Anders betrachtet: Gemessen am BIP gibt Österreich für Krebsbehandlungen etwa so viel aus wie meisten europäischen Länder. Doch bei der Effektivität sind wir im Spitzenfeld.“

Das Gesundheitssystem stehe zwar unbestritten vor finanziellen Herausforderungen, konstatiert Raimon, doch „die Gesundheitsausgaben für Krebs sind seit 2010 stabil und Medikamente machen nur einen relativ geringen Anteil aus“.

„Vor allem aber lässt sich der Nutzen dieser Ausgaben in der Onkologie gut nachweisen“, untermauert der FOPI-Präsident seine Aussagen. „Die Krebstherapie hat in den letzten Jahrzehnten enorme Fortschritte gemacht. Zwischen 2011 und 2016 wurden 68 neuartige Therapien für 22 Indikationen zugelassen. Insbesondere im Bereich der Immun-Onkologie kam es aufgrund des bemerkenswerten klinischen Profils zu raschen Zulassungen für verschiedenste Krebsformen. Und beim Melanom haben – um ein anderes Beispiel zu bringen – neue Therapien die Zahl der behandelten Patienten verdreifacht und die Überlebensrate verdoppelt.“

Als Kehrseite dieser Erfolge nennt Raimon die außerordentlich lange Forschungszeit. „Es dauert durchschnittlich fast 10 Jahre von der Patentanmeldung bis ein Medikament zugelassen ist. Außerdem müssen wir als Pharmaindustrie viele Fehlschläge verkraften. Bei Hautkrebs konnten etwa erst nach 30 erfolglosen Jahren 7 neue Medikamente auf den Markt gebracht werden. Und bei Lungenkrebs scheiterten 167 Studien, bevor 10 neue Medikamente zur Verfügung standen. Es braucht also einen wirklich langen Atem.“

Forderung nach Koordinierungsstelle für klinische Studien und einheitlichen Registern

„Trotzdem ist die forschende Pharmaindustrie bereit, weiterhin in Forschung und Entwicklung zu investieren, um Innovationen auf den Markt zu bringen. Aber der Nutzen muss auch bei den PatientInnen ankommen – und dazu bedarf es innovationsfreundlicher Rahmenbedingungen“, meint Raimon. „Ganz konkret fordern wir daher eine Koordinierungsstelle für klinische Studien auf Bundesebene – als „one stop shop“ für die forschende Pharmaindustrie, um die Attraktivität des Standortes Österreich für klinische Studien zu erhalten bzw. auszubauen. Und wir treten für einheitliche Register ein, die den Patientennutzen umfassend sichtbar machen und den Outcome in der Versorgung darstellen.“

Schulterschluss für „Agenda Krebs 2030“

In einem Schulterschluss postulieren die vier führenden Onkologen gemeinsam mit der forschenden pharmazeutischen Industrie daher die „Agenda Krebs 2030“. Prim. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Hilbe, Abteilungsvorstand der 1. Medizinische Abteilung, Zentrum für Onkologie und Hämatologie am Wilhelminenspital: „Auf den Punkt gebracht: Die onkologische Community ist bereits aktiv geworden und hat Netzwerke gegründet. Genau solche Initiativen benötigt die forschende Pharmaindustrie, um klinische Studien am Standort Österreich durchzuführen. Doch das kann nicht ausschließlich auf unserer Eigeninitiative ruhen. Ergänzend braucht es das Commitment der politischen Entscheidungsträger und die Unterstützung der Initiativen – ähnlich wie in Deutschland, wo ,Exzellenzzentren‘ und ,Versorgungsnetzwerke‘ durch Schwerpunktförderung finanziert werden. Sinnvoll wäre zudem die Etablierung eines einheitlichen Qualitätsbegriffs. Summa summarum brauchen wir eine ‚Agenda Krebs 2030‘. Für die nachhaltige Finanzierung einer qualitätsorientierten Versorgung der Bevölkerung. Um ein Abwandern von top-qualifizierten Experten zu verhindern. Um Österreich als Standort für klinische Studien attraktiv zu halten. Und, um den Zugang zu innovativen onkologischen Therapien mit ihrem Nutzen für PatientInnen und Gesundheitswesen zu gewährleisten.“

Weitere Bilder finden Sie in der [APA-Fotogalerie]
(http://www.apa-fotoservice.at/galerie/13162).

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