Innenausschuss: Debatte über Migrations- und Asylthemen
Wien (PK) – Einstimmig nahm der Innenausschuss heute die EU-Jahresvorschau 2021 im Bereich von Innenminister Karl Nehammer zur Kenntnis. Zentrale Elemente des neuen EU-Migrations- und Asylpakets führten im Ausschuss zu Diskussionen, wie etwa der „Relocation“-Plan zur „Umverteilung“ von MigrantInnen, zumal Österreich hinsichtlich Schutzgewährung in der EU zu den meistbelasteten Ländern gehöre, wie der Innenminister betonte.
Vertagt wurde seitens ÖVP und Grünen eine Reihe von Oppositionsanträgen zu Migrations- und Asylthemen. Auch für einen SPÖ-Entschließungsantrag zur Verschränkung der Aktionspläne zu Antisemitismus und Rechtsextremismus heißt es „bitte warten“ -allerdings vielleicht nicht allzu lange, zumal dazu Gespräche für einen gemeinsamen Mehr- oder All-Parteien-Antrag bis zum nächsten Innenausschuss in Aussicht gestellt wurden.
Einhellig stimmten die Abgeordneten für einen in der Sitzung eingebrachten ÖVP-Grüne-Entschließungsantrag, wonach es um die Erstellung eines Berichts zur Evaluierung bzw. um Transparenz und Veröffentlichungsmöglichkeiten der Daten der Asyl- und Fremdenrechtsstatistik des Innenministeriums geht. Der dem Antrag zugrunde liegende SPÖ-Vorstoß wurde abgelehnt.
EU-Jahresvorschau 2021 mit neuem Migrations- und Asylpaket
Einige der gegenwärtigen EU-Vorhaben aus dem Sicherheitsbereich finden Zuspruch bei Innenminister Karl Nehammer, während andere Elemente des neuen EU-Migrations- und Asylpakets kritisch gesehen werden, geht aus dem EU-Jahresbericht 2021 seines Ressorts hervor (III-236 d.B.). Er beruht auf dem Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission sowie dem Achtzehnmonats-Programm des derzeitigen EU-Ratsvorsitz-Trios Deutschland, Portugal und Slowenien.
Federführend von den Kommissionsinitiativen betroffen ist das Innenministerium im Zusammenhang mit dem neuen Migrations- und Asylpaket, das aus einer Vielzahl an Maßnahmen besteht. Es beinhaltet etwa einen Aktionsplan gegen Schlepperkriminalität, eine neue Strategie für freiwillige Rückkehr und Reintegration oder die Digitalisierung der Visaverfahren, die beide von Österreich begrüßt werden, wie Innenminister Nehammer im Ausschuss unterstrich. Der Minister bekennt sich außerdem zum Ziel eines umfassenderen Schengen-Systems, wobei er hierbei grundsätzlich weiterhin bestehende Defizite ortet. Die Zusammenhänge zwischen Grenzschutz, Asylsystem und Sicherheit seien in Bezug auf die Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten noch umfassend zu diskutieren, wird im Bericht in Bezug auf die Überarbeitung des Schengener Grenzkodex festgehalten.
Innenministerium will flexibles Solidaritätsmodell statt Relocation
Der Verordnungsvorschlag zum Solidaritätsmechanismus für Asyl-Krisensituationen wird laut Bericht von Österreich aufgrund des starken Fokus auf Relocation (Umverteilung) und den Rückkehrpartnerschaften kritisch gesehen. Letztere könnten zu einer Verteilung von MigrantInnen „über die Hintertür“ führen und werden in der vorgeschlagenen Form abgelehnt, heißt es im Bericht. Das Innenministerium setze sich stattdessen für ein flexibles Solidaritätsmodell, eine Überarbeitung des Mechanismus und die stärkere Berücksichtigung von Vorbelastungen der Mitgliedstaaten im Asyl- und Migrationsbereich ein. Nehammer hob hervor, dass Österreich in der EU zu den meistbelasteten Ländern gehöre, wenn es um Schutzgewährung geht.
Befürwortet wird laut Bericht die Möglichkeit der Ausweitung von Grenzverfahren zur raschen Feststellung des Schutzbedarfs direkt an der EU-Außengrenze sowie das vorgelagerte Screening-Verfahren. Bezüglich der Schaffung einheitlicher Regelungen für Resettlement (Neuansiedlung) wird festgehalten, dass dies im österreichischen Regierungsprogramm nicht vorgesehen ist.
Minister Nehammer betonte, dass die österreichische Seite etwa die geplanten Maßnahmen zur Bekämpfung organisierten Verbrechens und sexuellen Missbrauchs von Kindern im Internet sowie für die EU-Agenda zur Terrorismusbekämpfung, die als Reaktion auf die jüngsten Terroranschläge in Europa für besseren internationalen Informationsaustausch sorgen soll, klar unterstütze. Auch der Legislativvorschlag zur Verhinderung der Verbreitung terroristischer Online-Inhalte werde als wichtige Maßnahme in der Terrorismusprävention wahrgenommen. Hier würden auch Plattformbetreiber in die Pflicht genommen, so der Minister. Aktiv beteiligen wolle sich Österreich ferner an der Umsetzung und Weiterentwicklung des europäischen Programms zum Schutz kritischer Infrastruktur. Zum Thema Terrorismusbekämpfung habe Österreich bereits zwei Anti-Terror-Pakete in Erarbeitung bzw. befinde sich das erste bereits in Begutachtung, so Nehammer.
Was Rückführungen betrifft, thematisierte der Innenminister die Möglichkeit, bei nicht kooperierenden Drittstaaten einen „Visahebel“ zur Anwendung zu bringen. Gegenüber Hermann Gahr (ÖVP) strich er im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität und Schlepperei hervor, es brauche hier die internationale Vernetzung, sowohl in der EU als auch mit Drittstaaten, sowie einen Fokus auf die Zusammenarbeit mit Institutionen wie Europol und Interpol. Zum Thema Migration und Asyl gebe es in der Koalition den gemeinsamen Fokus auf schnellere Asylverfahren und Rückführungsmöglichkeiten, antwortete Nehammer auf Fragen von Reinhold Einwallner (SPÖ). Die Leistungen Österreichs beim Migrationsthema zur Unterstützung Griechenlands vor Ort seien führend in der EU, etwa auch durch entsendete Beamte. Was Frontex betreffe, gebe es nach Untersuchungen keine Hinweise, dass sich Verdachtsmomente bewahrheiten würden, verwies der Minister auf Frontex als wichtige Agentur, um den europäischen Unionsgrenzschutz glaubhaft aufbauen zu können.
Als einen Punkt nannte er auch Interoperabilität im Zusammenhang mit der neuen „Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst“, wonach es gelte, diese so zu bauen, dass eine gute Kooperation mit den betreffenden Institutionen ermöglicht werde. Zum Thema Dublin-Übereinkommen, das Hannes Amesbauer (FPÖ) aufwarf, sei dieses nach wie vor geltendes Recht. Es brauche aber wieder eine Wirksamkeit der Vereinbarungen, zumal in manche Länder Rückführungen aufgrund von EuGH-Erkenntnissen nicht mehr erlaubt seien.
Was die Türkei betreffe, habe diese im Jahr 2021 nunmehr wieder begonnen, aufgrund des EU-Pakts MigrantInnen von den Inseln aufzunehmen, sagte der Minister etwa gegenüber Stefanie Krisper (NEOS). Die Verhandlungen würden sich hier aber weiterhin komplex gestalten. Im Hinblick auf Datenschutzfragen, die Eva Blimlinger (Grüne) im Zusammenhang mit Migration aufwarf, stelle die rechtliche Grundlage die DSGVO dar. Es gelte aber im Sinne des Kampfs gegen Terrorismus, hier bei Bedarf auch eine Diskussion zuzulassen, meinte Nehammer.
Insgesamt sieht der Innenminister die „Asylkultur“ in der EU massiv gefährdet, wie er es bezeichnete. Ein Missbrauch des Asylverfahrens schade diesem System und jenen Menschen, die tatsächlich in Not sind, so Nehammer.
SPÖ: Transparenz in der Asyl- und Fremdenrechtsstatistik, Rot-Weiß-Rot-Karte für Asylwerbende in Ausbildung
Den SozialdemokratInnen geht es um detaillierte Daten in der Asyl-und Fremdenrechtsstatistik des Innenministeriums (1376/A(E)). Antragstellerin Katharina Kucharowits kritisiert, dass wichtige Daten, etwa zu Asylentscheidungen, für eine adäquate Darstellung des österreichischen Asylwesens nicht mehr ausgewiesen und die veröffentlichten Statistiken weit unter dem europäischen Standard liegen würden. Im Sinne der Transparenz fordert sie daher umfassende monatliche Statistiken zur Verhängung sämtlicher staatlicher Maßnahmen der Asylbehörden und in Bezug auf die Asylverfahren, konkret zu Dublin-Verfahren und Aberkennungsverfahren, zur Grundversorgung, Flughafenverfahren und Fast-Track-Verfahren.
Der SPÖ-Antrag wurde zwar abgelehnt, einhellig stimmten die Abgeordneten aber für einen dazu in der Sitzung eingebrachten ÖVP-Grüne-Entschließungsantrag, mit dem es um die Erstellung eines Berichtes zur Evaluierung der Transparenz und Veröffentlichung der Daten der Asyl- und Fremdenrechtsstatistik des Innenministeriums geht. Das Thema Transparenz sei hier wichtig, betonte Johanna Jachs (ÖVP).
Mit den Stimmen von ÖVP und Grünen vertagt wurden in der heutigen Sitzung eine Reihe weiterer Oppositionsanträge zum Thema Migration und Asyl. So forderte die SPÖ, dass Asylsuchende, die eine Ausbildung in einem Mangelberuf – etwa im Pflegebereich – absolvieren, nicht abgeschoben werden können sollten, sofern sie nicht straffällig wurden (303/A(E)). Vielmehr sollte der SPÖ zufolge die Möglichkeit zur Erlangung der Rot-Weiß-Rot-Karte nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildung geschaffen werden. Georg Bürstmayr (Grüne) begründete den Vertagungsantrag mit bestehendem Recht, wonach es die Möglichkeit eines Aufenthaltstitels nach fünf Jahren gebe.
Initiativen der FPÖ zur Gesamtnovellierung des Fremdenrechts sowie für Ablehnung des EU-Asylpakets
Die Neukodifikation des gesamten Fremdenrechts sei umgehend in Angriff zu nehmen, richtet die FPÖ eine Forderung an den Innenminister (864/A(E)). Damit sind unter anderem das Asylgesetz, das Fremdenpolizeigesetz, das BFA-Verfahrensgesetz und das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz gemeint. An mehrfachen Gesetzesänderungen in den letzten Jahren hätten Lesbarkeit und Anwendbarkeit stark gelitten, argumentiert Antragsteller und FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl seinen Vorstoß, der auf Pläne im ehemaligen ÖVP-FPÖ-Regierungsprogramm zurückgeht. Die Vertagung dieses Antrags begründeten ÖVP und Grüne damit, abwarten zu wollen, was die EU-Ebene dazu vorhabe.
Außerdem wird das neue EU-Migrations- und Asylpaket von der FPÖ-Fraktion vor dem Hintergrund des vorgeschlagenen Solidaritätsmechanismus und die für Krisensituationen angedachten Rückkehrpartnerschaften abgelehnt, weshalb sie den Innenminister auffordern, sich auf EU-Ebene gegen den Verordnungsvorschlag auszusprechen (1156/A(E)). Während eine engere Kooperation und Zusammenarbeit der Union mit den Herkunftsländern zwar zu begrüßen wäre, stelle der Mechanismus eine unzureichende und nicht praktikable Lösung dar und könnte zur verpflichtenden Aufnahme von illegalen MigrantInnen durch die Hintertüre führen, meint Antragsteller Hannes Amesbauer (FPÖ). In Fragen des Asyl- und Fremdenwesens wie auch des Grenzschutzes befürwortet der FPÖ-Mandatar daher die Beibehaltung der nationalen Souveränität und fordert den zuständigen Minister auch dazu auf, sich für eine gemeinsame Lösung hinsichtlich eines lückenlosen Außengrenzschutzes sowie für die Bearbeitung von Asylanträgen außerhalb des europäischen Territoriums einzusetzen. Auch dieser Antrag wurde mit den Stimmen von ÖVP und Grünen vertagt.
NEOS: Abschiebungsverbot während offener Rechtsmittelfrist; Aufnahme schutzbedürftiger Kinder aus Moria
Abschiebungen sollten nicht vor Ablauf der Frist für eine Revision an die Höchstgerichte bzw. vor Entscheidung über einen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsmittels möglich sein, meinen die NEOS (352/A(E)) und fordern eine entsprechende Regelung. Während der offenen Rechtsmittelfrist würden in den letzten Jahren vermehrt Außerlandesbringungen durchgeführt werden, wodurch es zu besonders invasiven und irreversiblen Eingriffen in die Rechte der/des Betroffenen käme, so die AntragstellerInnen rund um Stephanie Krisper. Aus Sicht der Grünen und der ÖVP, die sich für eine Vertagung aussprachen, müsste hier allerdings noch die Systematik der Höchstgerichte angesehen bzw. überlegt werden, ob der Antrag nicht besser im Verfassungsausschuss aufgehoben wäre.
Erneut forderten die NEOS außerdem die Aufnahme von schutzbedürftigen Kindern aus griechischen Flüchtlingslagern. Diesmal wird die Bundesregierung konkret dazu aufgefordert, Ländern, Städten, Gemeinden sowie der Zivilgesellschaft zu ermöglichen, unbegleitete Minderjährige aufzunehmen (1018/A(E)). In einigen Gebietskörperschaften würden die Kapazitäten sowie die Bereitschaft zur Aufnahme bestehen, etwa in Wien. Auch zahlreiche BürgermeisterInnen hätten bekundet, sich am Programm der Europäischen Kommission zur Umsiedlung unbegleiteter Minderjähriger von den Lagern auf den griechischen Inseln beteiligen zu wollen, wird argumentiert. Die Bundesregierung sollte aus Sicht der NEOS diese Hilfsangebote auf ihre Machbarkeit überprüfen und die Einreise der Kinder ermöglichen, so Stefanie Krisper (NEOS). Auch dieser Antrag wurde von den Koalitionsparteien vertagt. Während Georg Bürstmayr (Grüne) auf dazu bekannte Auffassungsunterschiede in der Koalition hinwies, betonte Christian Stocker (ÖVP), der Fokus liege auf Hilfe vor Ort.
SPÖ für Verschränkung der Aktionspläne zu Antisemitismus und Rechtsextremismus
SPÖ-Abgeordnete Sabine Schatz setzte sich dafür ein, dass der von der Bundesregierung verankerte Nationale Aktionsplan gegen Antisemitismus und die dazugehörigen Maßnahmen mit dem Aktionsplan gegen Rechtsextremismus abgestimmt werden (1159/A(E)). Angesichts des Anstiegs der Zahl an antisemitischen Vorfällen sei ein zielgerichtetes und effektives Handeln dringend notwendig, ist die Antragstellerin überzeugt, weshalb sie ferner die Einbindung von ExpertInnen und die Sicherstellung finanzieller Mittel für die Umsetzung der Maßnahmen einfordert. Auch dieser Antrag wurde mit den Stimmen von ÖVP und Grünen vertagt. Allerdings wurden zu diesem Thema Gespräche für einen gemeinsamen Mehr- oder All-Parteien-Antrag bis zum nächsten Innenausschuss in Aussicht gestellt. (Schluss Innenausschuss) mbu
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