WWF, DAV und ÖAV fordern Stopp für Ausbau Kraftwerk Kaunertal
Die Naturschutzorganisation WWF Österreich und die Alpenvereine in Deutschland und Österreich sprechen sich erstmals gemeinsam gegen den von der TIWAG geplanten Ausbau des Kraftwerks Kaunertal aus. „Klima- und Naturschutz können nur Hand in Hand funktionieren“, sagt WWF-Gewässerschutz-Expertin Bettina Urbanek. „Das gigantomanische Ausbauprojekt Kaunertal konterkariert diesen Grundsatz und steht wie kein zweites für die gestrige und einseitige Energiepolitik der Tiroler Landesregierung und der TIWAG.“ WWF, DAV und ÖAV fordern deshalb den Stopp aller Planungen und eine naturverträgliche Energiewende. „Anstatt weiter unberührte Natur zu zerstören, muss die Politik die Alpen umfassend schützen. Die Landesregierung muss endlich eine Energiestrategie vorlegen, die die Priorität auf Energieeinsparungen und den Ausbau der Photovoltaik legt, anstatt blind die letzten Naturjuwele zu opfern“, so Urbanek.
Gravierende Auswirkungen auf Mensch und Natur
Vom Ausbau des Kraftwerks Kaunertal wären 20 Gemeinden betroffen. „Der Bevölkerung drohen jahrelange Großbaustellen im Tiroler Oberland“, warnt Bettina Urbanek vom WWF. „Noch kritischer ist, dass die TIWAG bis zu 80 Prozent des Wassers aus den ökologisch wertvollen Gletscherflüssen Venter und Gurgler Ache im hinteren Ötztal sowie aus Verwall- und Königsbach ableiten will.“ Das hätte nicht nur fatale Folgen für die Gewässerökologie der Flüsse, sondern auch für die Wasserversorgung des Ötztals, das schon jetzt zu den niederschlagsärmsten Tälern Tirols gehört.
„Dieses Problem wird sich mit dem voranschreitenden Gletscherrückgang extrem verschärfen“, prognostiziert Tobias Hipp, Gletscher- und Naturschutzexperte beim Deutschen Alpenverein. In den Sommermonaten sind 60 bis 80 Prozent des Abflusses von Venter und Gurgler Ache auf die Schnee- und Gletscherschmelze zurückzuführen. Bis Mitte des Jahrhunderts werden die Ötztaler Gletscher jedoch größtenteils abschmelzen. „Der vergangene Sommer hat bewiesen, dass es schon jetzt durch die Klimakrise zu Engpässen in der Wasserverfügbarkeit kommt“, so Hipp. „Bei dieser Aussicht ist es geradezu absurd, zusätzlich Wasser zu entziehen.“
„Durch die Erschließung des Platzertals wird ein Naturjuwel mit einem vielfältigen, alpinen Lebensraum für immer zerstört. Das Platzertal ist ein bislang nahezu unberührtes Hochtal, in dem eine Vielfalt an Lebensformen vorherrscht und viele geschützte Tier- und Pflanzenarten einen ihrer letzten intakten Rückzugsorte in den Alpen finden“, sagt Clemens Matt, Generalsekretär des Österreichischen Alpenvereins. Nicht zuletzt wird durch die Zerstörung der Moorflächen vor Ort ein wichtiger Verbündeter im Klimaschutz zunichtegemacht: Moore bieten nicht nur Lebensraum, sondern sie binden und speichern auch effektiv CO2.
Naturverträgliche Energiewende statt Naturzerstörung
„Wir können die Klima- und Biodiversitätskrise nur gemeinsam bewältigen. Deshalb darf die Energiewende nicht mit noch mehr Naturzerstörung erkauft werden“, mahnt Bettina Urbanek vom WWF. „Stattdessen muss die neue Tiroler Landesregierung nach der Wahl am 25. September weitreichende Maßnahmen zur Reduktion des Energieverbrauchs vorlegen.“ Wie eine Analyse vom Frühjahr zeigt, könnte der Energieverbrauch in ganz Österreich mittelfristig um bis zu 45 Prozent reduziert werden. Gleichzeitig muss die Politik erneuerbare Alternativen zum ewigen Wasserkraftausbau forcieren – allen voran den naturverträglichen Ausbau der Photovoltaik. „Allein das Potential auf Dächern, Fassaden und großen Parkplätzen beträgt rund 4.200 Gigawattstunden pro Jahr. Das entspricht dem durchschnittlichen Stromverbrauch von über einer Million Haushalten“, erklärt Urbanek. „Strom aus Photovoltaik stünde auch wesentlich schneller zur Verfügung als von einem Kraftwerk, das frühestens 2040 mit der Produktion beginnt.“
Die Eckdaten des Ausbauprojekts:
- 120 Meter hoher und 450 Meter breiter Staudamm im Platzertal
- Stausee mit 45 Millionen Kubikmetern Fassungsvolumen
- Verlust von 6,3 Hektar Moorflächen im Platzertal
- Wasserfassungen an Verwallbach, Königsbach und Gurgler Ache bei Obergurgl
- Wasserfassung an der Venter Ache unterhalb von Vent
- Bis zu 80 Prozent weniger Wasser im Ötztal als Folge der Ausleitung von vier Gebirgsbächen und -flüssen
- 272 Quadratkilometer Einzugsgebiet des Wasserkraftwerks
- Neubau von etwa 23 Kilometern unterirdischer Stollen
- Neubau von drei Wasserkraftwerken und einem Pumpspeicherkraftwerk
- Erhöhung der Schwallbelastung im Inn und de facto ökologische Zerstörung des Inns auf über vier Kilometern durch extreme Schwallbelastung
31 Umweltschutzorganisationen sowie 11 Wissenschaftler*innen haben sich in der Kaunertal-Erklärung 2022 gemeinsam gegen das Ausbauprojekt Kraftwerk Kaunertal positioniert. Sie fordern den Stopp des Projekts, den umfassenden Schutz der letzten ökologisch intakten Alpenflüsse sowie den Erhalt alpiner Naturlandschaften.
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